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Berlin: „Es fehlt der Aufstand der Anständigen“

Was die Leser zum Thema Gewalt und Pöbeleien meinen

Ist es nicht schlimm, dass man bei deutschen Staatsbürgern, die vielleicht schon 20 Jahre und länger in unserem Land ja nicht ganz so schlecht leben, immer noch von „Migrationshintergrund“ sprechen muss? Bloß weil viele dieser Menschen rein gar nichts für ihre Integration tun?

Ich erwarte, dass auch die Menschen mit Migrationshintergrund diese Religion und „unsere“ Werte respektieren – es wird z. B. ja von mir auch erwartet, dass ich angemessen gekleidet und ohne Schuhe eine Moschee aufsuche und daran denke, dass auch islamische Kinder kein Schweinefleisch essen dürfen usw. Ich stehe übrigens auch oft vor dem Problem, was zu sagen und sich anmachen zu lassen oder im Interesse meiner beiden Töchter den Ärger lieber herunterzuschlucken. Denn für die ist so eine Anmache nicht toll. Es wird dann richtig skurril, wenn sie mich z. B. darauf hinweisen, dass jemand die Schuhe im Bus hochlegt, Müll auf die Erde wirft, spuckt o.Ä., denn sie haben ja gelernt, das nicht zu tun. Ich sage dann, dass das halt nicht richtig ist.

Es ist sicher löblich und legitim, von den Bürgern Zivilcourage zu erwarten. Diskutiert wird hier aber der Weg des geringsten Widerstandes und nicht das eigentliche Hauptproblem: Was tut eigentlich der Staat noch, um seine Bürger vor derartigen Auswüchsen unserer Gesellschaft zu schützen? Sie müssen nur nach Wien fahren und dort fast vergeblich nach beschmierten Wänden und zerkratzten U-Bahn-Scheiben suchen, um zu erkennen, dass es anders als in Berlin sein kann.

Unseren Justizorganen ist Täterschutz und Täterverständnis offensichtlich wichtiger als Opferschutz. Frustrierte Ordnungskräfte einschließlich Polizei schauen lieber weg, als einzugreifen. Festgenommene sind sowieso gleich wieder frei und können weitermachen. Der Bürger kann nur weg- oder umziehen und möglichst keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Rolf Joba, Pankow

Ich ärgere mich über die Verharmloser und Abwiegler, die behaupten, der vorliegende Konflikt ließe sich lösen, wenn man diesen Menschen mit Respekt begegnete. Mit dem Schuh auf dem Sitz wird doch zum Ausdruck gebracht: „Ich bin stark und ihr seid nur Dreck. Ich verachte euch und eure Vorstellungen.“ So jemandem mit Respekt zu begegnen, ist gleichbedeutend mit dem Anerkenntnis dieser Einstellung. Diese Menschen machen klar, dass sie nicht die geringste Veranlassung sehen, sich zu integrieren. Sollen sie damit durchkommen?

Vor Europas Küsten riskieren so viele Menschen ihr Leben bei dem Versuch hierherzukommen, von denen die meisten sicher willens und fähig sind, sich zu integrieren. Wir müssen also niemanden hierbehalten, der das nicht will oder kann. Thomas Hasseier, Zehlendorf

Seit 50 Jahren wohne ich in Neukölln-Nord. Mit der BVG fahre ich längst nicht mehr. Ich habe das Glück, mir ein Auto leisten zu können. Ein Beispiel meiner Verdrossenheit: Neulich befuhr ich eine einspurige Promenade. Mitten auf dem Fahrweg eine Horde ausländischer Jugendlicher. Sie ließen mich nicht passieren, grölten und zeigten Stinkefinger. Erwachsene Ausländer waren in der Nähe, aber die interessierte das nicht. Also fuhr ich mit Wut im Bauch rückwärts aus dem Bereich. Und die lachten sich kaputt. Dietrich Mann, Neukölln

Bis vor kurzem war ich noch ein Vertreter einer eher liberalen und auch toleranten Auseinandersetzung mit den, wie ich annahm, Randerscheinungen der Großstadt Berlin. Wir haben uns für das Bleiberecht einer kriegstraumatisierten bosnischen Familie engagiert, unter den Freunden und Sportkameraden meines Sohnes sind Kinder mit Migrationshintergrund, wir haben den Kindern Schimpfworte wie „Kanake“ verboten und offen mit ihnen über Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass diskutiert.

Als dann mein 12-jähriger Sohn im Sommer zweimal kurz hintereinander von mehreren, zumeist älteren türkischen oder arabischen Jugendlichen überfallen wurde, sind auch wir in der Realität angekommen. Dies geschah im gutbürgerlichen Stadtbezirk Steglitz. In beiden Fällen sind die Täter nicht ermittelt worden. W. C., Steglitz

Dass man Zivilcourage zeigen soll, ist in der Theorie schön und gut. Auch ich fahre täglich mit Bus und Bahn und erlebe Situationen, in denen ich mit mir ringe, tätig zu werden. Das Problem ist jedoch, dass mir die Mittel fehlen, Konsequenzen durchzusetzen.

Für mich bleibt nur wegzusehen, denn solange die Störer ignoriert werden, denken sie nur, sie wären der Gesellschaft mit ihrem Verhalten überlegen. Wenn sie auf ihr Fehlverhalten aber angesprochen werden und es trotzdem ungeniert fortsetzen können, nachdem der Bürger verängstigt den Wagen gewechselt hat, wissen sie es.

Christian Nowakowski, Zehlendorf

Man hat schon Angst, wenn man tagsüber in Schöneberg durch bestimmte Straßenzüge geht. Abends rennt man unwillkürlich vor lauter Panik. Menschen meines Alters (58 und behindert) gehen alleine in kein Theater oder Kino, allenfalls per Taxi. Die Polizei schaut systematisch weg; ebenso Justiz oder Politik. Klaus Koch, Schöneberg

Es gehört wohl zu den unabänderlichen Ritualen des Erwachsenwerdens, wenn sich Jugendliche provozierend verhalten – auch um ihre eigenen Grenzen auszutesten. Wenn diese Grenzen dann aber nicht vom Elternhaus, der Schule oder der Gesellschaft aufgezeigt werden, steigert sich dieses Fehlverhalten zu der heute oft festzustellenden Aggressivität und Gewaltbereitschaft. Doch während harmlose Falschparker mit aller Härte des Gesetzes verfolgt werden, zeigt sich die staatliche Gewalt meist nur wenig an einer Eindämmung des Gewaltpotenzials in öffentlichen Verkehrsmitteln interessiert. Es ist ja auch viel schwieriger durchzusetzen! Karl-W. Reitze, Wittenau

Schon mehrfach hab ich aus- und inländische Jugendliche aufgefordert, in Bus oder U-Bahn die Füße vom Sitz zu nehmen, und meist klappt das auch, weil ich wohl ziemlich energisch auftrete. Aber ich hab’ auch schon üble Reaktionen erfahren dürfen. Das Schlimme ist jedoch in meinen Augen die Feigheit oder das Desinteresse der Mitfahrer – der „Aufstand der Anständigen“ könnte hier schon im Kleinen anfangen. Horst Mohr

Das disziplinlose Benehmen vieler Menschen, ob In- oder Ausländer, jung oder alt, ist der Tatsache zu verdanken, dass der Staat sein Gewaltmonopol kaum noch ausübt. Es ist der Respekt, der fehlt. Der Respekt nicht nur vor dem Gesetz, sondern vor allem vor den Mitmenschen und deren Rechten. Die Einhaltung der Regeln durchzusetzen, kann man aber nicht, unter Hinweis auf Zivilcourage, nur auf die vernünftigen Bürger abwälzen. Dann können wir uns die Polizei gleich sparen. Klaus Danehl, Charlottenburg

Vor einigen Jahren gab es eine Kampagne der BVG „Leise jedem seine Lieder“, die sich gegen laute Musik in den öffentlichen Verkehrsmitteln richtete. Eine Neuauflage wäre längst überfällig. Das Kontrollpersonal sollte ebenfalls verstärkt auf das Unterlassen einer Belästigung durch Musik beharren. Ich persönlich ärgere mich jedes Mal, wenn ich zum Mithören gezwungen werde. Zugegebenermaßen ist es für mich aber auch ebenso regelmäßig eine Überwindung, die „Übeltäter“ darauf hinzuweisen, denn einen frechen Spruch fängt man sich schnell ein, gerade auch als junger Mensch (ich bin selbst 22 Jahre alt). Dass man dabei nicht auf die Unterstützung anderer Fahrgäste hoffen kann, empfinde ich als Armutszeugnis für Berlin. Die allgemeine Gleichgültigkeit ist wirklich erschreckend.

Dennoch: Die Fälle, in denen die Musik dann leiser gestellt wird, bestätigen mich darin, auch künftig darauf hinzuweisen, dass ich mich gestört fühle, und mich nicht nur innerlich zu ärgern. Allein durch Zusehen und Hinnehmen ändert man nämlich nichts. Angela P., Spandau

Als ich vor 20 Jahren jugendliche Araber freundlich bat, doch bitte auf dem Bürgersteig mit dem Fahrrad vorsichtiger zu sein und auch auf die kleinen Kinder zu achten, haben die mich umgehend als ,deutsches Faschistenschwein’ beschimpft. Man war gerade in der Linken schnell ein ,ausländerfeindliches A…’, wenn man darauf hinwies, dass sich hier etwas entwickele, dass später nicht mehr schöngeredet werden könnte.

Heute muss ich zugeben, dass ich eine klammheimliche Freude empfinde. Das Fass wird irgendwann überlaufen. Wer täglich die U-Bahn nutzt und über die Karl- Marx-Str. in Neukölln geht, der bekommt dort eben auch täglich vorgeführt, dass Heinz Buschkowsky und nicht Herr Mutlu recht hat, dass die Zeit der Multikultiträume vorbei und ein realistischer Blick auf die Zustände angesagt ist. Bernd Haendschke, Neukölln

Zu der von Ihnen zitierten Aussage eines Mannes, die gegenübersitzende Frau solle ihn nicht länger anstarren, sonst bekomme sie gleich Prügel, kann ich nur sagen: wer in Berlin wohnt, müsste eigentlich wissen, dass Leute, die man in der U-Bahn anstarrt, sich provoziert fühlen. Ich wohne seit 7 Jahren in Moabit und ich fühle mich dort nicht bedroht. Vielleicht auch deshalb, weil hier oft genug die Polizei aufkreuzt. Den Gruppen von Jugendlichen gehe ich gewöhnlich aus dem Weg, und sie interessieren sich auch nicht für mich. Früher habe ich in Friedenau gewohnt und bin abends regelmäßig am U-Bhf. Friedrich-Wilhelm-Platz ausgestiegen. Dort hatte ich wesentlich mehr Angst und fand es völlig unheimlich im Dunkeln. Meike Lagies, Tiergarten

Ich frage mich, warum in Berlin Dinge nicht gelingen, die anderswo funktionieren. Warum fangen wir nicht endlich an, in der Sprache zu antworten, die diese Jugendlichen verstehen? Wenn arabische, türkische oder deutsche Jugendliche Busfahrer oder andere Bürger zusammenschlagen, müssen sie konsequent, d.h. sofort und hart bestraft werden. Sonst werden sie den Rechtsstaat niemals ernst nehmen. Andreas Lünser, Tiergarten

Sie wollen mitdiskutieren? Zuschriften an Berlin@Tagesspiegel.de

Marina Schmidtchen[Lichterfelde]

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