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Berlin: Es geht ein Flug nach nirgendwo

Das erste nach dem Krieg gebaute Düsenflugzeug wird zerlegt – aus Platzmangel.

Und noch ein Abschied. Der 81-jährige Rolf Stüssel steht im Hangar 3 des Tempelhofer Flughafengebäudes. Vor ihm ist ein Flugzeug aufgebockt, das kaum noch jemand kennt: eine VFW 614 – das erste nach dem Krieg in Westdeutschland entwickelte Düsenflugzeug. 1971 hob es ab zum Premienflug. Es ist Stüssels „Kind“, wie er selbst sagt, denn er leitete die Entwickung bei den Vereinigten Flugtechnischen Werken in Bremen. Die – als Besonderheit im Flugzeugbau – auf den Tragflächen montieren Triebwerke fehlen; auch das Leitwerk am Heck ist entfernt. Die Türen stehen offen, Mechaniker sind zu erkennen. Die Maschine wird auseinandergenommen, um eingemottet zu werden. So unglaublich es klingt: Auf dem großen Flughafengelände ist kein Platz mehr für die kleine Maschine.

Vor fünf Jahren war es dem Technikmuseum gelungen, eines der wenigen noch vorhandenen Exemplare der VFW614 nach Berlin zu holen – in Einzelteilen. In Tempelhof wurde sie zusammengebaut; das Stammgebäude des Museums an der Trebbiner Straße in Kreuzberg war schon voll belegt. Zunächst stand der seltene Vogel – nur 13 Serienmaschinen waren gebaut worden plus drei für das Bundesverteidigungsministerium – geschützt im Hangar, berichtet Heiko Triesch, im Museum zuständig für die Flugzeuge aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Bei Veranstaltungen musste das Flugzeug aber ins Freie. Und das ging ins Geld. Weil es auf dem stillgelegten Flughafen keine Geräte mehr gibt, musste das Museum jedes Mal einen Abschleppwagen mieten. Zuletzt stand die Maschine deshalb fast immer im Freien, was ihr zusehends zusetzte.

Dies entging auch den Verantwortlichen bei Rolls Royce nicht. Das Unternehmen hatte einst die speziellen Triebwerke für das Flugzeug entwickelt und wollte sie retten. „Wenn die Triebwerke abgebaut werden, können wir auch die gesamte Maschine zerlegen“, sagte sich Triesch.

Weil die Maschine fachgerecht zerlegt werden sollte (schließlich hofft man im Museum, sie eines Tages wieder zusammenbauen und dann ausstellen zu können), kamen Helfer von Trainico, das Aus- und Weiterbildung in der Luftfahrt anbietet, vom Verein der Freunde der VFW614 und von Rolls Royce. Thomas Glawe ist gelernter Triebwerksmechaniker und heute Hallenmeister bei Rolls Royce. Und etwa so alt wie das Triebwerk. Wo er welche Verbindungen lösen musste, hat er im „roten Buch“ nachgeschlagen, das es für jedes Flugzeug gibt. „Ich hätte es aber auch so geschafft“, ist Glawe überzeugt, der von drei Mitarbeitern beim Abbauen unterstützt wird. Das Unternehmen stellt sie dafür frei; das Museum muss nichts für diese Arbeiten zahlen.

Plötzlich findet Glawe einen Schlüssel. Nun wird probiert, wo er passt. Es ist die Cockpittür, hinter der nie wieder ein Pilot sitzen wird. Denn selbst, wenn die Maschine irgendwann wieder zusammengesetzt werden sollte – fliegen wird sie wohl nie wieder. Aber zu sehen sein soll sie eines Tages, hofft Triesch. Wie die rund 30 anderen Flugzeuge, die das Museum, über die Stadt verteilt, eingelagert hat. „Uns fehlt eine große Halle“, seufzt Triesch im großen – und bis auf die VFW614 – leeren Hangar am Flughafen Tempelhof. Das Museum würde dort gern eine Zweigstelle aufbauen; doch weil es kein Konzept für eine Dauernutzung gibt, wird nichts daraus.

Stüssel steht vor der breiten Frachttür des Flugzeuges und erinnert sich, wie er und seine Begleiter dort einst bei einer Vorführung des Flugzeugs den beleibten König von Togo durchbugsiert hatten. Durch die Passagiertür hätte er nicht gepasst, schmunzelt Stüssel.

Am Montagabend werden die zerlegten Teile der VFW614 abtransportiert. Stüssel will nicht dabei sein. Ein Abschied reicht. Klaus Kurpjuweit

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