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Berlin: „Es geht nicht nur um Kapitalinteressen“

Der Neuköllner CDU-Kandidat Eberhard Diepgen will eine sozial orientierte neue Bundesregierung

Herr Diepgen, wir dachten, Ehrenvorsitzende einer Partei dürften keine anderen Ämter mehr anstreben. Sie wollen trotzdem in den Bundestag?

Nach langem Werben aus Neukölln haben mich meine Parteifreunde überzeugt. Aber es gab nicht nur ein Motiv. Im Vordergrund standen der heute modische, arrogante und wenig kenntnisreiche Umgang mit der Geschichte Berlins und Defizite in der Darstellung der Union als moderner und sozialer Großstadtpartei. Und die Erkenntnis, dass im deutschen Bundestag in der laufenden Legislaturperiode keine schlagkräftige Vertretung der bundespolitisch anzupackenden BerlinThemen anzutreffen war.

Was antworten Sie denen, die Eberhard Diepgen und den ehemaligen Berliner SPD-Fraktionschef Ditmar Staffelt, Ihren Gegenkandidaten, als Berliner Dinosaurier bezeichnen? Tut es Ihnen weh, so tituliert zu werden?

Nein. Da klingt doch auch Anerkennung mit.

Sie gehen als Direktbewerber in den Wahlkampf. Streben Sie auch einen Platz auf der Landesliste an?

Ich bitte in Neukölln die Wähler um Vertrauen. Nach den bestehenden Anfragen werde ich im Wahlkampf in allen Teilen der Stadt das Gespräch mit den Berlinern suchen. Einen Platz auf der Landesliste strebe ich nicht an. Die Liste muss nach den Nominierungen in den Wahlkreisen das Angebot der Union fachlich und politisch ergänzen. Dabei darf es nicht nur um Absicherungen von besorgten Wahlkreisbewerbern gehen. Eine Frau als Spitzenkandidatin vor einer sich anschließenden Männerriege spiegelt die gesellschaftlichen Aufgaben nicht richtig wider. Auf der Landesliste müssen weitere Frauen eine echte Chance für den Bundestag erhalten. Wichtiger noch sind mir die inhaltlichen Forderungen der Union…

Woran denken Sie personell?

Da will ich mich jetzt nicht öffentlich einmischen. Die Frauenunion hat klare Vorschläge gemacht.

Edeltraut Töpfer.

So ist es.

Und woran denken Sie inhaltlich?

Zu den großen Themen - Sozial- und Steuerpolitik - hat Angela Merkel einen Maulkorb verhängt. Aus verständlichen Gründen. Deshalb nur wenige Punkte. Erstens: Die Interessen des Kapitals dürfen nicht ausschließlichen Vorrang haben vor den Zielen sozialer Ausgewogenheit und sozialen Friedens. Zweitens: Man kann die Konjunktur schnell mit vielen kleinen Maßnahmen ankurbeln.

Wie?

Zwei Beispiele: Es gab eine heimliche Steuererhöhung durch Verlängerung der Abschreibungsfristen. Moderne Technik ist veraltet, bevor sie abgeschrieben ist. Deshalb müssen die Fristen wieder verkürzt werden – das regt die Konjunktur unmittelbar an. Zweites Beispiel: Handwerkerleistungen sollten bis zu einer bestimmten Größe steuerlich absetzbar sein, sowohl für den Eigentümer als auch für den Mieter. Das ist ein Schlag gegen die Schwarzarbeit und es rechnet sich. Frühere Schwarzarbeit führt wieder zu Steuereinnahmen und Sozialabgaben. Was Berlin anbelangt: Eine künftige Bundesregierung muss der Stadt zugestehen, was der Hauptstadt aus früheren, zu optimistischen Erwartungen und emotionalen Vorbehalten verweigert worden ist: Teilungsbedingte Lasten gehören in den Fonds Deutsche Einheit.

Glauben Sie, dass eine Unions-geführte Bundesregierung dazu gegenüber dem SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit eher bereit ist als die amtierende SPD-geführte Regierung?

Es geht um eine klare und wie ich hoffe parteiübergreifende Forderung aus Berlin. Die parteiübergreifende Verweigerung dieser Forderung hat zu Problemen geführt, die man jetzt lösen muss.

In der Föderalismuskommission ist die Berlin-Klausel gescheitert. Haben Sie die Hoffnung, dass sich das nach einem Regierungswechsel ändert?

Ja. Das gehört zu den Forderungen, die von Berlin aus an eine künftige Bundesregierung gestellt werden müssen. Der Bund kann außerdem starken Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt nehmen und muss sich engagieren. Dazu gehört der Ausbau des internationalen Flugverkehrs, damit die Stadt ihre Rolle im Zentrum Europas ausfüllen kann. Er muss sich finanziell am Ausbau des Flughafens und auch an dem Anschluss Schönefelds an den nationalen und internationalen ICE-Verkehr beteiligen. Das gehört genauso in ein Regierungsprogramm wie das Engagement in Wissenschaft, Kultur und für die Vielfalt des schulischen Angebotes. Praktisch kann der Bund in Berlin über den Hauptstadtvertrag sicherstellen, dass es ein differenziertes und leistungsorientiertes Angebot an Oberschulen gibt. Zu Recht forderte er in der Vergangenheit den frühen Beginn des neusprachlichen Fremdsprachenunterricht an grundständigen Gymnasien. Eine dienende Hauptstadt sollte auch Religionsunterricht anbieten, wie es in der übrigen Republik üblich ist. Eine künftige Bundesregierung sollte das verlangen.

Das erfordert eine starke Fraktion. Derzeit gibt es nur drei Kandidaten mit Bundestagserfahrung – Roland Gewalt, Peter Rzepka und Günter Nooke. Hat die Berliner CDU die richtigen Auswahlkriterien?

Ich habe gesagt, was für mich wichtige Kriterien sind. Was Günter Nooke anbelangt: Die Berliner Union hat ihm als Partei der deutschen Einheit schon einmal verziehen, dass er in der Volkskammer nicht für die Wiedervereinigung gestimmt hat. Ich schließe nicht aus, dass das noch mal geschieht.

Sie treten für eine arme Hauptstadt in einem armen Wahlkreis an. Glauben Sie noch an den Sozialstaat alter Prägung?

Was ist der Sozialstaat alter Prägung? Wir stehen heute vor anderen Herausforderungen als vor zehn oder zwanzig Jahren. Kapital und Menschen sind in den Grenzen eines Nationalstaates nicht festzuhalten. Die Standortbedingungen müssen Unternehmen anziehen und nicht eine Ausblutung von Kapital und Intelligenz befördern. Das wirkt auf die Sozialversicherungssysteme zurück. Da sind wir international nicht mehr frei. Aber das muss nicht dazu führen, dass wir jede soziale Sensibilität verlieren. Es geht nicht nur um die Interessen des Kapitals, sondern auch um den sozialen Frieden. Offensichtliche Mängel bei Hartz IV hätten bei mehr Sorgfalt vermieden werden können – bei den verkürzten Leistungsansprüchen nach jahrzehntelanger Zahlung von Arbeitslosenversicherung bis zum Verlust der Ersparnisse kurz vor Eintritt in das Rentenalter.

Wie werden Sie mit der Frage umgehen, dass eine neue Bundesregierung die Mehrwertsteuer erhöhen kann?

Ich sprach schon von dem Maulkorb. Deutlich muss aber werden, dass es nicht zu einer besonderen Belastung der Geringverdienenden und Rentner kommen wird. Angesichts der europaweiten Mehrwertsteuersätze ist aus meiner Sicht der Katalog von Waren zu überarbeiten, deren Mehrwertsteuer gemindert ist. Güter des täglichen Gebrauchs dürfen nur geringer besteuert werden. Ich würde für Lebensmittel nicht an eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, sondern eher an eine europarechtlich abgesicherte Verringerung denken.

In Ihrem Wahlkreis werden Sie sicher oft auf Hartz IV und die Arbeitslosigkeit angesprochen. Was werden Sie den Wählern dazu sagen?

Im Wahlkreis in der Nähe des künftigen Großflughafens reden wir über die Arbeitsplätze, die mit dem Ausbau verbunden und Ansiedlungschancen, die mit der Flughafennnähe verbunden sind. Und die Hoffnung auf neue Impulse, die mit Veränderungen im Steuer-System und der Verringerung von Lohnnebenkosten verbunden ist. Neue auskömmliche Arbeitsplätze durch Kombilöhne. Berlin wird immer teurer, und das Durchschnittseinkommen sinkt. Da steht auch der Senat in der Kritik. Bei Hartz IV hätte ich mir auch von meiner Berliner Partei mehr öffentliche Kritik gewünscht. In Großstadtbezirken darf Hartz IV nicht durch die Mietenregelungen zu weiterer Ballung von sozial schwachen Bevölkerungsteilen in einzelnen Stadtteilen führen. Hier stoße ich auf große Sorgen, die durch die Ausländerprobleme noch vergrößert werden. Die Arbeitsmarktpolitik des Bundes betrachtet hier nur eine Facette eines ganzheitlichen Problems.

Das Gespräch führten Werner van Bebber und Gerd Nowakowski.

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