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Berlin: „Es gibt unendlich viele weiche Ziele“

Terroranschläge sind auch in Berlin möglich, sagt Innensenator Ehrhart Körting: Eine absolute Sicherheit gibt es nicht.

Sie haben von dem Anschlag auf London im Urlaub erfahren. Haben Sie gleich an die FußballWM 2006 in Berlin gedacht?

Nein. Ich habe zuerst an London gedacht. Die zweite Frage war dann aber, was folgt daraus für Berlin. Es gibt folgende Fragen: Wo ist man besonders empfindlich? Wo sind mögliche Terroranschläge besonders effektiv? Da kommt man dann zu Großereignissen. Für die Fußball-WM ist unter Leitung des Bundesinnenministers ein nationales Sicherheitskonzept erarbeitet worden, das auch Prävention gegen Terroranschläge umfasst.

Das Datum der Eröffnungsfeier steht fest, Terroristen konnten sich vorbereiten. Wie kann man vor Anschlägen sicher sein?

Wir müssen da unterscheiden. Für die Veranstaltungen in den Stadien gibt es ein hohes Sicherheitsnetz. Ticketbesitzer und Akkreditierte werden kontrolliert.

Und außerhalb der Stadien?

Ein Risiko besteht bei allen Veranstaltungen im Freien, bei der Fanmeile auf der Straße des 17. Juni oder am Reichstag. Natürlich gibt es dort theoretische Möglichkeiten, um Anschläge zu verüben. Das kann keiner ausschließen. Es gibt in einer freien Gesellschaft keine absolute Sicherheit. Das, was wir machen, ist eine möglichst umfassende Informationsbeschaffung im Vorfeld. Das schließt aber nicht aus, dass es irgendwo eine Gruppierung gibt, die sich zusammensetzt und einen Anschlag plant. Diese Garantie kann Ihnen keiner geben.

Wird die WM-Planung verändert?

Nein. Wenn wir jetzt sagen würden, wir machen in der westlichen Welt keine öffentlichen Veranstaltungen mehr, würden wir einen Teil unseres Freiraums aufgeben, den wir nicht aufgeben wollen.

Brauchen wir in Berlin mehr Personal?

Wenn ich als Terrorist Angst und Schrecken verbreiten will, kann ich mir alles aussuchen, ein Krankenhaus, eine Schule, eine U-Bahn. Es gibt unendlich viele weiche Ziele. Wir müssen uns darüber klar sein, dass wir die mit Personal nicht schützen können, dass Sicherheit vor Terror primär keine Frage von Personal ist.

Also was soll man tun?

Sich umfangreiches Wissen verschaffen über alle Personen, die einem bestimmten gefährlichen Bereich angehören.

Es gibt 300 gewaltbereite Islamisten in Berlin. Was machen Sie mit denen?

Wir müssen unterscheiden. Wir haben hier über 3000 Islamisten von Milli Görüs, die sind nicht gewaltbereit. Und dann haben wir vermutete Anhänger von Hisbollah und Hamas, die wir deshalb als gewaltbereit einstufen, weil sie Gewalt in Libanon oder in Israel unterstützen. Wir gehen nicht davon aus, dass diese Leute zu Gewalttaten in der Bundesrepublik neigen. Trotzdem stufen wir sie als gewaltbereit ein und beobachten sie.

Den Anschlag in Madrid haben islamistische Zellen vorbereitet. Kann sich so eine Struktur in Berlin entwickeln, ohne dass es jemand mitbekommt?

Natürlich können sich auch in Berlin vier oder fünf Leute, die einen Anschlag verüben wollen, finden, ohne dass die Sicherheitsbehörden davon Kenntnis bekommen. London zeigt ja leider überdeutlich, dass Kleingruppierungen eine Zeit lang operieren können, ohne aufgedeckt zu werden. Das muss man den Menschen draußen auch ehrlich sagen. Es gibt keine absolute Sicherheit.

Nur zwei islamische Gruppen aus Berlin haben sich von den Anschlägen distanziert. Enttäuscht Sie das?

Nein, das enttäuscht mich nicht. Ich glaube, man sollte jetzt nicht ritualmäßig von allen islamischen Gruppierungen verlangen, dass sie sich distanzieren. Ich gehe davon aus, dass die Muslime der Stadt die Tat verabscheuen wie wir.

Woher rührt diese Einschätzung?

Ich habe nach den Madrider Anschlägen viele Gespräche geführt. Weder bei türkischer noch palästinensischer Community gibt es Sympathie für den Terror. Die Menschen sind genauso betroffen wie wir. Und das sind keine Lippenbekenntnisse.

Was muss trotzdem geschehen?

Der eigentliche Kampf gegen Terrorismus wird der Kampf in den Köpfen sein. Es muss dazu kommen, dass islamische Rechtsgelehrte Terror viel stärker thematisieren und deutlich machen, dass das mit dem Koran nicht zu begründen ist.

Aber dafür wäre es gut, wenn viele islamische Vereine sich distanzieren.

Für mich ist das nicht so sehr eine Frage der muslimischen Vereine. Ich glaube nicht,dass man jetzt von Muslimen verlangen sollte, dass sie sich distanzieren. Das sieht nach ritualisierter Bringeschuld aus.

Auch symbolische Gesten sind wichtig. Sie haben ja auch Ihren Urlaub unterbrochen.

Ich gehe davon aus, dass gläubige Muslime deutlich machen, dass der Terror mit Glauben nichts zu tun hat. Aber das ist nicht so sehr eine Frage von Vereinsdeklarationen. Ich will vielmehr erreichen, dass so etwas von den Imamen in den Moscheen thematisiert wird. Die muslimische Welt soll sich auseinandersetzen.

Brauchen wir die stärkere Überwachung des öffentlichen Raums durch Video?

Videoüberwachung ist vielleicht wichtig für die Aufklärung von Straftaten. London zeigt aber in schrecklicher Weise, dass sie zur Verhinderung von Anschlägen nichts beträgt. Wir sind zur Terrorismusbekämpfung so gut aufgestellt, wie ein freiheitlicher Staat aufgestellt sein kann. Und alles, was jetzt an Forderungen erhoben wird, ist Wahlkampfgetöse.

Gilt das auch für die Forderung, jetzt die Terrorgesetze zu verschärfen?

Wir hatten erhebliche Veränderungen nach dem 11. September. Jetzt noch weitere Verschärfungen zu fordern, scheint mir ein Missbrauch der Situation zu sein.

Der bayerische CSU-Innenminister Beckstein hat gesagt, dass er als Bundesinnenminister den Umzug des Bundesnachrichtendienstes nach Berlin stoppen wird.

Das ist töricht. Terrorismusbekämpfung bedeutet in erster Linie, sich ein dichtes Netz von Informationen zu verschaffen, und das bedeutet auch, dass ich einen Gedankenaustausch der beteiligten Nachrichtendienste habe, der im persönlichen Gespräch am besten funktioniert. Ich halte es für aberwitzig, dass wir in der heutigen Situation die räumliche Verteilung haben: die Bundesregierung in Berlin, das Bundeskriminalamt in Wiesbaden, den Bundesnachrichtendienst in Pullach und den Verfassungsschutz in Köln.

Die Beteiligten müssen für Besprechungen erst nach Berlin fliegen.

Ich muss aber Entscheidungen häufig in kürzester Zeit treffen. Wenn es Beckstein ernst ist mit der Sicherheit, sollte er für einen schnellen Umzug der politikberatenden Sicherheitsbehörden nach Berlin sorgen. Sonst funktioniert das nicht. Beckstein schießt sich doch selbst ins Knie, wenn er sagt,wir brauchen eine bessere Aufstellung und gleichzeitig aus dorfpolitischen Ambitionen sagt, der BND müsse in München bleiben.

Das Interview führten Ariane Bemmer und Gerd Nowakowski

EHRHART KÖRTING, 63, ist seit Juni 2001 Berlins Senator für Inneres. Der SPD-Politiker ist Jurist. Von 1992 bis 1997 war er Vize-Präsident des Landesverfassungsgerichts.

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