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Berlin: Es kommt der leise Verdacht auf, dies könnte ein verkapptes italienisches Restaurant sein

Yorckstr. 84, 10965 Berlin Kreuzberg, Tel.

Yorckstr. 84, 10965 Berlin Kreuzberg, Tel. 78 09 88 08, geöffnet: täglich ab 9 Uhr, Abendkarte ab 18 Uhr, Kreditkarten: alle gängigenBernd Matthies

Es gibt Gegenden in Berlin, die den gesammelten Gleichmut des Restaurantkritikers erfordern: Er fährt um den Block, sieht ein Dutzend Gaststätten aller erdenklichen Kategorien - und dreht ab. Wo anfangen, wo aufhören? Ein Jahr später fährt er um denselben Block - und hat den Eindruck, daß in dieser Zeit 75 Prozent der besagten Betriebe Namen, Konzept, Betreiber oder auch alles auf einmal geändert haben. Darüber schreiben, hieße Makulatur produzieren, denn ein paar Tage später kann alles schon wieder ganz anders sein.

Eine dieser Gegenden ist die Ecke zwischen Mehringdamm und Yorckstraße, vermutlich deshalb, weil gegenwärtig ganz Kreuzberg in der bekannten Identitätskrise steckt und deshalb dazu verdammt ist, ganz furchtbar viel herumzuexperimentieren. Das Bistro-Restaurant gegenüber dem Rathaus Kreuzberg, das auf den Namen E. T. A. Hoffmanns hört, besteht inzwischen schätzungsweise ein Jahr und hat deshalb den Eintagsfliegen-Verdacht hinter sich. Außerdem ist es ein Teil des einst leicht verstaubten, jetzt aber offenbar sehenswert aufgefrischten Hotels "Riehmers Hofgarten". Der Weg führt durch die Halle in einen zwar sparsam, aber mit moderner Kunst freundlich eingerichteten Raum, den die Halogenlampen der 80er Jahre in neuer Version überraschend modern ausleuchten - endlich mal ein neues Bistro, in dem man sich nicht fühlt wie im Kardiologen-Wartezimmer.

Die Karte . . . Na ja. Vorspeisen sind knapp, und es kommt der leise Verdacht auf, dies könnte ein verkapptes italienisches Restaurant sein. Ist es wohl auch: Die Tagliolini - schmale Bandnudeln - leicht scharf mit Meeresfrüchten, waren ausgezeichnet gelungen und wurden als Vorspeise anstandslos in kleiner Portion serviert. Dann war da noch eine Ententerrine, ganz nett mit Backpflaumen und etwas Speck drumherum, dazu ein wenig Grünzeug, das wir uns selbst mit Essig und Öl anmachen sollten; nicht optimal, aber auch recht italienisch.

Tafelspitz auf italienische Art - das schien uns ein Mißverständnis zu sein. Was kam, ließe sich wohl am ehesten als Bollito Misto beschreiben, eine Kombination von gekochtem Fleisch, Zunge und Wurst, möglicherweise gefüllter Schweinsfuß, dazu Kräutersauce und Gemüse. Das klingt nun besser, als es schmeckte, nämlich mit einem ziemlich langweiligen Einheitsaroma und arg zermanschten Gemüsen. Die Ente mit Kirschdip (Dip?) war recht brav, gebratene Brust, recht zart in Scheiben, dazu eine fruchtige rote Sauce, Spinat mit versprochenem, geschmacklich aber sehr unauffälligem Ingwer und ein paar Kartöffelchen. Dagegen war wenig einzuwenden, aber es schmeckte auch nicht sehr zwingend, ungefähr wie das Experiment eines talentierten Hobbykochs, dem man gern auf die Schulter klopfen würde.

Danach sah dann auch eines der Desserts aus, eine Creme von Amarena-Kirschen: zu weich und deshalb optisch wenig ansprechend auf den Teller geklatscht, außerdem sehr süß, weil ohne Gegengewicht. Zitronen-Panna-Cotta und Mousse au chocolat waren besser gelungen.

Ansprechend und angenehm zurückhaltend kalkuliert ist das Weinangebot; wir wurden allerdings in eine Falle gelockt, weil Handzettel an der Tür ein Menü mit Weinen des renommierten Pfälzer Winzers Werner Knipser ankündigen - dessen Weine aber überhaupt nicht auf der Karte stehen. Wir trösteten uns mit einem guten Veltliner aus dem Kamptal und einem ebenso guten Espresso, der uns als endgültiger Beweis dafür diente, daß das hier ein italienisches Restaurant ist. Allerdings hat es seine richtige Linie noch keineswegs gefunden.

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