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Berlin: Es war einmal in SO 36

Sein Kreuzberg-Roman „Herr Lehmann“ machte Sven Regener zum Literaturstar. Jetzt verfilmt Leander Haußmann den Bestseller mit Christian Ulmen und Detlev Buck

Trutzig ragt der Flughafen Tempelhof, Kreuzberg hat man von hier prima im Blick. In „Bauteil 1, Aufgang B“ haust die Filmproduktion Boje Buck, mit ihren Büros, ihrem Kostümraum, der riecht wie ein Kreuzberger Secondhandladen, und einem kleinen Vorführraum - der duftet nach frischem Kaffee. 4,2 Mio Budget, 37 Drehtage, „40 Prozent im Sack“, umreißt Leander Haußmann die Situation. Aus einem Projektor in einem provisorischen Styropor- und Lattenverschlag flimmern ein paar Minuten „work in progress“.

Plots zu finden sei ja gar nicht so schwer, findet Haußmann, „aber Charaktere“! Und dass er mit Herrn Lehmann einen der seltenen Charaktere gefunden hatte, „die man unbedingt zum Leben erwecken musste“, war ihm schon nach den ersten fünf Seiten des Buches klar. Also vergeudete er keine Zeit, sich „in die Gunst des Autors zu schleimen“, wie er das ausdrück. Es verging kein Jahr, bis in Kreuzberg die Kameras zu surren begannen.

MTV-Moderator Christian Ulmen bestreitet die Hauptrolle. Ulmen, da waren sich alle einig, war einfach Lehmann, dieser taumelnde Mensch mit der Verantwortungsphobie. „Wie ein zwei Monate andauernder Museumsbesuch“, so kam es Ulmen dann vor, im Kreuzberg von heute die Stimmung vor dem Mauerfall wiedererstehen zu lassen. Auch Frank Griebe ist zuerst mal Kreuzberger, soll aber nebenbei ein ziemlich guter Kameramann sein. So fährt hier jeder auch seinen ganz persönlichen Kreuzberg-Film, der sich zusammensetzt aus verklärten Erinnerungen und frischen Erfahrungen.

Da gibt es nämlich die Originalschauplätze - und die sind nur echt mit den original durchgeknallten Typen. An der Skalitzer Straße, „einem Umschlagplatz der Unikümmer“, sagt Haußmann, hat neulich einer am Set randaliert. Haußmann rief die Polizei, und „einige Vorruheständler erklärten mir am Telefon, dass keine Eilfahrt nötig sei.“ Den Störer kannten sie dort schon und hatten dann doch einige Stunden zu tun, ihn wieder loszuwerden. Später, auf dem Video des Praktikanten, konnte man sehen, wie zierliche Polizisten mit einem recht wirkungslosen Pfefferspray den Goliath unschädlich zu machen versuchten.

Da ist die Kulisse sicherer: die Kreuzberger Markthalle, die komplett geklont in Köln steht, und ein Straßenzug, den konnte man aus der „Sonnenallee“ wiederverwenden. Und die berühmte Hundeszene am Lausitzer Platz, in der Herr Lehmann einen Hund betrunken macht? Die wurde in der Bastianstraße gedreht. Ist ja auch egal, wo man sich besäuft, wird sich der Hund gedacht haben.

Und das innere, eigentliche Thema des Films? Haußmann will es nicht nennen. Irgend etwas wehrt sich in ihm, „Überschriften zu liefern“. Wenn, dann sollte ohnehin nicht er, sondern Hauptdarsteller Ulmen dazu sprechen. „Ahahaaa“, sagt der, „wie ich schon sagte: ich habe gegenüber der Figur das Denken eingestellt.“ So lasse sich besser und authentischer spielen. Jedes weitere Nachdenken, jede Recherche im Milieu, jede Analyse des Charakters würde nur das Spiel verwässern.

Detlev Buck erinnert das Ganze verschärft an seine Berliner Zeit vor dem Mauerfall. „Da haben wir nächtelang diskutiert. Alles Kommerzielle ist Scheiße, das wurde mir vorgeworfen. Es ging um Subjektivität und Objektivität und für wen das, was man macht, eigentlich wichtig sein muss. Für die anderen? Oder zuerst für einen selber? So ging das bis zum Abend. Und am nächsten Tag von vorne los.“ In diesem Sinne, dass man sich die Fragen dieser Art wieder stellt, das könnte dieser Film auch bewirken. Aber Buck sagt auch: „Ich kenne jede Menge Leute, die abgestürzt sind in diesem Kreuzberg. Es war ein Ort, an dem man seine eigene Zeit bestimmte und dann dort nicht mehr herausfand. Kreuzberg war für solche Lebensläufe prädestiniert.“ Buck mit seinen schwarzen Zottelhaaren, dem Pelzbesatz an der Jacke, ganz mit der Attitude dessen, der dabei war, wirkt da wie ein gerade noch Geretteter. Und weil die Geschichte noch gar nicht lange her ist und jeder seinen Lehmann kennt, fühlen sich viele so verdammt erkannt.

Nun hat den Roman und das Drehbuch ja ein Sänger geschrieben, Sven Regener von Element of Crime. Für Haußmann sind ein Stück, ein Film nicht ohne Musik denkbar. Welche das sein wird, nach noch mal einem Jahr Arbeit, ob Regener selbst einen Song beisteuert, ob sich eine passende Stelle findet, kann heute noch niemand sagen, „so weit sind wir noch nicht.“ Haußmann kann überhaupt noch wenig sagen. Das aber tut er unterhaltsam. Produzent Claus Boje dagegen kann schon sagen, dass es der Humor war, diese „lakonische Haltung zum Leben“, die ihn an diesem Buch überzeugte. Und er weiss, dass der Autor Sven Regener erst wieder im Prozess dabei sein wird, wenn alles Material abgedreht ist. Er, der die Figur Lehmann erfand, der sich von ihr kaum noch trennen kann, der „zu nah dran ist“ – ihn weiß man, wenn es ans Drehen geht, lieber in sicherer Entfernung.

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