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Es wird kälter: Das Occupy-Camp plagt die Grippe

Am Bundespressestrand muss der Kampf gegen das weltweite Finanzsystem zurückstehen hinter drängenderen Fragen. Der Wintereinbruch macht den Occupy-Aktivisten zu schaffen. Aber auch die Stimmung im Lager ist merklich abgekühlt.

Es ist ungemütlich geworden im Camp am Spreeufer: Von draußen rüttelt der Wind an der Zeltwand, und der Ofen in der Mitte hilft nicht gegen die Kälte. Hoch her aber geht es trotzdem im Basislager der Berliner Occupy-Gemeinde. Bei der täglichen Zusammenkunft – sie nennen sie Asamblea – drehen sich die Debatten derzeit aber weder um neue Aktionen noch um die nächsten öffentlichen Erklärungen. Der Kampf gegen das weltweite Finanzsystem, zu dem sich die Protest-Camper hier ursprünglich mal niedergelassen haben, muss zurückstehen gegenüber drängenderen existenziellen Fragen: Erhalten wir unser Camp mithilfe von Geld oder versuchen wir, durch ein alternatives Tauschsystem über den Winter zu kommen?

Seit etwa fünf Wochen belagern die Bankengegener den Bundespressestrand in Mitte. Und angesichts der einsetzenden Kältezeit und der drohenden Räumung beschäftigen sie sich immer mehr mit sich selbst, mit ihrer „Community“, anstatt mit den großen Problemen der Weltordnung. Viele Camper haben sich in ihren windschiefen Bleiben erkältet und sind wieder in feste Häuser gezogen. Neu im Lager sind dafür einige Bewohner, die mit der Ursprungsidee der Bewegung nicht mehr viel zu tun haben – und neuen Konfliktstoff in die Diskussionen bringen. Neben der Geldfrage ging es kürzlich etwa darum, ob die Bewohner Alkohol trinken dürfen. Der Grund: Vor einem Zelt hatten sich Cidre-Flaschen gestapelt.

„Das Camp hat gerade die Grippe“, sagt Stephan Krause. Die müsse man auskurieren. Danach, im Frühjahr, werde es wieder mit neuen Ideen nach außen dringen. Sein Optimismus erscheint verständlich: Der 23-Jährige verbringt die Nächte erst seit einer Woche in einem der Zelte, eingewickelt in einen dünnen Schlafsack. Der Kindergärtner lebt und arbeitet in Wien und verbringt seinen dreiwöchigen Urlaub im Berliner Zeltlager.

Am Eingang des Versammlungszelts steht Fabrice Piescher, 17, in der Hand hält er eine dicke selbstgedrehte Zigarette. Er ist erst seit einer Woche im Camp. „Ich habe von Freunden gehört, dass es hier ganz gechillt ist“, sagt er und lächelt breit.

Fabrice und einige andere Aktivisten sind der Grund dafür, dass die Gemeinde in der Asamblea gerade eine Debatte über verschiedene Wege zum Lebensunterhalt führt. Sie haben den Arbeitern nebenan geholfen, den Teil des Bundespressestrandes hinter den Camp-Wänden zu demontieren. Für 400 Euro und jede Menge Brennholz. Sie schleppten verwurmte Holzplanken herüber, bis die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) es verbot. Ihr gehört das Grundstück. In die gemeinschaftliche Kasse legen wollten sie den Lohn anschließend allerdings nicht, zumindest nicht komplett. „Das ist zu unsicher, die wurde schon ein paar Mal geklaut“, sagt Fabrice.

Es sei ein ständiges Kommen und Gehen im Occupy-Camp, sagt ein älterer Protestler, der seit Beginn immer mal wieder in der Zeltstadt übernachtet. Und er findet das gut. Die neuen Bewohner kämen zwar nicht immer vordergründig wegen der politischen Proteste, zeigten sich aber fast immer sehr engagiert im Zusammenleben. Stephan Krause pflichtet ihm bei: „Es ist im Moment einfach mehr ein soziales Projekt als ein politisches.“

Ach ja, die Frage, ob Brennholz und Essen mit Geld erworben werden dürfen, konnte an diesem Tag in der Asamblea nicht geklärt werden. Johan Dehoust

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