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Lebensberatung: Die Wahrsagerin Aranka legt die Karten.

© Thilo Rückeis

Esoterik-Messe im Wilmersdorfer Logenhaus: Stolperpfad zum Seelenheil

Wer die Erleuchtung sucht, hat es auch nicht immer leicht - sondern muss etwa wochenlang in einem dunklen Raum meditieren. Auf der Esoterik-Messe sind aber auch schnelle Methoden im Angebot. Kein Wunder: Es geht um viel Geld.

Um viertel vor drei scheint es Gott zu reichen; Zeit, hier mal etwas klarzustellen. Wie das denn sein könne, dass manche Menschen ersticken, fragt eine Frau aus dem Publikum. Ob das nicht grausam sei und wie Gott das zulassen könne. Welch ein Glück für Gott, denn Eva-Maria ist da. Eine diplomierte Schamanin aus dem Breisgau, Spezialgebiet: Kontakte ins Jenseits knüpfen.

Heilkünstler halten Vorträge

Eva-Maria hat einen guten Draht nach oben, oder der da oben einen guten Draht nach unten, je nach Perspektive. „Macht euch doch nicht so viele Sorgen“, lässt Gott jetzt Eva-Maria ausrichten. Nicht einmal beim Ersticken? Ja nun. „Da ist vieles schon vorher abgesprochen. Keiner wird etwas erleiden, wofür er nicht vorher schon bestimmt war“, informiert Gott. Mit anderen Worten: halb so wild. Alles eine Frage des Vertrauens, wird-schon-werden, und bitte nicht immer so viel nachdenken. „Die Konkurrenz der Seele ist das Gehirn“, hatte Eva-Maria bereits vorher mitgeteilt, ganz ohne göttliche Einflüsterung sogar, und vielleicht ist das gar kein schlechter Leitspruch für diesen Tag. Das Wilmersdorfer Logenhaus am Freitagnachmittag: Die Esoterik-Messe öffnet ihre Tore. Rund 2500 Besucher kommen bis zum heutigen Sonntag, sagen die Veranstalter. Hören sich Vorträge von diversen Heilkünstlern an, basteln an ihrem Seelenheil und geben Geld aus. Zehn Euro an der Kasse, diverse weitere an den verschiedenen Messeständen.

Bis zu 15 Prozent der Bevölkerung sind empfänglich für esoterische Praktiken jenseits der großen Religionen, ergab eine Studie der Universität Hohenheim. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels zählt derzeit 7818 in den Buchhandlungen verfügbare Ratgeber in Sachen spirituelle Lebensführung – und allein im letzten Jahr kamen 917 Titel neu dazu. Esoterik als Boombranche?

Genaue Umsatzzahlen kennt niemand, Schätzungen gehen von rund 25 Milliarden Euro jährlich aus. Zwar verraten auch katholische und evangelische Kirche nicht genau, was sie an Geld kassieren. Aber zumindest bei der vergleichsweise transparenten Kirchensteuer liegen sie wohl weit hinter der Eso-Branche. Zusammen kamen Katholiken und Protestanten im Jahr 2012 auf knapp zehn Milliarden Euro. Der Rest ist Stillschweigen.

Die sonnenbebrillte Indianerin

Solche Verstocktheit ist auf der Esoterik-Messe eher unüblich. 50 Euro koste die halbe Stunde Beratung, sagt Eva-Maria am Ende des Vortrages, ob noch jemand einen Flyer brauche und dass sie ihren Stand im Obergeschoss aufgestellt habe. Auf dem Weg dahin passiert der Besucher diverse Stände, die mit Zetteln darüber informieren, dass hier auch Kreditkarten akzeptiert werden. In einer Ecke sitzt eine sonnenbebrillte Indianerin mit weißer Haut und Federschmuck und teufelt auf eine Zuhörerin ein. Scheppernd schnürt eine Wahrsagerin durch die Messeräume, bahnt sich schellenklingend ihren Weg durchs Publikum, Altersdurchschnitt 50plus, Frauenanteil vielleicht 80 Prozent.

Jürgen Siebert verkauft Vitalkaraffen - das soll Wasser mit Energie versehen.
Jürgen Siebert verkauft Vitalkaraffen - das soll Wasser mit Energie versehen.

© Thilo Rückeis

Der Weg zum viel gepriesenen positiven Bewusstsein – er scheint ein Stolperpfad zu sein. Erstaunlich oft sind daran Erlebnisse aus der Kindheit schuld. So musste sich eine Autorin erst für mehrere Wochen in einen dunklen Raum einsperren, fasten und meditieren, um schließlich zu erfahren, dass ihr Vater wohl ein ziemlich autoritärer Miesepriem gewesen ist. Eine andere ist kurzsichtig und trägt deshalb eine Brille. Hornhautverkrümmung? Wer weiß das schon. Vielleicht ist auch einfach eine Weiterleitung blockiert. Mit einer „Organetik-Röhre“, einem „Schubelement“ und einer Art Pendel, das an einen überdimensionierten Milchaufschäumer erinnert, macht sich die Tierärztin und Heilpraktikerin Sue Hartenstein auf Symptomsuche. Alle negativen Schwingungen werden gelöscht, erst mal im großen Maßstab. „Da gehe ich mit dem Kärcher ran“, sagt Hartenstein, Blockaden wollen harmonisiert sein, dann die Entdeckung: Auf der „Geistebene“ der Patientin wird Hartenstein fündig. Hier sitzt das Brillen-Problem, ein erlittenes Trauma im Alter von fünf Jahren. Schnell gelöscht, positive Energie hinein, jetzt wieder klare Sicht?

„Nein“, sagt die Patientin, dafür tue das eine Auge jetzt etwas weh. Eine einzelne Behandlung reicht auch fast nie aus, sagt Hartenstein, die 45 Minuten Pendelei für 75 Euro. Klingt nach Folgeaufträgen und einem einträglichen Geschäftsmodell.

„Da werden Menschen verblödet“, sagt Martin Mahner, Leiter des Informationszentrums der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP). „Ihnen werden Diagnosegerätschaften verkauft und die tatsächlich notwendige Behandlung beim Arzt findet dann mitunter gar nicht mehr statt.“ Betrüger seien die Heilpraktiker in den seltensten Fällen, sagt Mahner, denn dazu müssten sie mit Vorsatz handeln. Stattdessen würden sie einer Selbsttäuschung erliegen „und geben die dann weiter“.

Die Außerirdischen sind da

Mit Selbsttäuschung braucht man dem Herren im Untergeschoss an diesem Freitag nicht zu kommen. Andersherum wird ein Schuh daraus: Was er weiß, wissen kaum welche. Und die, die es nicht wissen wollen, sind verblendet. Dabei seien die Zeichen in letzter Zeit geradezu übermächtig geworden, sagt er. Die Außerirdischen sind da, stanzen Kornkreise in Felder und energetisieren damit die Erde. Ein weit verzweigtes Netzwerk von „Meistern der Weisheit“ treibe sich auf der Erde herum, stünde in Kontakt mit Außerirdischen und arbeite auf den Tag hin, an dem – grob gesagt – alles super wird.

Auf Klaus Wowereit wird man dann leider verzichten müssen. Auf ihn warte stattdessen ein „trauriges Ende“, teilt Wahrsagerin Xenia derweil mit. Schon länger sei er „unzufrieden“, würde gerne in Rente, brauche aber das Geld. Rücktritt scheidet also aus. Beerben wird ihn, so Xenia, ein Mann, der schon bei der letzten Wahl als Spitzenkandidat antrat und ob seiner damaligen Niederlage lange „sehr traurig“ war. Anders gesagt: Nächster Regierender Bürgermeister wird Christoph Meyer von der FDP. Er schaffte bei der letzten Wahl nicht ganz zwei Prozent. Also war wohl kaum jemand trauriger als er.

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