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Espiner

© Thilo Rückeis

Espiners Berlin: Der Tempel der Street Fashion

In den Hallen des stillgelegten Flughafen Tempelhof werden bei der "Bread & Butter"-Modemesse aktuelle Streetwear gezeigt. Alle scheinen sich einig, dass der Bau von 1936 die perfekte Location ist. Oder ist er es am Ende wirklich?

Es stimmt tatsächlich. Während der Fashion Week gibt es einfach nicht genügend verfügbare Taxis. Ich wartete am Taxistand am Alexanderplatz, der normalerweise voll ist mit Taxis, die sich gegenseitig Konkurrenz machen, aber kein einziges war da. Panik stieg in mir hoch. Es war zehn nach neun. Ich musste in 20 Minuten in Tempelhof sein, um mich dort mit Bread & Butters Geschäftsführer Karl-Heinz Müller und Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit zur Eröffnung der Modemesse zu treffen, über die gerade jeder zu reden scheint. Zusammen mit 50 anderen Gästen im Gefolge sollte ich die Gelegenheit haben, mit ihnen die Show zu besichtigen. Ich musste einfach eins bekommen.

Und dann sah ich es, das wunderbare Licht eines Taxis. Ich stoppte es und schwang mich auf den Rücksitz. „Tempelhof, bitte“, sagte ich außer Atem. „Oh nein!“, stöhnte der Taxifahrer und schlug seinen Kopf gegen das Lenkrad in Verzweiflung. Er war heute schon zum fünften Mal dort. „Bitte“, sagte ich, „ich bin spät dran“. „Ok“, war seine Antwort, „aber ich warne sie, der Verkehr ist schlimm.“

Er hatte recht. Er wurde zäher und zäher je mehr wir uns Tempelhof näherten. Es sah fast so aus, also ob ganz Europa auf dem Weg dorthin wäre. Es war schon 9.25 und wir waren immer noch mehr als einen Häuserblock entfernt. „Steigen sie aus“, sagte der Taxifahrer, „sie sind zu Fuß schneller und ich kann gleich wieder jemand abholen – heute ist ein sehr hektischer Tag für mich.“

Ich schloß mich dem Pulk von Leuten an, die sich nach Tempelhof drängten, der zumindest für ein paar Tage zu einem Tempel der Mode werden sollte.

Es ist ein sehr beeindruckendes und, darf ich es sagen, schönes Bauwerk. Majestätisch und durch und durch voll mit Geschichte. Als ich durch den Eingang ging, erinnerte ich mich daran, wie der BBC Journalist Matt Frei in seiner dreiteiligen Dokumentationsreihe über Berlin genauso überwältigt war von diesem Gebäude, wie ich es jetzt bin. Und während ich darüber nachdachte, was alles hier geschah, kam mir seine Frage in den Sinn: „Ist es ok so ein Gebäude zu mögen?“

Ist es ok so eine Gebäude zu mögen, fragte ich mich selbst, jetzt, wo es vollgestopft ist mit modischen Konsumgütern. Diese Frage war zu schwerwiegend so früh am Morgen.

Die Aussicht vom Balkon hoch oben, wo ich Müller und Wowi (wie ich gelernt habe ihn zu bezeichnen) treffen sollte, war beeindruckend. Die anschwellende Menge füllte langsam komplett die Haupthalle und staute sich vor den Eintrittsschranken. Die Leute schienen von diesen wie von einem gigantischen Magneten angezogen zu sein. Die alten Gepäckförderbänder wurden umfunktioniert. Anstatt Gepäck waren sie bepackt mit Look Books, Katalogen und Goody Bags. 

Ich erblickte Karl-Heinz-Müller, als er den Tagesspiegel las, zu meiner Freude. Er wartete auf den Bürgermeister. „Haben Sie Spaß?“, fragte ich ihn. „Ja“, antwortete er vorsichtig. „Sie haben noch ein paar Tage vor sich“, sagte ich und dann kam Wowi an und ich verschwand in seinem Schatten.

Er und Müller überblickten die Szenerie als wäre es ihr Königreich, was es ja auch in gewisser Weise ist. Auf einmal polterten Bassklänge aus den Lautsprechern und Musik füllte den Raum. Die Atmosphäre in der Luft ähnelte der eines Rockkonzerts. Und dann starteten die beiden durch.

Müller und Wowi teilten die Menge mit einer Gefolgschaft an TV Teams, Kameras und Notebook-schwingenden Journalisten wie ich. Wir schwemmten die Treppe herunter und durch den Eingang in einen Bereich, der zu einer riesigen Vorhalle umgebaut war. Ich stellte fest, dass Wowi keine Jeans trug und dachte, dass dies ein kleines Versehen ist, schließlich ist dies hier ja der Himmel des Denim. Aber er war lässig gekleidet, mit einem am Kragen offenen Hemd und Wildlederschuhen. Ich dachte, ich frage ihn nach seiner Kleiderwahl, aber konnte nicht nahe genug an ihn herankommen, also gab ich mich damit zufrieden, mit einem seiner Bodyguards zu sprechen. Da er ja Polizist ist, wollte Jens mir auch nicht seinen vollen Namen geben und hatte stets ein Auge auf seinen Boss, während ich ihn fragte, welche Kleidung Wowi denn gerne trägt. „Frag ihn“, war seine Antwort. Da ist wieder dieser Berliner Charme, dachte ich. „Was denken sie denn dann über diese tolle Modemesse?“, fragte ich ihn und bemühte mich, etwas freundlicher zu sein. „Gefällt sie Ihnen?“ Jens fand sie prima, so wie alle anderen, mit denen ich gesprochen habe. „Die ganzen modernen Sachen sind hier, so kann man sehen, was gerade angesagt ist.“ Obwohl, dachte ich, so viel bekommt man als Bodyguard wahrscheinlich auch nicht mit. 

Wowi spazierte weiter und zusammen mit Müller, der Leute mit Umarmungen und Händeschütteln begrüßte, führte er uns an. Die Situation hatte die Atmosphäre eines Treffens alter Freunde. Ich hatte ein kurzes Gespräch mit Tarlach de Blacam von der irischen Strickwarenfirma Inis Meain, der gerade eben der Empfänger eines besonders enthusiatischen Händeschüttels geworden war. „Wie ist es, hier zu sein?“ „Fantastisch“, sagte er. Und toll, Karl-Heinz-Müller wiederzusehen. Er erzählte mir dann, dass der Bread & Butter Boss, der auch den Laden 14 oz. in Mitte führt, zu ihm nach Irland gekommen ist, um ihn kennenzulernen und dass die beiden sogar zusammen Fischen gegangen sind. Er sagte mir, dass ich doch dazu auf seiner Webseite nachschauen sollte. Wow, dachte ich, das ist wirklich Liebe zum Detail und gute Kundenbetreuung.

Diese Tempelhof-Frage wurmte mich jedoch weiter. Also fragte ich Tarlach. „Ist es ok, Tempelhof zu mögen?“ „Er ist wunderschön“, sagte er, fasziniert. „Das Mauerwerk in der Sonne heute morgen war fantastisch.“ Ja, da war die Nazivergangenheit, gab er zu, aber er kannte das Bauwerk von der eher positiv besetzten Berliner Luftbrücke. Und es sei super, hier zu sein, fügte er hinzu.

Als Wowi weiterzog, hing ich am Doc Martins Stand herum. „Es gibt einfach kein Problem mit dieser Messe“, sagte einer des Teams dort, „sie ist brilliant organisiert.“ Aber ist es ok Tempelhof zu mögen? „Natürlich, es ist eine Bauikone!“, rief einer von ihnen enthusiastisch und bevor ich irgendeine Angst zeigen konnte, versuchte ich schnell, mich für ihre neueste Zusammenarbeit mit dem japanischen Label Bathing Ape zu interessieren, von denen ich noch nie zuvor gehört hatte.

Auch wenn es alles ein bisschen überwältigend war – da waren die extravaganten Stände der großen Marken, die eher wie Nachtclubs aussahen und eine strenge Einlasskontrolle hatten, und es gab riesige Touchscreens, die einem helfen sollten, sich auf dem Gelände auszukennen – passte es doch perfekt zu den höhlenartigen Räumen der alten Flugzeug Hangars. 

Ich beschloß, etwas an die frische Luft zu gehen, fand aber dann die Mischung aus Fashion Show- und Flugplatz-Schildern völlig verwirrend. Ein Schild sagte mir, ich solle zum Business Club und der Press Lounge gehen, das andere wies mich in Richtung Gepäckausgabe Inland. 

Zurück in der Haupthalle standen die Leute immer noch Schlange bei der Registrierung. Es sah aus wie ein richtiger Flughafen mit Leuten, darum bemüht sich einzuchecken. Ich manövrierte mich durch die Menge und warf mich schließlich gegen die Eingangstüren und hinaus auf den Gehweg, an dem ein geschäftiger Taxistand auf mich wartete.

Ich ging zum vordersten Taxi. „Alexanderplatz, bitte“, sagte ich erschöpft. „Natürlich“, sagte der Taxifahrer und sah ebenso erschöpft aus. Ich fühlte mich, wie wenn ich auf dem Rückflug von einem interessanten Land gewesen wäre. „Sie sind nicht so müde, wie ich es bin“, sagte der Taxifahrer fröhlich, „ich war noch nie so beschäftigt!“ "Danken Sie Bread & Butter dafür", sagte ich zu ihm. 

Sie können Mark Espiner emailen unter mark@espiner.com oder ihm auf Twitter folgen @DeutschMarkUK. 

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