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Berlin: Eure Kinder sind Berliner!

Was Fußball mit dieser Stadt zu tun hat? Alles! Auch von Zugereisten kann man Sympathie für die hiesigen Klubs erwarten

Am Sonntag bin ich in die Schwalbe gefahren. Fußball gucken, Hertha BSC bei Werder Bremen, live im zu Hause nicht frei empfangbaren Bezahlfernsehen. Bin ein bisschen spät dran und habe alle Mühe, ein Bier zu bestellen, so dicht drängen sich die Leute am Tresen. Wusste gar nicht, dass Hertha so angesagt ist in Prenzlauer Berg.

Darüber denke ich noch nach, als Herthas Führungstor fällt. Seltsamerweise bin ich der Einzige, den das interessiert. Da erst geht mir auf, dass die vielen Leute vor mir keineswegs neue Getränke bestellen, sondern ihre alten bezahlen. Alle schwärmen vom frisch besiegelten 2:0-Sieg ihres 1. FC Köln gegen Hoffenheim. Damit ist der Kneipennachmittag für die meisten beendet. Das zweite Spiel des Tages interessiert nur noch unverbesserliche Idioten wie mich, was mir immerhin einen grandiosen Platz an der Theke direkt vor dem Großbildschirm beschert. Und die Erkenntnis, dass irgendwas nicht stimmt mit der Berliner Alltagskultur.

Was Fußball mit der Berliner Alltagskultur zu tun hat? Alles! Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass es beim Fußball vorrangig um Sport geht. Fußball ist ein schichten- und systemübergreifendes Phänomen, unverzichtbar für regionale Verankerung und kollektives Selbstwertgefühl. So sollte, könnte das auch in Prenzlauer Berg sein. Aber hier sind sie nur stolze Berliner, wenn es darum geht, dass die Kastanienallee unverändert im morbiden DDR-Charme vor sich hin siecht. Als Fußballfans aber sind diese Neu-Berliner ihrem vorigen Leben als Bremer, Kölner oder Stuttgarter treu geblieben.

In der neuen Mitte Berlins hat die Fußballsympathisantenszene längst das Geburtsortprinzip außer Kraft gesetzt. Zu den wenigen Neuankömmlingen am Sonntag in der Schwalbe zählt ein junger Vater mit seinem vielleicht fünfjährigen Sohn, der trägt ein Werder-Trikot im XXS-Format. Was den Fußball betrifft, verweigert sich die Neu-Berliner Boheme der Integration genauso standhaft, wie es die Politik oft den Neu-Berlinern in Neukölln vorhält. Aber wenn wir von den Zugereisten aus Anatolien das Erlernen der deutschen Sprache einfordern – können wir da von Zugereisten mit altbundesdeutschem Migrationshintergrund nicht ein wenig distanzierte Sympathie für die hiesigen Fußballklubs erwarten? Selbstverständlich könnt ihr WerderKöln-Schalke-Fans bleiben! Aber lasst doch eure Kinder Berliner sein!

Die zweite Halbzeit von Herthas Spiel in Bremen schaue ich mir bei Alois S. in der Senefelder Straße an. Im riesigen Saal ist nur noch ein Platz vorm Damenklo frei. Das Alois S. ist heute ein kleines, lautes Stück Bremen mitten in Berlin. Werders späten Sieg feiern die Väter mit ihren Söhnen tanzend im Garten. Eine selige Mama ruft in die Runde: „Nichts ist so schön wie ein Sieg gegen die Scheiß-Hertha!“

Das erinnert mich an eine sich avantgardistisch gebende Linke, die in den Achtzigern immer mit anderen Nationalmannschaften gegen die deutsche sympathisierte. In diesen Kreisen waren schwarz-weiße Deutschland-Trikots tabu, in Prenzlauer Berg sind es die blau-weißen von Hertha. Vielleicht schaut Pierre Baigorry alias Peter Fox mal bei seinen Fans in der Schwalbe vorbei und erzählt, warum er regelmäßig ins Olympiastadion geht. Christian Ulmen (Hamburger Migrationshintergrund) hat über die Liebe zu Hertha seine Sozialisierung als Neu-Berliner betrieben und dabei sogar Herrengedeck, U-Bahn und Frank Zander lieb gewonnen. Puristen werden jetzt einwenden, beim Schauspieler Ulmen handele es sich gar nicht um einen echten Fan, die Liebe zu einem Klub sei anders als in der Ehe etwas für die Ewigkeit. Jegliche Kritik daran, so formuliert es mein Mönchengladbacher Kollege Stefan, „ist Scheiß-Liberalismus“.

Von Nick Hornby stammt die These, dass sich kein Fan seinen Klub aussucht, er wird hineingeboren. Genauso werden auch Kinder hineingeboren in ein Umfeld, das die fußballspezifischen Vorlieben ihres Elternhauses überlagert. Jedes Kind hat das Recht auf familienübergreifende Leidenschaften, auf ein friedlich-harmonisches Schulhofleben. Und der größte gemeinsame Nenner findet sich eher im gemeinsamen Wohnort und eher selten in den Lieblingsklubs der Väter. Mit freundlicher Genehmigung meines Kollegen Markus, Schalke-Fan seit Geburt und Vater eines zum Hertha-Fan herangezogenen Sohnes, zitiere ich in dieser Angelegenheit Phillip Boa: „Was ist das für eine Zeit, in der die Kinder die gleiche Musik hören wie ihre Eltern?“

Eine Scheiß-Zeit!

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