zum Hauptinhalt

Berlin: Europas kühnster Bau hielt der Zeit nicht stand

Vor 25 Jahren zerbarst ein Symbol: Aus heiterem Himmel stürzte das Dach der Kongresshalle ein

Es klang wie nicht allzu ferner Gewitterdonner. Die Vögel wurden still. Wer an diesem Mittwochvormittag im Großen Tiergarten spazierte oder auf einer Bank saß, schaute zum blauen Himmel. Merkwürdig. War wieder ein russischer Düsenjäger durch die Schallmauer geknallt? Es donnerte nicht wieder. Kurze Zeit später aber setzte ein immer lauter werdendes Geheul von Polizei- , Feuerwehr- und Notarztwagen ein. Es musste was Schlimmes passiert sein, sagten sich die Leute im Tiergarten. Etwas, das mit dem Grollen, dem Donner vorhin zusammenhängt. Vielleicht ein Terroranschlag?

In der Kongresshalle, wenige hundert Meter entfernt, hatten zuvor (um genau 10.55 Uhr) die Teilnehmer einer gerade bevorstehenden Pressekonferenz des Rings Deutscher Makler ein merkwürdiges Grummeln bemerkt. Ein leichtes Vibrieren im Haus. Es verstärkte sich, als ob eine schwere Lawine niederstürzt. Dann gab es ein berstendes Krachen.

Die 600 Tonnen schwere südliche Dachkrempe über dem Haupteingang an der John-Foster-Dulles-Allee war donnernd eingestürzt, auf die Terrasse geschlagen, hatte den Haupteingang in Trümmer gelegt. Rund 120 Menschen, die sich gerade in der Kongresshalle aufhielten, gerieten zum Teil in Panik. Sie flüchteten, es gab Verletzte unter den Betonbergen, Feuerwehrmänner mussten mit Schneidbrennern arbeiten. Ein Journalist, 27 Jahre alt, überlebte das Unglück nicht. „Zum Gedenken an den SFB-Redakteur Hartmut Küster, der beim Einsturz der Kongresshalle am 21. Mai 1980 tödlich verletzt wurde“, steht auf einer Gedenktafel am Haupteingang.

Die Frau, die gestern um 10.55 Uhr, einen Tag nach dem Schreckensjubiläum, an der Hallen-Information sitzt, war ein kleines Kind, als das Unglück geschah. Vor 25 Jahren wäre ihr Arbeitsplatz ein Trümmerhaufen gewesen. „Schon ein komisches Gefühl“, sagt sie, schaut auf den Dachvorsprung. Aber sie vertraue der neuen Konstruktion. Die englischen Schüler, die sich gerade zum Gruppenfoto unter dem Vordach aufstellen, wären damals erschlagen worden. Und dort, wo ihr Bus auf der Vorfahrt steht, zerquetschten Betonteile zahlreiche Autos. Von einem „geborstenen Symbol“ sprachen die Politiker, einem großen Unglück für die Stadt. Die Kongresshalle war ein Geschenk der Benjamin-Franklin-Stiftung, amerikanischer Beitrag zur Interbau-Ausstellung 1957. Das Haus mit der markant geschwungenen Dachkrempe galt sogar als „Europas kühnster Bau“, und der Architekt Hugh A. Stubbins wurde damit weltberühmt.

Aber die gewagte Hängedachkonstruktion war der Zeit nicht gewachsen, „Materialermüdung“ und Korrosion wurden als Unglücksursache ermittelt. Als die Trümmer vorsichtig weggeräumt waren – für das ganze Haus bestand Einsturzgefahr – stritt der Senat lange über einen Wiederaufbau. Auch gab es Schuldzuweisungen, wer möglicherweise ersten Hinweisen auf Mängel an Säulen und Stützen nicht nachgegangen sei. Die SPD-geführte Bauverwaltung fühlte sich von der CDU-Opposition angegriffen und sprach von „Infamie und Brunnenvergiftung“.

Als „geschichtliches und politisches Dokument“ wurde das Gebäude dann zwischen 1984 und 1987 für 25 Millionen Euro wieder aufgebaut. Mit einer äußerlich etwas veränderten, vor allem sicheren Konstruktion der Architekten Hans-Peter Störl und Wolf-Rüdiger Borchardt. Auch daran erinnert eine Tafel am Haupteingang der Halle, die längst als Haus der Kulturen der Welt firmiert.

Immer wieder, sagt die Frau an der Information, kommen Schüler vorbei. Sie sind von Lehrern beauftragt herauszufinden, was hier 1980 geschah. Wenn sie’s erfahren haben, schauen viele erschreckt nach oben. Aber das Dach sieht so sicher und solide aus, dass sie schnell wieder beruhigt sind.

Christian van Lessen

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false