zum Hauptinhalt

Berlin: Eva Ostojic (Geb. 1954)

Das Glück scheint perfekt, doch die Umsätze bleiben gering

Sie überlegt, wie es wäre zu sterben, gemeinsam das Leben verlassen, das so schwergängig, so freudlos geworden ist, auch einsam. Denk an die Viecher, sagt er. Die drei Hunde und sieben Katzen, welches Tierheim würde sie nehmen, alle auf einmal?

Das sieht sie ein. Den Viechern darf nichts geschehen. Sie tragen ja keine Schuld.

Wennda daurnd noch daem Nochbr schiilsch ond an neie Dabeed brauchsch, wenn där oene brauchd, an neia Hausvrbutz, wenn dr säll aaschdreichd ...

Eine Versdichtung aus ihrer Feder, als sie noch der antiautoritären Mundart-Opposition in Tübingen angehört. Es geht um den spießbürgerlichen Neidkomplex am Gartenzaun und seine Folgen.

Eva agitiert gegen solche Komplexe, hockt mit linken Studenten zusammen, Ende der 70er Jahre, als die ersten Spontis und Schreibtischrevoluzzer den sozialversicherten Marsch durch die Institutionen antreten. Sie hat Buchhändlerin gelernt und bekommt eine Stelle in einer Stuttgarter Fachbuchhandlung für RWS (Recht, Wirtschaft, Steuern). Neben RWS darf sie auch die kleine Belletristik-Ecke betreu- en. Eine gute Lebensstellung aus der Sicht ihrer Eltern, aber auch für Eva, um eine unabhängige Frau sein zu können, kein Heimchen am Herd. Am Wochenende veranstaltet Eva mit ihren Freunden aufklärerische Volkskunst-Abende, abends bringt sie ihre subversiven Gedanken zu Papier. Publiziert wird im selbst gegründeten Kleinverlag „Der Stocherkahn“.

Die Männer, mit denen sie umherzieht, sind meist deutlich älter und sehen wenig Anlass, eine konventionelle Karriere durchzuziehen. Von ihrem ersten Freund, einem Trotzkisten, wird sie schwanger. Es spricht wenig dafür, dass aus ihm bald ein sorgender Vater werden könnte, Ehe und Familie gelten schließlich als überwunden. Evas Mutter rät zur Abtreibung in Holland, damit wäre die Affäre aus der Welt, und der nichts ahnende Vater würde weiter ruhig schlafen können. Eva zögert – und willigt ein.

Andere Partner folgen, aber die Beziehungen bleiben locker und kinderlos. Eva arbeitet, schreibt, liest. Ein Leben zwischen Buchrücken zeichnet sich ab, an äußeren Ereignissen arm, aber reich an inneren Einsichten.

Als die Mauer fällt und Festgefügtes wankt, wächst auch bei Eva der Wunsch nach realer Veränderung. 1991 bekommt sie ein Angebot, nach Leipzig zu gehen, um die Universitätsbuchhandlung von Ost auf West zu trimmen. Sie beginnt mit Enthusiasmus und Neugier, endet aber bald in Stress und Überforderung. Doch sie lernt einen Mann kennen, der ihre Wünsche und Sehnsüchte teilt. Eine davon heißt Berlin. In der „Leipziger Volkszeitung“ wird eine Wohnung zum Tausch angeboten. Oberschöneweide. Egal, wo das liegt, Hauptsache Berlin.

Ein Investor eröffnet eine Buchhandlung im künftigen Regierungsviertel und sucht zwei Buchhändler. Das Glück scheint perfekt, doch die Umsätze bleiben gering. Die Regierenden lassen sich Zeit mit dem Umzug. Nach zwei Jahren gibt der Investor auf, Eva und ihr Mann übernehmen den Buchladen mit dem Mut der Verzweiflung. Nach drei Jahren ist der Selbstversuch gescheitert. Was bleibt, sind Schulden.

Eva bekommt einen neuen Job, aber das Glück mag nicht mehr zurückkehren. Die Eltern sterben, mit ihrem Bruder gibt es Streit um die Erbschaft, aber Eva hasst es, sich wegen Besitztümern zu bekriegen. Das Immermehrhabenwollen ist doch der Grund für alle Übel. Sie nimmt sich nur so viel Geld, wie das kleine, altersschwache Häuschen im Havelland kostet. Dorthin will sie ziehen, mit Mann und Hund und Katzen.

Bei ihr erhalten verfolgte Kreaturen Asyl, sogar Spinnen. Um ihnen kein Leid zu tun, verzichtet Eva auf das Fensterputzen. Ist ja auch bequemer so. Sollen doch die Nachbarn reden.

Ein Rückzug in die Natur. Eva ist enttäuscht von den Menschen an den Schalthebeln der Macht, der Oberflächlichkeit ihrer Aussagen, der Berechenbarkeit ihres Handelns. Die „Viecher“, wie ihr Mann sie nennt, stehen für Vertrauen und Verlässlichkeit. Sobald sie nach Hause kommt, dreht sie mit den Hunden Linus, Foksi und Teddy eine große Runde.

Oft geht sie am Havelkanal spazieren. Im Januar ist der Kanal gefroren, in der Mitte hat der Eisbrecher eine Bresche geschlagen. Foksi rennt auf die Eisfläche, bricht ein, und Eva versucht ihn zu retten. Das ist die plausibelste Erklärung für ihren gemeinsamen Tod. Thomas Loy

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false