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Berlin: Evelyn Jansch (Geb. 1949)

"Das Glück empfindet man, wenn man nicht viel übers Glück nachdenkt."

Bodo wollte die Welt verbessern, agitierte in Betrieben. Evelyn hatte Drogistin gelernt und auf Kosmetikerin umgeschult, sie verkaufte Cremes, erst bei Wertheim, dann im KaDeWe.

Er nahm sie mit auf Demos gegen den Vietnamkrieg, gegen den Schah, gegen Springer. „Das war kein Widerspruch“, sagt Bodo. „Evelyn hatte eben Sinn für Schönes. Und Sinn für Gerechtigkeit.“

Eine Freundin las ihr eine Job-Annonce vor: Laker Airways suchte Stewardessen. Der Job war wie für sie gemacht. Evelyn und Bodo Jansch flogen ab jetzt für einen Apfel und ein Ei. Übers Wochenende nach New York zum Beispiel. Am Freitagnachmittag ging’s los, sechs Stunden schenkte ihnen die Zeitdifferenz, sie kamen an, checkten ein und tanzten die ganze Nacht im „Nel’s“. Es war die Zeit, als Clubs noch Diskotheken hießen. Der Türsteher ließ sie sofort rein, als sie ihm die Reisepässe zeigten: Berlin, das war die eingekreiste Stadt, ihren Bewohnern gehörte alle Sympathie der westlichen Welt. Am Samstag gingen sie ins Guggenheim und shoppen. In den Drogerien gab es Parfüme, die in Deutschland erst vier oder fünf Jahre später zu kaufen waren. Am Sonntag dann zurück nach Berlin, noch aufgepeitscht und glücklich vom Feiern, trotz Schlafdefizit und Zeitumstellung.

Nachdem Laker Airways Anfang der achtziger Jahre pleitegegangen war, verkaufte Evelyn als „Propagandistin“ ein halbes Jahr lang Kaffee in einem Supermarkt. Dann stieg sie wieder ins Flugzeug, diesmal bei Pan Am, später bei der Lufthansa. Dort wurde sie in den Betriebsrat gewählt.

So kamen wieder Gerechtigkeitssinn und Sinn für schöne Dinge zusammen: Sie und ihr Mann sahen die Pyramiden und die herbstlichen Alpen von oben, sie flogen nach Waikiki Beach, tauchten vor Elba und den Malediven, bestiegen den Ayers Rock bei Alice Springs. In Sydney, wo sie nach 26 Stunden Flug an der Hotelbar standen, stand neben ihnen Mick Jagger. „Aber wir waren verunsichert und haben ihn nicht angesprochen. Der wollte doch auch seine Ruhe.“ Sie duschten unter Wasserfällen, wanderten durch Schluchten. Sie trampten durch Indien und Nepal, wo die Menschen große Augen machten, als sie in die blauen Augen der Janschs schauten. Die Flüge dorthin kosteten sie fast nichts. „Damals waren die Leute ökologisch noch nicht so angepasst“, sagt Bodo Jansch entschuldigend.

Ausgerechnet als alle Welt auf Berlin schaute, brachen sie zu einer Weltreise auf: eine Woche nachdem die Mauer gefallen war. „Da war schon ein weinendes Auge dabei“, sagt Bodo Jansch. Berlin, Los Angeles, Hawaii, Fidschi, Neuseeland, Australien, Bangkok, Bombay, Berlin. Grenzer, die ihren Reisepass sahen, Kellner, Verkäufer, die sie als Deutsche identifizierten, alle freuten sich für die beiden und beglückwünschten sie. „Wir fragten uns: Wie kann das eigentlich sein, nach diesem schrecklichen Krieg?“ Als sie wieder zurück waren, schimpften die Leute darüber, dass die Berlin-Zulage jetzt wegfallen würde. „Die Welt sieht das anders“, sagte Evelyn dann.

Sie servierte weiter Kaffee, Speisen, kalte Getränke und ein Lächeln. Sie hätte ewig so weitermachen wollen. „Das Glück empfindet man, wenn man nicht so viel über das Glück nachdenkt“, sagt Bodo. Stewardess, das war einfach ihr Ding.

Im Februar 2008 fühlt sie sich schlaff. Im Juni die Diagnose: Leukämie, eine akute Form. Chemotherapie, Knochenmarktransplantation. Danach fühlt sie sich besser. Im Dezember 2009 geht sie in den Ruhestand. Sie reisen an die Ostsee, nach Dresden und in die Berge, ins geliebte Oberlech. Im November 2010 dann eine Lungenentzündung. In der Traueranzeige steht: „Das Leben war schön.“ Ihre Urne wünschte sie sich in Himmelblau. Andreas Unger

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