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Berlin: Experten einig: Integration fördern, aber mehr fordern Politiker und Migranten-Vertreter sind dafür, soziale Hilfen zu kürzen, um den Druck zu erhöhen

Barrikaden, Straßenkämpfe, 1300 brennende Autos in einer Nacht, sogar Schüsse: Bilder von Ausschreitungen aus Paris, aus Vorort-Ghettos und anderen französischen Städten. Aber ist Paris weit entfernt von Berlin?

Von Sabine Beikler

Barrikaden, Straßenkämpfe, 1300 brennende Autos in einer Nacht, sogar Schüsse: Bilder von Ausschreitungen aus Paris, aus Vorort-Ghettos und anderen französischen Städten. Aber ist Paris weit entfernt von Berlin? Kann sich hier nicht auch unter Jugendlichen die geballte Wut entzünden, wenn das „Gefühl der Ausgestoßenheit“ überhand nehmen sollte, wie Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) fürchtet? „Paris ist der Blick durch das Schlüsselloch in die Zukunft Berlins“, sagt er. Den Teufelskreis „keine Bildung, keine Arbeit, kein Einkommen und Verwahrlosung“ könne man bei Deutschen wie Migranten nur mit „Druck“ durchbrechen: durch Androhungen, das Arbeitslosengeld II (ALG II) zu kürzen oder zu streichen. „Wir müssen nicht nur fördern, sondern fordern und sanktionieren, wenn kein Integrationswille da ist“, sagt Buschkowsky. Und er steht mit dieser Meinung nicht allein da.

Die Berliner Situation verharmlosen will Seyran Ates auch nicht. „Paris kann hier passieren.“ Die Anwältin, die am Wochenende vom Deutschen Staatsbürgerinnen Verband als „Frau des Jahres 2005“ geehrt worden ist, sieht die Gefahren der Parallelgesellschaft, wenn sie in Migrantenkreisen hört: „Bei uns herrschen andere Gesetze.“ Doch Zuwanderer hätten auch Pflichten wie, Deutsch zu lernen und oder Kinder so früh wie möglich in Kitas zu schicken. Am liebsten hätte Ates eine Kitapflicht, die aber gegen die Verfassung verstoßen würde.

Was Hartz IV betrifft, gibt sie Buschkowsky Recht. „Soziale Sicherung muss sein, aber das Sozialsystem ist zusammengebrochen. Deshalb muss Missbrauch unterbunden werden“, sagt Ates. Staatliche Hilfe sei nicht als „lebenslange Perspektive“ gedacht. In Einzelfällen müsse man Bezüge kürzen oder streichen. Das sieht der Gesetzgeber auch vor: Wer Arbeit, Ausbildungs- oder Eingliederungsmaßnahmen ablehnt, dem wird das ALG II für drei Monate um 30 Prozent gekürzt, beim zweiten Mal sogar um 60 Prozent – bis zum gänzlichen Wegfall. Nur die Miet- und Heizkosten werden dann noch übernommen und direkt an Vermieter gezahlt.

„Wir dürfen nicht so lange warten, bis wir hier ein zweites Frankreich haben“, warnt CDU-Innenpolitiker Frank Henkel. Und ohne Sanktionen ließen sich manche Menschen auch nicht mehr integrieren. So fordert Henkel nicht nur Kürzungen beim ALG II, sondern bereits für Schulschwänzer eine härtere Gangart. Außerdem sollten verpflichtende Sprachtests nach dem vierten Lebensjahr die Bildungschancen erhöhen. Und Schulen mit höherem Ausländeranteil müssten kleinere Klassen und bessere Ausstattungen bekommen. Auch die Polizei sollte in sozial problematischen Vierteln mehr Präsenz zeigen, damit sich keine „No-go areas“ in Berlin bildeten.

Den verpflichtenden Besuch von Vorklassen ab vier Jahre fordert FDP-Fraktionschef Martin Lindner. Er sieht in Berlin zwar noch keine „französischen Verhältnisse“, kritisiert aber, dass mit einem „vernünftigen Zuwanderungsrecht“ zu lange gewartet wurde.

Mehr Förderangebote statt Sanktionen wollen der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, der PDS-Landeschef Stefan Liebich sowie Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann. „Benachteiligte dürfen nicht noch mehr benachteiligt werden“, sagen sie und fordern mehr Arbeits- und Ausbildungsplätze. Alle drei wollen die Klassenfrequenzen in Schulen mit hohem Migrantenanteil reduzieren und die Schulangebote verbessern. Eine soziale „Durchmischung“ von Vierteln wie Kreuzberg oder Neukölln könne nur durch ein optimales Schulangebot und ein attraktives Wohnumfeld erreicht werden. Ratzmann und Kolat sind sich einig, dass der Wegzug von besser situierten Familien aus solchen Vierteln kein Problem zwischen Deutschen und Migranten, sondern ein soziales ist.

„Mit dem Ruf nach Sanktionen erreichen wir die Jugendlichen nicht“, sagt Ratzmann. Werde dann noch jemandem Hartz IV gekürzt, dann käme es erst recht zu diesem Gefühl der Ohnmacht und Wut. Liebich, Kolat und Ratzmann ziehen aus Paris den Schluss, dass eine „Metropole wie Berlin die Integration ernst nehmen muss“. Aber eine übergreifende Integrationspolitik ist trotz des von Rot-Rot verabschiedeten Integrationskonzeptes nur schwer erkennbar.

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