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Zweifel am Rechtsstaat. Demonstration in Neukölln gegen die zahlreichen rechten Attacken. Das Vertrauen in die Polizei leidet.

© imago/Carsten Thesing

Expertenbericht zu Nazi-Anschlägen in Neukölln: Der Rechtsstaat muss auf die Opfer zugehen

Die Serie rechter Angriffe deprimiert. Dass sich die von Senator Geisel eingesetzte Kommission mit Opfern befasst, ist ein Lichtblick. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Frank Jansen

Seit 2013 haben Rechtsextremisten in Berlin-Neukölln mehr als 70 Angriffe verübt, darunter 23 Brandstiftungen. Es gab Morddrohungen. Außerdem haben Neonazis steckbriefartige Feindlisten erstellt. Soweit die nackten Tatsachen. Die Zahl der Verurteilungen für die Taten? Null. Das ist mehr als nur deprimierend.

Der Rechtsstaat hat in Neukölln nicht nur bei den Geschädigten viel Vertrauen verloren. Obwohl Polizei, Verfassungsschutz und Justiz die Tatverdächtigen, bekannte Neonazis und Kumpane seit langem im Visier haben, gibt es bei den Ermittlungen nur kleinere Fortschritte, keinen Durchbruch.

Da erstaunt es wenig, dass Innensenator Geisel nicht nur Beifall bekommt für das im Oktober gestartete Projekt, eine Expertenkommission mögliche Versäumnisse untersuchen zu lassen. Und doch ist der Versuch notwendig.

Die Mitglieder der Kommission, die frühere Eberswalder Polizeipräsidentin Uta Leichsenring und Ex-Bundesanwalt Herbert Diemer, er war Ankläger im NSU-Prozess, haben nun einen Zwischenbericht vorgelegt, in dem die Sicht der Opfer dominiert.

Leichsenring, seit Jahrzehnten zivilgesellschaftlich gegen Rechtsextremismus engagiert, hat mit Betroffenen der Anschlagsserie gesprochen. Die Treffen waren teilweise emotional, Leichsenring hat sich viel angehört. Im Zwischenbericht wirbt die Kommission dafür, die Behörden sollten stärker mit den Geschädigten kommunizieren. Das ist das richtige Signal. Über Berlin hinaus.

Der Rechtsstaat muss Fehler eingestehen

In Neukölln müssen Betroffene extremistischer Gewalt und der Rechtsstaat wieder zusammenfinden. Die Bringschuld hat der Rechtsstaat. Wie in Hanau, wo sich die Angehörigen der Ermordeten im Stich gelassen fühlen. Oder wie im NSU-Komplex, dem grausigsten Beispiel für Staatsversagen, gerade auch bei den schikanösen Ermittlungen der Polizei gegen die Familien der ermordeten Migranten. Die Vertreter des Rechtsstaats müssen Fehler eingestehen, müssen auf Opfer zugehen und sich bemühen, Vertrauen zurückzugewinnen. Auch wenn das bei traumatisierten Geschädigten lange dauern kann.

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Je früher das Gespräch gesucht wird, desto größer die Chance, Vertrauen zu retten. In Neukölln hätten Geisel und Polizeipräsidentin Slowik mehr und offenere Gespräche der Behörden mit den Betroffenen anregen sollen. Kontakte einzelner Beamter zu Opfern reichen bei einer solchen Tatserie nicht.

Die Betroffenen vermuten, rechte Polizisten könnten die Ermittlungen sabotieren. Die Kommission sieht das nicht, doch Geisel will nun generell mit einer Ermittlungsgruppe rechten Umtrieben in der Polizei nachspüren. Vielleicht gibt es dann auch neue Erkenntnisse zu Neukölln.

Ob ein Untersuchungsausschuss zu der Anschlagsserie, wie er Linken und Grünen vorschwebt, umfassend Aufklärung brächte? Sicher ist nur, dass er lange dauern und die Behörden belasten würde. Jedenfalls wäre es klug, erst einmal den Schlussbericht von Leichsenring und Diemer abzuwarten. Im April sollen sie liefern.

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