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Berlin: Explosive Spannung

1953 war die Jury in Cannes von „Lohn der Angst“ begeistert, kurze Zeit später lief er auf der Berlinale. Einer der Hauptdarsteller kannte Berlin gut

Die Explosion eines Nitroglyzerin-Lasters kann ein Regisseur so oder so inszenieren. Zum Beispiel wechselt die Kamera von der Totalen zur Nahsicht auf die Reifen. Da ein Schlagloch, ein Stoß – den Rest erledigen die Pyrotechniker.

Das wäre die Hollywood-Lösung, zu simpel für Henri-Georges Clouzot. Bei ihm geht die Szene so: Ein Felsbrocken versperrt den Weg, kurzerhand wird er pulverisiert, genügend Sprengstoff ist ja dabei. Leider haben die Fahrer dessen Brisanz unterschätzt, es hagelt Steinbrocken auf die Nitro-Kanister. Jeder denkt, jetzt … jetzt … aber auch diese Möglichkeit bleibt in „Lohn der Angst“ ungenutzt.

Hier kommt der Tod unerwartet: Einer der beiden Laster ist schneller, die Crew des zweiten zuckelt hinterher. Der Beifahrer dreht sich eine Zigarette – ein Windstoß aus dem Nichts bläst ihm den Tabak aus der Hand. Dann Donnern, eine Rauchwolke, die fern über dem Urwald hängt. Bimba und Luigi leben nicht mehr.

„Ich habe gerade einen genialen Fußtritt in den Magen bekommen“ – Edward G. Robinson, Jurymitglied beim Festival in Cannes 1953, war noch ganz benommen, als er das Kino verließ. Seine Kollegen urteilten ähnlich: „Lohn der Angst“ erhielt die Goldene Palme als bester Film. Wenig später – damals ging das – war der Film auch auf der Berlinale zu sehen, die in jenem Sommer ganz von den Ereignissen des 17. Juni überschattet war. „Im Grunde inhuman, ein eiskalter, auf Spannung, Tod und Verderben gedrehter Reißer“, mäkelte Berlins Kritikerpapst Friedrich Luft, gestand immerhin zu, der Film sei „brillant“ konzipiert. Das Urteil des Publikums aber war eindeutig: Es sprach „Lohn der Angst“, den der Regisseur auf einer Pressekonferenz auch als Kritik an den Ölgesellschaften interpretierte, den Goldenen Bären zu.

An sich eine simple Geschichte: vier Männer, gestrandet in einem gottverlassenen Kaff irgendwo in Lateinamerika. Mit dem Brand einer Ölquelle hunderte von Kilometern entfernt öffnet sich ihnen eine Chance zu entkommen. 1000 Dollar – das ist der Lohn der Angst für jeden, der einen Nitroglyzerin-Laster hinbringt. Nur mit diesem Sprengstoff kann die lodernde Riesenfackel ausgeblasen werden.

Weil Francos Spanien wegen der sozialistischen Neigungen des Hauptdarstellers Yves Montand ausfiel, hatte Clouzot sich Drehorte um Nîmes in Südfrankreich ausgesucht: das Dorf Saint- Gilles und die Gorges du Gardon. An sich eine sonnige Gegend, nicht aber im Spätsommer 1951: Es regnete, stürmte, die Kosten explodierten, alles geriet in Verzug. Die Fahrt der beiden Sprengstoff-Laster konnte man erst im kommenden Sommer drehen. Dazu kamen erhebliche Spannungen im Team.

Und dabei hatte Clouzot doch schon genügend Probleme mit der Besetzung gehabt. Montand wollte anfangs nicht, erste Auftritte vor der Kamera waren nicht sehr ermutigend gewesen. In privaten Schauspielstunden konnte Clouzot dem Chansonnier die Sorge nehmen, aus Yves wurde Mario – für Montand der Durchbruch im Kino. Jean Gabin hatte die Rolle des müden Gangsters Monsieur Lo für sich als unpassend gefunden, also wurde es Charles Vanel, den man in Cannes für seine Darstellung hoch ehrte. Auch Clouzots junge Frau Vera war dabei, als Geliebte Marios, ebenso Simone Signoret, noch privat als Montands Ehefrau und Muse – erst 1956 standen die beiden gemeinsam vor der Kamera, in „Un matin comme les autres“, und ein Jahr später in Babelsberg in dem Defa-Film „Die Hexen von Salem“.

Bunt zusammengewürfelt war die Fahrergruppe schon im Roman von Georges Arnaud, der dem Film zugrunde lag. Das sollte sich in der Besetzung spiegeln, und so stießen zu den Franzosen der Italiener Folco Lulli und der Deutsche Peter van Eyck. Wie seine Kollegen kam auch van Eyck später nicht zur „Lohn der Angst“-Premiere nach Berlin. Dabei war gerade seine Biografie mit der Filmstadt Berlin aufs Engste verbunden. Nicht immer hat er dabei eine gute Figur gemacht.

Peter van Eyck, für den „Lohn der Angst“ der Höhepunkt seiner Laufbahn wurde, stammte aus Pommern. Abitur hatte er in Berlin-Hermsdorf gemacht, in den letzten Weimarer Jahren eine Weile in der Hauptstadt gelebt und Musik studiert, dort Billy Wilder kennen gelernt. 1931 verließ er Deutschland und landete in den USA. Durch einen Zufall – wieder soll Billy Wilder im Spiel gewesen sein – kam er zum Film. Besonders als deutschen Offizier besetzte man ihn gern.

Seit den frühen 40er Jahren war er US-Bürger, kam zur Armee und kurz nach Kriegsende nach Berlin: als amerikanischer Filmkontrolloffizier. Damit saß er an einer Schlüsselposition für den Neubeginn des deutschen Films – und hat gleich mächtig danebengegriffen. Damals suchte Wolfgang Staudte Unterstützung für ein Projekt, das im Nachkriegs-Berlin spielen sollte. Schon Engländer und Franzosen waren nicht interessiert, wie Staudte erzählte: „Und bei den Amerikanern traf ich auf einen Filmoffizier, der hieß Peter van Eyck. Der guckte mich von oben herab an und sagte: ,Wie war der Name? Staudte? In den nächsten fünf Jahren wird in diesem Land überhaupt kein Film gedreht außer von uns.“ Er irrte. Die Russen empfingen Staudte mit offenen Armen, so entstand „Die Mörder sind unter uns“ bei der Defa: der erste deutsche Nachkriegsfilm.

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