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Extremsport in Berlin: Schnelle Schaben, ausgestopfte Hunde

Der russisch-deutsche Künstler Nikolai Makarow feiert seine neue Ausstellung mit Kakerlakenrennen und Kaviar. Ein Ortstermin.

Es ist ein Rennen der Superlative. Nina, schnell, spurtkräftig und erfahren, bekannt für spektakuläre Aufholjagden in Montreal, Brüssel, Paris. Der junge Dukat, berüchtigt in Moskau und Monte Carlo. Der „skrupellose Ural“, der „abgehärtete Pamir“. Und Anastasia, „Tochter Iwan des Schrecklichen, die mit ihren Affären statt ihrer Leistungen Schlagzeilen gemacht hat“, brüllt der Moderator in den überfüllten Saal. Berlin, Wedding, Montagnacht. Gleich beginnt das Kakerlakenrennen in der Atelierwohnung des russisch-deutschen Künstlers Nikolai Makarow. Nur: „Wo ist Nikolai?“ Der Moderator, der so aussieht wie Starfriseur Udo Walz mit Baseballcap, ruft verzweifelt. Schweiß tropft von seiner Stirn auf die Rennstrecke, Männer in Anzügen und Frauen in Abendkleidern bedrängen ihn.

Dann kommt Makarow: Weißer Bart bis zur Brust, schwarzer Anzug, schwarzes Hemd, schwarze Schuhe – Existentialisten-Dress, Dissidenten-Schick – seine Augen leuchten wild. In Makarows Händen: die Gladiatoren in Gläsern. Er drängelt sich vorbei an öffentlich-rechtlichen Fernsehkameras zur Startlinie, packt die Schaben-Stars liebevoll in die Startboxen. Doch nein! Olga III fällt auf den Boden. „Sie ist ehrgeizig, ihr Laufstil unverwechselbar“, schreit der Moderator, eine Frau mit rotem Kleid und Gesicht stürzt sich auf den Boden, Olga entwischt ihr, ein Mann krabbelt unter die Rennbahn. So muss eine Massenpanik auf einer Millionärsmesse aussehen. Zahlreiche Handtaschen-Hündchen bellen, doch Olga rennt zu einem mannshohen Hund in der Ecke, dem sie egal ist, er ist ausgestopft. Ein älterer Herr kriegt Olga III zu fassen, sie kommt in die Box. Großes Aufatmen.

Den Lauf gewinnt Anastasia, „jung und wild“, das Publikum tobt. Die Party zu Makarows Ausstellung in der Galerie Friedmann-Hahn ist Berlin der 20er und Moskau der 90er in einem. Am ovalen Tisch ist alles eingelegt, mariniert, geräuchert und verraucht von den beim Essen gequalmten Zigarren. Und natürlich gibt es Kaviar. Eine Badewanne mit schwarzem Brachwasser steht da in all ihrer Morbidität, „im Kontrast zum Tod wirkt das Leben stärker“, sagt ein Mann ergriffen. Daneben trinkt Jewgenij, ein ukrainischer Schriftsteller, seinen Wodka. „Beim Rennen gibt es die offiziellen Wetten, es gibt aber auch die inoffiziellen Wetten“, erklärt er. Allgemeines Nicken, verschwörerische Blicke. „Dann gibt es aber auch noch die wirklich ganz inoffiziellen Wetten.“

Im Atelier ist Kontrastprogramm angesagt

Nebenan, in Makarows weitläufigem Arbeitsraum, ist es fast menschenleer und still. An der Männertoilette hängt Wladimir Putin. Ob der russische Präsident nicht beleidigt wäre, an der Klotür zu haften? „Er hat ja gute Gesellschaft“, sagt Makarow und verweist auf das Foto von Angela Merkel am Frauenklo. Dann wird der 60-Jährige von einer Frau weggeführt, die schmatzend feststellt: „Tolle Ausstellung, Nikolai. Und dieser Apfelkuchen hier ist der beste ever!“

Die Bilder sind das Gegenteil seiner Party. Düster, schattenhaft, vernebelt. Bäume und Schlote. Man denkt an Rilke oder Kafka, oder „an Selbstmord“, wie eine junge Frau mit Sonnenbrille trocken feststellt. Sie dreht sich um und liest von einer Tafel ab: „John Cage lehrte uns Stille hören. Nikolai Makarow macht sie uns sichtbar.“ Dann kommt Jewgenij in den Raum. Er ist mit einer sehr schönen, sehr kurzhaarigen Frau in eine Diskussion über Integration und Völkerverständigung verwickelt, sein Fazit lautet: „Ich verachte alle Menschen, die östlich von Lemberg geboren sind, gleichermaßen.“

Am Ende des Abends, die letzten Tanzschritte und Schreie hallen noch nach, führt der Weg nach draußen durch ein dunkles Treppenhaus. Dort liegt ein Mann auf dem Boden, zugedeckt mit Plastikfolie. Wenn Menschen vorbeigehen, grüßt er freundlich und macht das Licht an. Er hat nur neun Finger und auch nicht mehr alle Zähne. Bäcker sei er von Beruf, aus Polen und arbeitslos, seit er mit zwei Promille am Steuer seinen Führerschein verloren hat. Seit vier Tagen liege er hier. Nein, auf die Party gehen wolle er nicht. Als er sich wieder hinlegt, steigt eine Frau im weißen Nerzmantel elegant über ihn und eilt ins Freie.

Die Ausstellung ist noch bis zum 11. Januar in der Galerie Friedmann-Hahn, Wielandstr. 14, Charlottenburg zu sehen. Mo-Fr: 12-19 Uhr, Sa: 11-16 Uhr. Mehr Infos unter: www.galeriefriedmann-hahn.com.

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