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Berlin: Fahndung: Ein Jahr Suche nach der lebenden Leiche

Sergej Bondartschuk galt seit dem 20. September 1997 als tot.

Sergej Bondartschuk galt seit dem 20. September 1997 als tot. Gestorben an Leukämie - nur knapp drei Wochen vor seinem 29. Geburtstag. Als die Berliner Polizei seine Sterbeurkunde erhielt, stellte sie die Ermittlungen gegen ihn ein, fast sämtliche Ermittlungsakten landeten im Reißwolf. Denn die vom Standesamt in Kiew ausgestellte Urkunde war echt, daran gab es keinen Zweifel. Nur: Bondartschuk ist quicklebendig. Es ist eine offene Frage, ob der Rechtshilfeverkehr und die polizeiliche Kooperation mit Osteuropa jemals so fruchtbar sein werden, dass man das Geheimnis einer solchen Sterbeurkunde klären kann.

Sein Ableben war so glaubwürdig, dass sogar seine deutsche Ehefrau das seinerzeit laufende Scheidungsverfahren beendete. Die "Witwe" ist inzwischen erneut verheiratet. Gesucht wurde Bondartschuk wegen gewerbsmäßiger Hehlerei. Hinter diesem Begriff verbirgt sich in diesem Fall Autoschieberei in großem Stil. Mindestens 85 gestohlene Karossen im Gesamtwert von über fünf Millionen Mark soll die Bande um den ehemals in der DDR stationierten Soldaten in den Ostblock verschoben haben.

Seit vergangener Woche sitzt Bondartschuk in Untersuchungshaft. Nach fast einjährigen Ermittlungen, die wieder aufgenommen wurden, nachdem einer seiner früheren Komplizen den "Toten" verpfiffen hatte, wurde der nunmehr 32-Jährige an der Schwartzkopffstraße in Mitte festgenommen. Er hatte unter anderem auf dem Rostocker Weihnachtsmarkt Luftballons verkauft. Wie er es schaffte, sich den Totenschein zu besorgen, ist noch ein Rätsel. Aber die Ermittler sind sich sicher, dass mit Dollar, Drohungen oder durch freundschaftliche Verbindungen zu den zuständigen Behörden in der Ukraine vieles möglich ist.

Nach dem Tipp auf Bondartschuk geriet seine hochschwangere Lebensgefährtin ins Visier der Fahnder - mit Erfolg. Im November besuchte der Ukrainer seine Freundin in Mitte. Sein Wagen war mit einem falschen ukrainischen Kennzeichen versehen, der einst schlanke Mann hatte einige Pfunde zugenommen und sich einen Bart zugelegt.

Die Berliner Fahnder versuchten nun krampfhaft, Vergleichsfingerabdrücke zu finden, da seine alten Abdrücke mit der Ermittlungsakte vernichtet worden waren. Sie schrieben Behörden in Israel an, wo sich Bondartschuk aufgehalten hatte und forschten sogar in den GUS-Staaten nach - vergeblich. Schließlich erhielten sie vergangene Woche die Prints von einer nicht genannten deutschen Behörde und griffen sich dann den ehemaligen Bandenchef.

Untergetaucht war Bondartschuk im Oktober 1994. Damals setzte er sich kurz vor seiner Festnahme ab. In seiner Wohnung, die er mit seiner Freundin teilte, fand die Polizei eine Menge Bargeld: 16 000 Dollar und 8000 Mark, aber auch eine doppelläufige Flinte und 60 Schuss Munition.

Der Fall Bondartschuk ist auch beispielhaft für die Zusammenarbeit der deutschen mit den osteuropäischen Behörden. Während der Rechtshilfeverkehr mit Polen, Tschechien und der Slowakei durchaus funktioniert, wird es "je weiter man nach Osten kommt" immer schwieriger: "Für uns ist dort mehr oder weniger ein schwarzes Loch", sagte ein Staatsanwalt dem Tagesspiegel. Ein bis zwei Monate warten Polizei und Staatsanwaltschaft auf Antworten von den Schwesterbehörden in Polen, was ein zweiter Staatsanwalt als "sehr gut" bezeichnete. Die Beziehungen zu Weißrussland und der Ukraine seien "im Kommen". Mit Russland dagegen "funktioniert fast gar nichts". Auf Rechtshilfeersuchen warte man "bis zum jüngsten Tag".

Auch auf die Rückgabe gestohlener Autos aus Russland warte man vergeblich, sagte der Staatsanwalt. Nur in einem einzigen Fall ist es bisher gelungen, ein nach Russland verschobenes Auto wiederzubekommen: Das des Polizeipräsidenten Hagen Saberschinsky.. Es war 7. Mai 1994 gestohlen worden. 1996 wurde es bei Moskau entdeckt.

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