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Subkultur. Auf den U-Bahnhöfen ist Musikmachen erlaubt, aber vor dem Auftritt ist eine Genehmigung einzuholen.

© Imago

Fahrgastverband: Kein Pardon für fahrende Musikanten

Nach dem Streit mit einem Trompeter in der U 2 fordert der Fahrgastverband eine härtere Gangart gegen bettelnde Instrumentalisten. Deren Verhalten hat für manche schon "Hütchenspieler-Potenzial".

Mit den Touristen kommen die Straßenmusiker nach Berlin. Musik zu machen, ist eine der letzten genehmigungsfreien Erwerbsquellen in der Stadt. Eine Beatles-Romanze im Monbijou-Park, gecovert von einem noch unbekannten Talent, kann ein unvergessliches Großstadterlebnis sein. Gleichzeitig fühlen sich immer mehr Berufspendler in BVG und S-Bahn von fahrenden Trompeterclans aus Osteuropa belästigt.

In der U-Bahnlinie 2 eskalierte am Mittwoch ein Streit zwischen rumänischen Musikern und Fahrgästen, die sich über das laute Trompeten- und Trommelspiel beschwerten. Daraufhin schlug ein Musiker laut Polizei mit der Trompete einem Fahrgast zwei Zähne aus. Ein ungewöhnlicher Fall, sagt BVG-Sprecherin Petra Reetz. Und nicht symptomatisch für ein zunehmendes Konfliktpotenzial. „Die Berliner sind unheimlich tolerant – oder unheimlich abgehärtet.“

Für den Berliner Fahrgastverband IGEB ist der handgreifliche Streit dagegen ein Signal, endlich zu handeln. „Das war vorherzusehen, dass jemandem mal der Geduldsfaden reißt. Was in den Zügen passiert, ist hart am Rande der Nötigung. Die Musiker müssen raus aus den Zügen“, sagt IGEB-Sprecher Jens Wieseke. BVG und S-Bahn sollten gemeinsam eine Kampagne starten, um die „Bettelindustrie“ der osteuropäischen Zuwanderer in den Griff zu bekommen.

Verboten ist das Musikmachen laut Beförderungsbedingungen in allen S- und U-Bahnzügen. Die Fahrkarten-Kontrolleure würden Untergrund-Combos schnurstracks aus den Zügen befördern, beteuert BVG-Sprecherin Reetz, aber natürlich steigen sie dann in den nächsten Zug in die Gegenrichtung wieder ein. Mit Kontrollen allein sei dem Phänomen nicht beizukommen, schon eher mit der Empfehlung, kein Geld zu geben. Doch soll man einem richtig guten Dylan-Double sein Salär verweigern?

Die BVG rühmt sich, als eines der wenigen Beförderungsunternehmen in Deutschland Straßenmusikern eine legale Plattform zu bieten. Für bestimmte Plätze auf U-Bahnhöfen – am beliebtesten sind Alexanderplatz, Potsdamer Platz, Stadtmitte – werden Genehmigungen erteilt, für sieben Euro die Woche. Die Bewerber seien in der Regel professionelle Musiker und „verdammt gut“, sagt Reetz. Mit einigen habe man schon eine CD aufgenommen, zusammen mit Musikern der Deutschen Oper. Beschwerden von Fahrgästen gebe es selten. Dieses Modell sollte auch die S-Bahn ausprobieren, findet Jens Wieseke von der IGEB. Das Angebot einer legalen Alternative erleichtere auch die Auseinandersetzung der Kontrolleure mit den Musikern.

Verweise und Hausverbote

Auf den Bahnhöfen der Bahn, zu der auch die Berliner S-Bahn gehört, gilt das Musikerverbot uneingeschränkt. Die S-Bahn versucht gerade, die fahrenden Barden gezielt aus ihren Zügen zu vertreiben. Die 550 Sicherheitsleute, die in Berlin zur Verfügung stehen, würden schwerpunktmäßig auf den Stadtbahnlinien eingesetzt, wo viele spendable Touristen unterwegs sind, erklärt ein S-Bahn-Sprecher. Die Sicherheitsleute sprechen Verweise und Hausverbote aus. Im Wiederholungsfall wird Anzeige wegen Hausfriedensbruch erstattet. „Die treten aggressiv auf, das hat schon Hütchenspieler-Potenzial“, sagt ein Insider. Polizeiliche Maßnahmen hätten aber vor allem Verdrängungseffekte. Auch die S-Bahn bittet ihre Fahrgäste deshalb um Mithilfe: „Geben Sie kein Geld“, egal, ob die Musik gut oder schlecht ist.

Auf das Problem aufmerksam wurde die S-Bahn nicht unbedingt durch zunehmende Beschwerden von Fahrgästen. Das Gefühl der Belästigung konkurriert bei vielen Pendlern mit dem Schamgefühl, armen Menschen die einzige Chance auf Gelderwerb zu nehmen. Die Sicherheitskräfte werden beim Versuch, Musiker rauszuschmeißen, auch öfters von Fahrgästen beschimpft.

Berlin wird als offene, tolerante Stadt geschätzt. Da wirken Verbote wie Spielverderber. Die BVG verfolgt gerade eine Kampagne gegen Essen und Trinken in den Zügen. Auch das ist seit langem verboten, aber kaum jemand interessiert sich dafür. Merkwürdigerweise läuft auch die BVG-Kampagne eher im Stillen. BVG-Sprecherin Reetz lässt durchblicken, dass das Unternehmen kein Paragrafenreiter sein wolle. Schokoriegel knabbern ist eben was anderes als schmatzend einen Döner zu verputzen. „Es geht in der Kampagne um Rücksichtnahme.“ Mit einem Gewissensappell ist das Problem aber nicht gelöst.

IGEB-Sprecher Wieseke sagt, er habe schon mal einen Döneresser aufgefordert, die U-Bahn zu verlassen. Das hat er dann tatsächlich unter Murren gemacht. Eine mutige Aktion, aber nicht ganz ungefährlich.

Vielleicht geht es auch ganz anders, mit mehr Esprit. „Ihr seid Musiker? Ihr singt? Dann könnt ihr der neue U-Bahn-Star werden!“ meint das Pariser Verkehrsunternehmen RATP. Seit 1997 gibt es ein Casting für die Erlaubnis, in den Gängen der U-Bahn zu spielen. Seit dem Beginn der Initiative sind mehr als 10 000 Bewerbungen eingegangen, rund 350 Akkreditierungen werden pro Jahr erteilt. Musiker wie Keziah Jones sind in der Metro berühmt geworden. Trotzdem gibt es noch viele Musiker, die ohne Erlaubnis spielen. Manche Pariser beklagen sich darüber, aber „La vie en rose“ von Edith Piaf während einer Metrofahrt zu hören, ist ein Klischee, das viele mögen.

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