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Berlin: Fahrrad-Stau auf der Autobahn

Bei der großen Sternfahrt durch die Stadt kamen die Teilnehmer kaum voran: Es waren einfach zu viele

Stau kann sehr anstrengend sein, wenn man auf der Mittelspur der Autobahn hängen bleibt und das Fahrrad keinen Ständer hat. Neidisch schaut man auf die Zwerge ringsum mit ihren Stützrädern, die einfach zu Mutti gehen, um einen Schluck aus der Flasche zu nehmen. Aber man staut sich ja für einen guten Zweck: für „Mehr Respekt für Radler“, so das Motto der diesjährigen Sternfahrt am Sonntag. Rund 100 000 Radfahrer sind dem Aufruf des Fahrradclubs ADFC gefolgt und von 56 Treffpunkten aus auf 13 Routen in die City gestrampelt.

Die ersten Könige des Radweges waren schon morgens um acht im Berliner Umland gestartet. Und an jedem S-Bahnhof wurden es mehr. So hat sich in Neukölln schon eine dreihundert Meter lange Traube gebildet, die sich träge stadteinwärts kurbelt. Einträchtig rollen klapprige Tourenräder und Hightech-Schocker nebeneinander her, gestört nur von mutigen Überholmanövern der begleitenden Motorrad-Polizisten. Die sichern jede Grundstücksausfahrt und halten die schaulustigen Kleingärtner auf Distanz, die sich im Sonntagsunterhemd am Straßenrand versammelt haben – angelockt vom fehlenden Autolärm und dem Sirren des radelnden Schwarmes.

Vor der Einfahrt in den Autobahntunnel Britz ist erst einmal Schluss, weil die zwei Spuren einfach nicht reichen und die wackeren Polizisten ein paar Autos nicht rechtzeitig gestoppt haben. Ängstlich sitzen von Radlern umzingelte Familienväter hinterm Steuer und trauen sich kaum, ihren Ellenbogen aus dem Fenster hängen zu lassen. Chinesische Verhältnisse, mitten in Neukölln.

Im Schutze des dunklen Autobahntunnels mutieren viele der eben noch so gemütlichen Demonstranten zu johlenden Kampfsportlern, die in wildem Slalom ihre vorausfahrenden Artgenossen überholen und sich am Echo ihres Geklingels und Geschreis berauschen. Ausdruckslose Gesichter verzerren sich zu wahnsinnigem Grinsen. Wer eben noch mit Tempo zwölf dahingurkte, strampelt sich jetzt bei 35 Sachen fast die Seele aus dem Leib.

Ebenso plötzlich, wie er angefangen hatte, ist der Spuk wieder vorbei: Tunnelausfahrt, es geht bergauf, das Wetter hat wieder auf Oberhitze plus Grill geschaltet. Man redet neidisch über den tollen Belag der Autobahn, der 364 Tage im Jahr den Autos reserviert ist. Oder man keucht still vor sich hin und fühlt sich einfach gut, weil man friedlich die Überholspur erobert hat und unseren Kindern eine lebenswerte Welt hinterlässt.

Die nächste Pause beginnt 200 Meter vor der Ausfahrt Alboinstraße, wo die Polizei mit ihren Autos – wohl unbeabsichtigt – eine Art Trichter gebaut hat und aufpasst, dass niemand auf der Autobahn weiterradelt. Ein McDonald’s kommt in Sicht; im Fahrerfeld entspinnen sich Diskussionen, ob man an einem Tag wie diesem dort einen Burger plus Michshake kaufen darf. Man darf, sagen die Umländer, die schon seit drei Stunden auf Achse sind. Auf der Weiterfahrt zeigt sich, dass sie Recht haben, denn außer einer Tankstelle in der Bundesallee gibt es vorerst keine Alternative am Wegesrand.

Das radelnde Rudel ist inzwischen mehrere Kilometer lang, die Polizei nicht mehr zu sehen, Querstraßen sind nicht gesperrt. Vorstöße entnervter Autofahrer führen zu mehreren Beinahe-Unfällen, aber bald ist das Ziel erreicht: das Brandenburger Tor. Dort gibt’s einen Ökomarkt mit Vollkornwaffeln und Infos über Solardächer. Drangvolle Enge herrscht hier. Wäre man nur nicht mit dem Fahrrad gekommen.

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