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Ausstellung: Fahrradkultur auf Dänisch

Kopenhagen ist ein Paradies für Radfahrer. Eine Ausstellung im Felleshus der Nordischen Botschaften in Berlin zeigt, was wir von Dänemark lernen können.

Die Dänen sind das glücklichste Volk der Welt, haben Forscher der Universität Leicester herausgefunden. Ob das auch am Fahrradfahren liegt? Die größte Breitensportkampagne des Landes heißt „Wir radeln zur Arbeit“. So auch Dänemarks neue Innen- und Wirtschaftsministerin Margrethe Vestager mit Helm und Christiania-Fahrrad: „Wir wollen Dänemark zum besten Fahrradland der Welt machen. Radfahren verbessert unsere Gesundheit, sorgt für saubere Städte und hilft uns, unsere Klimaziele zu erreichen. Daher investiere ich lieber in Fahrradwege als in Autobahnen.“ Nachzulesen ist dieses Statement in der Ausstellung „Eine Stadt fährt Rad – Kultur – Design – Stadtentwicklung – Beispiel Kopenhagen“, die die dänische Botschaft bis zum 29. Februar im Felleshus der Nordischen Botschaften, Rauchstraße 1, organisiert hat. Anlass der Ausstellung ist die dänische Ratspräsidentschaft in der EU, die einen deutlich grünen Stempel trägt. Neben einem verantwortlichen, einem dynamischen und einem sicheren Europa geht es den Dänen auch um ein grünes Europa im Hinblick auf Energieeffizienz und nachhaltiges Wachstum. Bevor diese Begriffe im Schwange waren, hatte schon vor 50 Jahren die Stadt Kopenhagen begonnen, den Verkehr aus dem Stadtzentrum zu verdrängen. In der neuen Strategie 2011-2025 der Kopenhagener Stadtregierung nimmt das Fahrrad eine zentrale Stelle ein. Ziel ist es, dass 50 Prozent der Bürger zur Schule und zur Arbeit mit dem Rad fahren. Die Zahl der schwer verletzten Radfahrer konnte dank der Infrastrukturmaßnahmen seit 2005 um 50 Prozent reduziert werden. 80 Prozent der Radfahrer fühlen sich sicher im Verkehr. Ein Ziel ist es, so genannte Fahrradautobahnen für Pendler einzurichten, auch von speziellen Fahrradbrücken ist die Rede. Dass das Fahrrad in Kopenhagen akzeptiert ist und als etwas völlig Normales gilt, zeigen die vielen Fotos: Der Geschäftsmann im Anzug, das knutschende Liebespaar mit zwei Fahrrädern, die praktischen Christiania-Räder, mit denen Lasten, Kinder und auch ganz offiziell die Post befördert werden. Ganz pfiffig sind die geplanten Grünphasen für Radfahrer bei einem Durchschnittstempo von 20 km/h. Durch Sensoren im Straßenbelag soll der nahende Radler erkannt werden und die Ampelschaltung beeinflussen. Dass das aber kein Freibrief für rücksichtslose Fahrradrowdys ist, zeigt ein anderes Projekt: die „Karma-Razzia“. An 50 markanten Punkten der Stadt setzt die Stadt so genannte „Karma-Spotter“, die kleine „Karma-Geschenke“ an rücksichtsvolle Radfahrer verteilen - das Vorbild wird öffentlich bestärkt und belohnt.

Auf den Fotos fallen die breiten Fahrradwege auf, auf denen wirklich guter Verkehr herrscht. „Ein Problem, auf das wir stolz sind: Fahrradstaus – statt Autostaus. Unfälle sind kaum ein Problem, eher das Tempo. Das müssen wir angehen“, wird Claus Juhl, Stadtrat von Kopenhagen, in der Ausstellung zitiert. Die Reinigungsbetriebe der Stadt haben an den großen Radwegen angeschrägte Papierkörbe aufgestellt, so dass der Radler en passant seinen Kaffeebecher oder seine Zeitung zielsicher entsorgen kann. Beeindruckend sind die Luftautomaten der Firma Veksö, die an zentralen Kreuzungen aufgestellt werden. Könnte doch auch für Berlin interessant werden? Ebenso der Fahrradzähler. Er misst an zentralen Verkehrsknotenpunkten sichtbar den Radverkehr und jeder vorbeifahrende Radfahrer sieht, dass er im wahrsten Sinn des Wortes zählt, dass sein Beitrag wichtig ist.

Die Dänen gehen in ihrer Fahrradpolitik nicht verbissen oder ideologisch vor, sondern überzeugen durch die Macht des Faktischen: „Entscheidend ist, dass die Stadt sich bemüht, den Anteil der Radfahrer zu erhöhen, und gleichzeitig die U-Bahn ausbaut… Radfahren sollte etwas Normales und Selbstverständliches sein, keine Nische“, wird Andreas Röhl vom Kopenhagener Fahrradsekretariat zitiert.

Wie die Fahrräder nach Afrika kommen

Dass man auch schick auf dem Fahrrad unterwegs sein kann, zeigen viele Fotos der Ausstellung. Dänische Radfahrer sehen nicht aus wie Trekking-Touristen oder Outdoor-Aktivisten. Mikael Colville-Andersen unterhält den amüsanten Blog cyclechic, der Radfahren unter modischen Gesichtspunkten dokumentiert. Er betreibt noch den Blog copenhagenize.com, in dem es um alle Aspekte der Fahrradkultur geht. Der Ausdruck Copenhagenization stammt von dem Stadtarchitekten Jan Gehl, der vor 40 Jahren seit der Schaffung der  Fußgängerzone Ströget Städte untersucht, wie sie für Radfahrer und Fußgänger lebenswerter gestaltet werden können. Die Ausstellung zeigt, wohin das führen kann.

Aber die Dänen denken nicht nur an sich, sondern auch an die Dritte Welt. In einem Fahrradland fallen auch viele Fahrräder zur Verschrottung an. „Baisikeli“ – ein Suaheli-Wort für Fahrrad – ist ein interessantes Projekt. Niels Bonefeld und Hendrik Smedegaard Mortensen betreiben den Fahrradverleih Baisikeli und kaufen jedes Jahr Fahrräder auf, die verschrottet werden sollen. Sie richten sie wieder her und geben sie in den Fahrradverleih. Haben sich die Fahrräder amortisiert, werden sie an Fahrradwerkstätten in Tansania und Sierra Leone versandt, wo sie noch einmal überholt und dann verkauft werden. Für die Menschen ein wunderbares Transportmittel, mit dem sie ihre Waren zum Markt fahren können. Zudem werden afrikanische Fachkräfte ausgebildet – Fernziel ist es, in den Ländern eine eigene Fair-Trade-Fahrrad-Produktion aufzubauen.

Damit das nicht nur blanke Theorie bleibt, sind in der Ausstellung auch Fahrräder zu sehen, die von Dänen gestaltet wurden. Neben den bekannten Lastenfahrrädern überzeugen die Retroräder von Velorbis, die mit einer Aktentasche oder einem Weidenkorb ausgerüstet sind. „Ein prima deutsch-dänisches Produkt“, sagt Peter Memborg-Kring: „Das Design ist dänisch, aber das Rad ist Made in Germany, wir haben eben keinen Stahl.“ Die Idee dazu bekam der ehemalige Finanzberater Kenneth Bødiker der nach den verheerenden Bombenanschlägen 2005 in London bemerkte, dass die Briten die Fahrradläden leer kauften. Aber eine Aktentasche am Mountainbike zu befestigen, ist gar nicht so einfach. Er wechselte den Beruf und verkauft seine Design-Fahrräder  mittlerweile in 16 Länder.

Die Dänen denken auch an ihre Gesundheit und die ihrer Kinder. So hat die neue Regierung das Radfahren in ihr Programm aufgenommen. Mit der Kampagne „Alle Kinder fahren Rad“ soll der Nachwuchs zur Bewegung animiert werden – so kommen jedes Jahr etwa zehn Prozent neue Radfahrer hinzu. „Eine Stadt fährt Rad“ ist eine sehr anregende Ausstellung, die der Fahrradstadt Berlin deutlich zeigt, wo es noch Defizite gibt und was man von Kopenhagen lernen kann. Vielleicht besuchen ja auch Stadtplaner die Ausstellung. Gelegenheit dazu gibt es bis zum 29. Februar.  

Felleshus der Nordischen Botschaften, Rauchstraße 1, 10787 Berlin. Montag bis Freitag 10 bis 19 Uhr, Samstag und Sonntag 11 bis 16 Uhr.

9. Februar um 18.30 Uhr:
Debatte zur Zukunft der urbanen Mobilität u. a. mit Michael Cramer (MdEP Grüne), Burkhard Horn (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin), Michael Colville-Andersen (Copenhagenize Consulting), Jesper Pørksen (Dänischer Fahrradverband), Tina Saaby (Stadtarchitektin Kopenhagen) und Niels Tørslev (Leiter Verkehrszentrum Kopenhagen)

www.copenhagenize.com

www.copenhagencyclechic.com

www.eu2012.dk

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