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Panzer trifft Insekt. Diese nachgestellte Szene illustriert ganz gut, warum Autofahrer aufhören sollten, ständig mit dem Finger auf die Nächstschwächeren zu zeigen - selbst wenn die regelwidrig auf einem Zebrastreifen kreuzen.

© dpa

Autos contra Fahrräder: Liebe Pkws: Ihr seid tonnenschwer!

„Die Radler sind viel schlimmer, die sollte man sich mal vornehmen“: So brüllt es in Debatten rund um den Blitzmarathon. Was die Blechinsassen vergessen: Der Vergleich zwischen Rad und Pkw hinkt wie das Opfer eines Autounfalls.

Jetzt kocht sie wieder, die Volksseele, die Berliner zumal, die sich ja schon allein qua Bevölkerungsdichte viel mehr an der nächstgelegenen Seele reibt als jene in Anklam oder Erding. Wenn die Ordnungsmacht an einem Tag mal etwas pointierter auf die Einhaltung sinnvoller Verkehrsregeln drängt, und sei es nur im Rahmen eines bis an den Rand der völligen Wirkungslosigkeit vorangekündigten Blitzermarathons, dann schäumt’s aus dem Kessel: Abzocke, Wegelagerei, Volksverarsche, Tugendterror! Die Worte sind, auch in dieser Zeitung, alle genannt und bekannt.

Aber, und deshalb lohnt es sich, das Thema an dieser Stelle noch mal aufzugreifen, es geht ja allzu oft noch weiter, gerade in Berlin, aus dem genannten Grund der reibungsbefördernden Enge: „Immer auf die Autofahrer!“ heißt es dann. Und danach, nur echt mit vielen Fragezeichen: „Was ist denn mit den anderen??????“ Man musste am Donnerstagnachmittag, am Tag des Marathons also, in den Nutzerkommentaren von Tagesspiegel.de gar nicht lange suchen. „Und die Radfahrer?“ fragte da Don Rolfo direkt unter unserem zu diesem Zeitpunkt aktuellen Text zum Blitzermarathon in Berlin, um fortzufahren: „Es wäre mal angebracht einen Kontrollmarathon mit 1000 Polizisten gegen Verkehrsverstöße von Radfahrern vorzunehmen.“ Da käme dann richtig Geld in die Kasse.

Ja, liebe Freunde, das wäre wohl mal angebracht, und ja, da käme bestimmt Geld in die Kasse. Denn die Fahrradfahrer fahren oft wie die Wildsäue, auf dem Gehweg, ohne Licht und Rücksicht. Nicht angebracht aber ist, permanent aus der tonnenschweren gepanzerten Blechbüchse heraus auf fadenscheinige Rahmengestänge zu zeigen und zu geifern: Der da hat aber auch ... Das ist ja wie im Kindergarten, oder nein, halt: Das ist viel schlimmer als im Kindergarten. Das ist, als würde ein umfangreich vorbestrafter Intensivtäter von 16 Jahren permanent einen schlecht erzogenen Fünfjährigen vor sich halten und sagen: „Der benimmt sich aber auch daneben.“

Um Schuld geht es nicht!

Panzer trifft Insekt. Diese nachgestellte Szene illustriert ganz gut, warum Autofahrer aufhören sollten, ständig mit dem Finger auf die Nächstschwächeren zu zeigen - selbst wenn die regelwidrig auf einem Zebrastreifen kreuzen.
Panzer trifft Insekt. Diese nachgestellte Szene illustriert ganz gut, warum Autofahrer aufhören sollten, ständig mit dem Finger auf die Nächstschwächeren zu zeigen - selbst wenn die regelwidrig auf einem Zebrastreifen kreuzen.

© dpa

Als Fußgänger, der in dieser Stadt sowohl von Fahrrädern als auch von Autos schuldlos zusammengefahren wurde, kann ich sagen: Kein Vergleich! Zwar ist das Fahrrad im ersten Moment – nach Anprall Lenker auf Musikknochen – sogar schmerzhafter. Aber komplizierte Innenknöchelfraktur, ein Jahr Rekonvaleszenz, bis der Gehfehler ausgestanden ist, immer wieder aufflammende Entzündungen, ewiges Prozessgehansel – das schafft, noch dazu bei gemäßigtem Tempo, so nur ein Auto.

Und man muss ja überhaupt nicht die persönliche Betroffenheitswelle reiten: 42 Verkehrsunfalltote in Berlin im Jahr 2012, davon 17 Fußgänger, 15 Radfahrer, sechs auf motorisierten Zweirädern und drei PKW-Insassen sprechen eine mehr als deutliche Sprache. Und nein, liebe Aufrechner mit oder ohne Auto, es ist an dieser Stelle eben überhaupt nicht von Belang, wie viele Radfahrer durch eigenes Verschulden zu Tode gekommen sind. Und wie viele andere durch das Verschulden von Radfahrern. Ganz abgesehen davon, dass die Berliner Unfallstatistik die Frage der Schuldhaftigkeit überhaupt nicht behandelt: Von Belang ist allein, dass Autofahrer im Stadtverkehr in einer absolut privilegierten Position sind. Aus der heraus sie sich ein Mehr an Kontrollen gefallen lassen müssen, ohne ständig mit dem Finger auf die Nächstschwächeren zu zeigen.

Die Frage bleibt natürlich: Macht das den – welch Wort! – „Kampfradler“ irgendwie harmloser? Selbstverständlich nicht! Doch bevor nun wieder die Beschwichtiger kommen und ihren „Alle müssen lernen“-Gesang anstimmen, sei hier in aller Schärfe gesagt: Wer die Vergehen der Autofahrer permanent gegen die der Radfahrer aufrechnet, spielt mit einem Feuer, an dem sich schon bald zu viele verbrennen könnten. Man sieht es schon jetzt – gar nicht so selten – dort aufflammen, wo Radfahrer nach lässlichen Vergehen, die niemanden gefährden, von Autofahrern, die diese beobachtet haben, bei nächster Gelegenheit ausgebremst und in den Rinnstein gedrängt werden. Man sieht es dort, wo nachts Taxis und Radfahrer einen ungleichen Kampf um die Busspuren dieser Stadt führen. Und man fühlt es in den Knochen, wenn man mal wieder zwischen die Fronten geraten ist. Allein: Autos brechen die viel schneller.

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