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Rabiate Fahrer zur Kasse bitten: Legt die Räder an die Kette!

Sie ignorieren rote Ampeln, fahren ohne Licht, haben mitunter nicht mal Bremsen – manche Pedalisten pfeifen auf die Regeln. Das nervt – weil sie verhindern, dass wir Radfahrer von der Verkehrspolitik ernst genommen werden. Was macht eigentlich die Polizei?

Montagmorgen, Köpenicker/ Ecke Heinrich-Heine-Straße. Autos drängen sich vor der Ampel, ein Radfahrer rollt von hinten heran, schaut nicht mal auf zum Rotlicht, fährt wacker auf die Kreuzung, taxiert den Fahrzeugstrom, der von links nach rechts vorbeizuckelt. Endlich tut sich eine Lücke auf, er zwängt sich hinein, weiter geht’s.

Dienstagabend, Oranienstraße. Zwei Radfahrerinnen schleichen in angeregter Unterhaltung nebeneinander her und lassen die übrigen Verkehrsteilnehmer an der Entdeckung ihrer Langsamkeit teilhaben. Wenigstens hat die junge Frau, die rechts fährt, vorn Licht. Zumindest flackert es dort ein bisschen, was vermutlich am rutschenden Dynamo liegt. Es nieselt nämlich.

Mittwochabend, Warschauer Straße, zwei gewaltige Kopfhörer über einer Strickmütze …

Leute, das nervt! Ihr versaut das Image von uns Fahrradfahrern, wir alle müssen die Konsequenzen tragen. Jetzt bitte keine Ausreden von wegen: „Das ist meine eigene Sache, da darf man nicht pauschalisieren“. Das mag stimmen, wenn solche Lässlichkeiten dann und wann vorkommen. Mittlerweile sind sie aber so weit verbreitet, dass ich es anderen Verkehrsteilnehmer nicht verübeln kann, wenn sie auf „die Radfahrer“ schimpfen. Und mich anhupen, weil ich zu weit links fahre. Das würde ich an ihrer Stelle vielleicht auch tun, wenn ich bereits eine halbe Stunde Stadtverkehr hinter mir und dabei mein Radler-Aggressions-Konto aufgeladen hätte. Forderungen nach neuen Radwegen werden kaum Unterstützung finden, wenn sich viele von uns als kompromisslos-ignorante Vertreter dieser Gruppe präsentieren. Ernst genommen wird man so jedenfalls nicht.

Um hier nicht einen falschen Eindruck zu erwecken: Ich bin auch schon bei Rot über die Kreuzung gefahren, abends, wenn kein Auto kam. Und auch schon mal auf den (leeren) Bürgersteig gewechselt, weil Stau vor der Ampel war. Das wird wahrscheinlich auch in Zukunft wieder vorkommen. Ich behaupte aber, dass in den meisten Fällen zwar nicht im Einklang mit der Straßenverkehrsordnung, wohl aber mit einem vertretbaren Nutzen-Risiko-Verhältnis zu tun. Wer unbeleuchtet im Dunkeln mitten auf einer Hauptverkehrsstraße fährt, dem spreche ich jegliches Verantwortungsgefühl für sich und die übrigen Verkehrsteilnehmer ab.

Bleibt die Frage, warum manche notorisch auf die Regeln pfeifen.

Jugendliches Rebellentum ist es kaum. Es sind eher Leute in den Zwanzigern und Dreißigern – Männer wie Frauen – die Ampeln ignorieren und sich mit einem Selbstbewusstsein auf die Hauptstraße schieben, von dem die meisten Abteilungsleiter nur träumen.

Oder ist es andersherum und sie hoffen, auf der Straße Wahrnehmung und Anerkennung zu finden? Zumindest bei den Fahrern dieser neuartigen, schreiend individualisierten Bikes mit neonfarben lackierten Hochprofilfelgen ist es naheliegend, dass sie gesehen werden wollen: „Guck mal, ich habe ein Fixie ohne Bremsen und eine alte Campagnolo-Mütze, die ich fünf Minuten lang vorm Spiegel hin und her gerückt habe, bis sie besonders lässig aussah!“ Doch nachts, wenn das Gesehenwerden nicht nur die street credibility erhöht, sondern schlicht überlebenswichtig ist, scheint es den meisten von ihnen wieder egal zu sein: Dann tragen ihre schlanken Räder oft nur fingerdünne Funzeln an der Sattelstange, deren schwaches Licht dem Nachfolgeverkehr mitunter durch eine Umhängetasche aus alter Lkw-Plane genommen wird.

So schlimm kann das alles aber nicht sein, sonst würde die Polizei etwas dagegen unternehmen. Ich habe es jedenfalls noch nie erlebt, dass Beamte, die solche Verfehlungen von ihren Autos aus beobachten, in irgendeiner Art und Weise reagiert hätten. Die tun so, als wäre nichts. Und das ärgert mich mindestens genauso.

Von wegen zu wenig Personal. Wenn ein Rotfahrer im Feierabendverkehr mal öffentlichkeitswirksam mit Tatütata rausgewunken und zur Rede gestellt wird, zieht nicht nur der Gefasste seine Schlüsse. Sondern auch alle anderen, die das mitbekommen und vielleicht selbst mit dem Gedanken gespielt haben, den Heimweg auf diese Art zu beschleunigen.

Rote Ampel ignoriert, Fahren ohne Licht, Rad ohne Bremsen (womit einige, aber eben nicht alle klarkommen) – es gibt zahlreiche Gelegenheiten. Und wenn jemand zum zweiten Mal erwischt wird, ist das Rad weg. Angekettet am nächsten Geländer mit einem Zahlenschloss. Den Entsperrcode kriegt man aufs Handy, sobald das Bußgeld bezahlt ist.

Oh Mann, vor 15 Jahren hätte ich mich für diesen Text gehasst. Aber ehrlich gesagt fällt mir keine andere Lösung ein, als die Polizei um verstärkten Einsatz zu bitten. Unterm Strich würde sich die Atmosphäre auf Berlins Straßen zumindest etwas entspannen.

Auf der anderen Seite müsste aber auch eine Verkehrsverwaltung her, die endlich wahrnimmt, dass Radfahren in der Stadt weit mehr ist als das Vergnügen Einzelner. Mehr als ein Zehntel aller Wege werden hier auf dem Rad zurückgelegt, für Tausende ist es ein alltägliches Fortbewegungsmittel. Der Neubau von Radwegen kommt aber kaum voran. Da ist angeblich zu wenig Geld da, um große Fortschritte zu machen.

Auch beim aktuellen Geschehen sind die Radfahrer der Verwaltung offensichtlich schnuppe. Oder wie kann es sein, dass auf der Frankfurter Allee, einer der meistbefahrenen Straßen der Stadt, von der Kreuzung Niederbarnimstraße an stadtauswärts der Radweg wegen Bauarbeiten einfach gesperrt wird? Rot-weißen Riegel aufgestellt, Bauzaun drum, fertig. Der Fußweg daneben ist offen, aber zu schmal, um auch Radler vorübergehend aufzunehmen. Umleitungshinweise? Fehlanzeige. Also rollt man auf die Hauptverkehrsader, die just an dieser Stelle von drei auf zwei Spuren verengt wird. Ich lade die zuständigen Sachbearbeiter herzlich ein, gemeinsam mit mir diese Passage per Velo während des Berufsverkehrs zu bewältigen.

Und bitte denken Sie dabei an Ihre Fahrradbeleuchtung, ich bin da sehr empfindlich.

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