zum Hauptinhalt

Verkehrsplanung: Die Fahrradstadt kommt in die Spur

Die Verkehrsplaner des Senats haben für die Radlermetropole Berlin auch in diesem Jahr viele schöne Ideen. Wenn nur das Geld dafür freigegeben würde. In jedem Fall wird es eine bemerkenswerte Saison.

Endlich werden die Finger am Lenker nicht mehr taub, und kein Fahrtwind lässt die Gesichtszüge gefrieren. Am Wegesrand singen die Amseln vom Frühling – und plötzlich sind auch jene Radler wieder im Stadtbild präsent, deren Gefährte in den vergangenen Monaten Winterschlaf gehalten haben. Zugleich drängen sich die Termine der Branche: Wenige Tage nach dem Fachkongress Vivavelo lädt an diesem Wochenende die Fahrradschau ans Gleisdreieck, bevor in drei Wochen die große Publikumsmesse Velo-Berlin unter dem Funkturm ansteht. Die Häufung ist Zufall – aber zugleich ein Indiz, dass die vom Senat vor knapp zehn Jahren erstmals ausgerufene „Fahrradstadt Berlin“ in die Spur kommt. Der stadtweite Radverkehrsanteil von 13 Prozent – in der City viel mehr, in den Außenbezirken weniger – dürfte auch angesichts der aktuellen Benzinpreise weiter steigen. 2012 verspricht eine bemerkenswerte Fahrradsaison zu werden – im Guten wie im Schlechten. Denn die Verkehrsverwaltung hat viele Pläne in den Schubladen, die vorerst dort liegen bleiben müssen.

Dieter Wagner, Verkehrsplaner beim Senat, zählt die Orte auf, an denen weitere Fahrradspuren markiert werden sollen: Straße der Pariser Kommune, Am Friedrichshain, Schönholzer Weg, Müller-, Germanen-, Kniprode-, Michelangelo-, Hansa-, Sömmering-, Lise-Meitner-, Stadtrand-, Schneller-, Suermondt- und Markstraße. Laut Wagner sollen die Spuren an Kreuzungen nicht mehr am rechten Straßenrand verlaufen, sondern zwischen den Fahrspuren für geradeaus fahrende und rechts abbiegende Autos geführt werden. „Das machen wir überall, wo wir Platz für eine separate Rechtsabbiegerspur haben“, sagt Wagner.

Vielen Radlern ist es unheimlich, auf Magistralen wie Holzmarkt- und Mühlenstraße vor der Kreuzung vom rechten Rand mitten auf die Fahrbahn geleitet zu werden – und dann vielleicht zwischen zwei Lastwagen an der Ampel zu stehen. Aber das Unbehagen sei subjektiv, sagt Wagner: „Wir beseitigen damit einen entscheidenden Unfallschwerpunkt. Nämlich die Gefahr, dass Rechtsabbieger Radfahrer schneiden.“ Selbst ein sehr schnell nahender Autofahrer könne den vorausfahrenden Radler bei der neuen Verkehrsführung kaum übersehen. Und seit Jahren verunglücken die meisten Radler, weil sie von abbiegenden Autos umgefahren werden. Dramatisch sind solche Kollisionen mit Lastwagen: Sechs von elf getöteten Radlern seien 2011 auf diese Weise ums Leben gekommen, berichtet Philipp Poll, Landesgeschäftsführer des ADFC. Der Radfahrerverband sei deshalb „sehr froh“ über die neue Variante.

Bei so vielen schönen Ideen, gibt es nur ein Problem. Mehr dazu auf der nächsten Seite.

Doch all diese Pläne können erst umgesetzt werden, wenn das Abgeordnetenhaus den Doppelhaushalt 2012/13 beschlossen hat. Das dürfte erst kurz vor der Sommerpause passieren. Weil bis dahin die „vorläufige Haushaltswirtschaft“ mit der Beschränkung auf unbedingt nötige Ausgaben gilt, können die Tiefbauämter der Bezirke die Vorhaben also frühestens im Juni ausschreiben. Etwa ab September könnten dann die Baufirmen beauftragt werden – und haben dann vielleicht noch zwei, drei Monate Zeit, bevor der Winter ihre Arbeit stoppt.

Der Zeitverzug kann auch langfristig fatal sein: Nachdem laut ADFC schon im Vorjahr die personell dünn besetzten Bezirksämter nicht alles Geld ausgeben konnten, dürfte durch die aktuelle Quasi-Haushaltssperre 2012 noch mehr Geld „übrig“ bleiben. Eine Steilvorlage für den Finanzsenator, der das Geld für die Folgejahre dann umso leichter streichen kann.

Wie real diese Gefahr ist, zeigt bereits der aktuelle Haushaltsentwurf. In dem ist, wie berichtet, das Budget für die Sanierung maroder Radwege von zwei auf eine Million Euro gekürzt worden – zum Entsetzen von Fachleuten, die um den riesigen Sanierungsstau vor allem in den Westbezirken wissen. Ein Protestbrief des ADFC an Abgeordnete und Baustadträte scheint zu wirken: SPD-Verkehrsexperte Ole Kreins verspricht, er werde sich „für die Erhöhung auf zwei Millionen Euro einsetzen“. Sollte das nicht klappen, kann aus Sicht des ADFC in diesem Jahr kein einziges Sanierungsprojekt begonnen werden, weil mit dem übrigen Geld erst einmal alte Rechnungen bezahlt werden müssen. Zugleich verstieße die Kürzung klar gegen den Koalitionsvertrag, in dem unter der Überschrift „Fahrradfreundliches Berlin“ steht: „Das derzeitige Investitionsvolumen wird fortgeschrieben.“ Außerdem sollen vorrangig solche Nebenstraßen saniert werden, die Teil des Radroutennetzes sind.

Nächste Woche will der ADFC wieder weiß gestrichene „Geisterräder“ an den Orten aufstellen, an denen im Vorjahr Radler tödlich verunglückt sind. Demnächst soll zudem eine große Kampagne für eine friedlichere Koexistenz vor allem von Radlern und Fußgängern werben. Spannend wird, ob die von Polizeichefin Margarete Koppers angekündigte „konsequente und kontinuierliche“ Überwachung des Fahrradverkehrs sich mehr als bisher auf die realen Unfallursachen konzentrieren wird. Termine für Schwerpunktaktionen stehen laut Polizei noch nicht fest. Immerhin können die Radler sicher sein, dass die Verwaltung mit mehr Sachverstand denn je plant. Weil allerdings auch die beste Fahrradspur nichts nützt, wenn Autofahrer sie ständig zuparken, steht die diesjährige Sternfahrt am 3. Juni unter dem Motto „Berlin auf der Radspur“.

Zur Startseite