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Im „Haus der guten Taten“ im Forum Steglitz gibt es unter anderem Fair-Trade-Handtaschen und Papierwaren aus Behindertenwerkstätten zu kaufen. Im Wilmersdorfer Weltladen „A Janela“ berät Chefin Judith Siller (53, rechts) gerade eine Kundin.

© Tsp

Fairtrade: Entwicklungshilfe im Einkaufskorb

Immer mehr kleine Geschäfte und Supermarktketten bieten Waren aus fairem Handel. Wer sie erwirbt, zahlt oft ein bisschen mehr – aber bekommt als Gegenwert die Gewissheit, Gutes zu tun.

Alles begann mit kratzenden Alpaca-Pullis in den 60er und 70er Jahren, die gehörten zu den ersten fair gehandelten Produkten. Dann protestierten Christen mit Plakaten vor Blumenläden in Charlottenburg: Die Rosen sind voller Chemie, die Arbeitsbedingungen der Frauen in Afrika unmenschlich! Seitdem hat sich viel getan, selbst Fair-Trade-Blumen gehören in Berlins und Brandenburgs Läden immer häufiger zum Sortiment. 2010 wurden deutschlandweit auch mit schicken Trendprodukten wie Schmuck und Dekoartikeln 340 Millionen Euro umgesetzt – 27 Prozent mehr als 2009. Bereits in den Vorjahren gab es zweistellige Zuwächse. Laut Studien besitzen fair gehandelte Produkte „ein hohes Wachstumspotenzial“, sagt Handelsexpertin Jeanette Gonnermann von der IHK: „Die Verbraucher wollen nicht mehr nur Qualität zum guten Preis, sie möchten auch verantwortungsbewusst einkaufen.“ Nur – wie in dem Gewirr von Anbietern, Importeuren, Produkten und Läden noch durchblicken?

WAS IST EIGENTLICH FAIR TRADE?

Das Prinzip, beim gezielten Einkauf Menschen in ärmeren Ländern zu unterstützen – und als Konsument ein gutes Gefühl dabei zu haben. Volkmar Lübke, Vorstand der führenden Gütesiegel-Organisation „Transfair“, erklärt das am Beispiel Schokolade: Kleinbauernkooperativen bekommen einen Mindesteinkaufspreis, sie können bessere Löhne zahlen. Kontrolleure achten darauf, dass Sozial- und Umweltstandards eingehalten werden, die Arbeiter können selbst über eine Entwicklungsprämie abstimmen. Auch in Berlin engagieren sich Händler so gegen Kinderarbeit, Regenwaldrodung, für mehr Bildung, bessere Gesundheitsversorgung und für die Umstellung auf Bio-Produktion, sagt Antje Edler, Geschäftsführerin des deutschen Dachverbandes „Forum Fairer Handel“. Auch klimafreundliche Produktions- und Transportbedingungen sowie der Aufbau langfristiger Geschäftsbeziehungen gehören zum Konzept.

DAFÜR STEHT DAS SIEGEL

Nachhaltig produziert, aus fairem Handel – die Begriffe sind nicht geschützt. Daher kann das Siegel „Fair Trade“ als Anhaltspunkt für den Kauf dienen – hier steht eine internationale Kontrollkette dahinter. Die Firma zahlt dann eine Gebühr: Bei „Sportbällen“ sind für die Lizenz zwei Prozent auf den Nettoverkaufswert fällig, bei Wein 0,12 Cent pro Liter und für Brotaufstrich 0,16 Cent pro Kilo. Laut Transfair-Vorstand Volkmar Lübke wird während der Transportkette überwacht, dass die Qualität etwa des Kakaopulvers erhalten bleibt und es nicht gestreckt wird. Rund 180 Lizenznehmer bieten 1000 Produkte an. Die Siegel „UTZ“ und „Rainforest Alliance“ stünden nicht für den besagten geprüften fairen Handel, sondern weisen eher auf umweltgerechtes und nachhaltiges Handeln hin. Es gibt auch faire Waren ohne Siegel großer Importeure (s. Kasten). Händler wie das sozial engagierte Trio von „Coffee Circle“ sagen, ihr Fairtrade-Kaffee aus Äthiopien ohne Siegel würde noch mehr Sinnvolles im Land leisten und die Qualität sei noch besser. Die Berliner kaufen selbst ein und koordinieren die Hilfe vor Ort.

WELTLÄDEN MIT TREND-SORTIMENT

Bereits 1969 hatte in Holland der erste „Weltladen“ eröffnet. Heute gibt es davon mindestens 14 in Berlin und bundesweit mehr als 800. An der Emser Straße 45 in Wilmersdorf etwa gründeten Mitglieder der Kirchengemeinde St. Ludwig vor zwölf Jahren den Weltladen „A Janela“ (portugiesisch für „Das Fenster“) mit rund 20 ehrenamtlichen Helfern. Judith Siller, eine der Gründerinnen, ist auch Ansprechpartnerin für die „Fairtrade Town“ Charlottenburg-Wilmersdorf. Dieses internationale Siegel erhielt die City-West im Juni, weil sich dort mehr als 120 Läden, Restaurants und Schulen am fairen Handel beteiligen. Der Weltladen machte zuletzt einen Jahresumsatz von 125 000 Euro und führt rund 1200 Artikel wie Lebensmittel, Schmuck, Kleidung, Kunsthandwerk. „Es geht in kleinen Schritten aufwärts“, sagt Siller, generell aber „erreichen Weltläden die breite Bevölkerung kaum“. Fairtrade müsse erst „in den normalen Handel“. Das Sortiment sei erheblich professionalisiert worden, sagt Siller, die Ära der Jutetaschen vorbei. „Lederwaren sind nicht teurer als im konventionellen Handel, und die Qualität ist gut.“. Lebensmittel stammten meist aus biologischer Landwirtschaft: „Das erwartet der Kunde.“

Alles so schön bunt hier.
Alles so schön bunt hier.

© Tsp

„COEO“ –- HAUS DER GUTEN TATEN

Noch ist es ein einzigartiger Projektshop, das Konzept wird aber jetzt anderen Einkaufszentren als Ladenkonzept angeboten: Im ersten Stock des Forum Steglitz residiert das schicke Geschäft „Haus der guten Taten“ mit Fair-Trade-Abteilung, Produkten aus Behindertenwerkstätten, vor allem christlichen und ethischen Büchern sowie einem Café mit fairen Speisen. Begründet hat das alles der ehemalige „Spiele Max“-Unternehmer Wilfried Franz. „Ich wollte nicht nur ein Geschäft nach dem anderen eröffnen, sondern etwas mit Bedeutung tun“, sagt Franz. Viele Kunden merken sich den Laden schon für den Weihnachtsgeschenke-Einkauf vor. „Man merkt, hier steckt in allem Herzblut drin“, sagt eine Kundin.

DAS BIETEN DIE SUPERMÄRKTE

Nach Schätzung des „Forums Fairer Handel“ führen bundesweit 33 000 Supermärkte Fairtrade-Produkte. „Der Trend geht nach oben, selbst die Discounter machen mit“, sagt Günter Päts vom Handelsverband Berlin-Brandenburg. Die Zielgruppe sei großenteils identisch mit den Käufern von Bioprodukten – nämlich Menschen, die „bewusst einkaufen“. Dies bestätigt Sprecher Andreas Laubig von der Edeka-Gruppe, zu der in Berlin auch Reichelt gehört. Aber: „Viele Kunden äußern sich bei Befragungen anders, als es ihrem Kaufverhalten entspricht“, sagt er. Die Bereitschaft, für faire Waren mehr zu bezahlen, sei in der Praxis geringer. Beim Sortiment „gibt es bei uns noch Luft nach oben, aber wir sehen Perspektiven und wollen dem Thema mehr Aufmerksamkeit widmen“. Die Renner seien Kaffee und Schokolade. „Man muss das aber bewerben und mit den Kunden reden, sonst geht es unter“, sagt Laubig.

Zuwächse vor allem bei „Waren des täglichen Bedarfs“ meldet die Tengelmann-Gruppe, der Mutterkonzern der Kaiser’s-Märkte: „Die Kunden sind bereit, mehr zu zahlen, und die Nachfrage steigt.“ Die Lidl-Gruppe bietet in allen Filialen ihre mit dem Fair-Trade-Siegel zertifizierte Marke „Fairglobe“ an. Mittlerweile gibt es rund ein Dutzend Artikel – darunter Schokolade, Bananen, Zucker, Tee, Orangensaft, Wein, Reis und Cookies. „Wir sprechen damit eine breite Käuferschicht an“, sagte ein Sprecher, die Entwicklung sei „zufriedenstellend“.

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