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Fallstricke des Alltags: Als Blinde ins Kino?

Einmal in der Woche fragen Sie Elisabeth Binder, wie man mit komplizierten oder peinlichen Situationen so umgeht, dass es am Ende keine Verstimmungen gibt: So kann's gehen.

Gestern konnte ich den Film im Kino nicht richtig genießen, weil sich nebenan eine blinde ältere Dame mit ihrem Begleiter niederließ. Es kam tatsächlich so, dass dieser ihr alle Filmbilder umfangreich beschrieb, von den Untertiteln einiger Szenen, in denen Portugiesisch gesprochen wurde, bis zu den Landschaftsbildern. Ich fühlte mich durch die ständig vorhandene, wenn auch leise Stimme sehr gestört und verließ das Kino ziemlich genervt. Weil es gut gefüllt war, konnte ich mir auch keinen anderen Platz suchen.

Almut, verärgert

Es klingt so, als seien Sie im Kino das erste Mal auf diese Weise gestört worden. Das ist also die Ausnahme, nicht die Regel. Für die blinde Frau wird es auch eine große Ausnahme gewesen sein, sich einen Film beschreiben zu lassen. Wie hätten Sie sich wohl hinterher gefühlt, wenn Sie der Blinden durch eine Beschwerde dieses Erlebnis verdorben hätten? Ich denke: schrecklich. Denn während Sie die Freiheit haben, jederzeit im Kino anzuschauen, was Ihnen gefällt, ist die Blinde darauf angewiesen, einen Begleiter zu finden. Vielleicht kostet sie ein solcher Ausflug besondere Überwindung. Sie sind ja ganz sicher nicht die Einzige, die das seltsam findet. Allerdings gilt in unserer Gesellschaft, dass Behinderte so normal wie möglich am sozialen Leben teilhaben können. Eine kleine Störung in Kauf zu nehmen für die Freude eines Menschen, der sicher kein einfaches Leben hat, kann doch nicht so große Überwindung kosten. Und nur wenige Kinos, wie neuerdings das International, bieten die Möglichkeit, bei einigen dafür gerüsteten Filmen über eine Smartphone-App, das Kino-WLAN und Kopfhörer einer Audiodeskription zu lauschen – oder bei eingeschränktem Hörvermögen bei allen Filmen die Hörunterstützung zu wählen.

Wenn allerdings Menschen ohne Behinderung schwätzen während der Vorstellung, weil sie sich nicht konzentrieren können oder wollen, dann soll man sie schon zur Ordnung rufen. Ich empfehle dann immer einen Kneipenbesuch – und bekomme regelmäßig patzige Antworten.

Aber da, wo jemand einen Film nur durch Erläuterungen erleben kann, würde ich schweigen. Sie haben schließlich die Freiheit, sich ihn jederzeit noch einmal anzuschauen. Nehmen Sie das Erlebnis einfach zum Anlass, dafür dankbar zu sein. Dann verfliegt der Ärger schnell.

Tagesspiegel-Kolumnistin Dr. Elisabeth Binder.
Tagesspiegel-Kolumnistin Dr. Elisabeth Binder.

© Tsp

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