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Tagesspiegel-Kolumnistin Dr. Elisabeth Binder.

© Tsp

Fallstricke des Alltags: Hätte ich besser geschwiegen?

Einmal in der Woche fragen Sie Elisabeth Binder, wie man mit komplizierten oder peinlichen Situationen so umgeht, dass es am Ende keine Verstimmungen gibt: So kann's gehen..

In einem Strandurlaub traf ich einen guten Bekannten aus jungen Jahren, der nun, etwa 20 Jahre später, einen Arm verloren hatte. Er trug eine Prothese, was wegen des strandmäßigen leicht bekleideten Umgangs nicht zu übersehen war. Ich sprach ihn drauf an, und er erzählte, dass der Arm bei einem Motorradunfall verloren ging, und fügte etwas später hinzu, dass das Ganze „nicht schlimm“ sei. Es fiel mir nicht leicht, meine Betroffenheit zu verbergen, und im Nachhinein hatte ich das unangenehme Gefühl, dass ich nach der ersten Frage besser darüber hinweggesehen hätte. Er hat sich nie mehr bei mir gemeldet.

Marlene, erschrocken

Da Sie gar nichts von dem Unfall wussten, haben Sie den alten Bekannten offensichtlich lange nicht gesehen. Es ist also nicht üblich zwischen Ihnen, sich immer mal zu melden. Insofern brauchen Sie auch nicht zu befürchten, durch Ihre Reaktion auf die Veränderung negative Gefühle ausgelöst zu haben. Sie könnten sich schließlich auch mal melden, wenn Ihnen an dem Kontakt liegt. Über eine solche Veränderung hinwegzusehen, hielte ich für ganz falsch. Dann tut man ja so, als sei ein Schicksalsschlag eine Peinlichkeit, also etwas, über das man besser nicht redet.

Ihr Bekannter musste sich nach dem Unfall mit der Behinderung ja intensiv auseinandersetzen. Da erwartet er sicher Reaktionen. Allerdings konnten Sie in dem Fall davon ausgehen, dass er manches, was am Anfang noch katastrophal schien, bewältigt hat. Sonst würde er sich nicht mit der Prothese am Strand zeigen. Es ist schwer, angemessen zu reagieren und die Balance zwischen der diskreten Demonstration aufrichtigen Mitgefühls und einem Lamento zu finden. Sie sollten sich in einer solchen Situation erkundigen, wie das passiert ist und warum und auch sagen, dass Ihnen das leidtut. Aber bei diesem Punkt soll man nicht allzu lange verweilen. Eine oder zwei Fragen dazu, wie die Prothese funktioniert, dürfen gerne folgen.

Und dann kann man sich getrost anderer Themen annehmen. Wie ist der Strand? Gibt es gute Tipps für Ausflüge? Weißt du noch damals … ? An Themen dürfte kein Mangel sein. Wie viel Zeit dem schrecklichen Unfall zu widmen ist, muss man erfühlen.

Bitte schicken Sie Ihre Fragen mit der Post (Der Tagesspiegel, „Immer wieder sonntags“, 10876 Berlin) oder mailen Sie diese an: meinefrage@tagesspiegel.de

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