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Fallstricke des Alltags: Warum muss man eigentlich Wildfremden ein schönes Wochenende wünschen?

Einmal in der Woche fragen Sie Elisabeth Binder, wie man mit komplizierten oder peinlichen Situationen so umgeht, dass es am Ende keine Verstimmungen gibt: So kann's gehen.

Es nervt mich, wenn mir freitags alle möglichen Leute ein schönes Wochenende wünschen. Einerseits fühle ich mich verpflichtet, das zu erwidern, andererseits wünsche ich den Leuten aber gar nicht unbedingt ein schönes Wochenende. Mir ist es ganz einerlei, wie die ihre Zeit verbringen.

Tagesspiegel-Kolumnistin Dr. Elisabeth Binder.
Tagesspiegel-Kolumnistin Dr. Elisabeth Binder.

© Tsp

Irina, aufrichtig

Ihre Ehrlichkeit ehrt Sie, nicht umsonst gibt es ja auch das Sprichwort „Ehrlich währt am längsten“. Bei solchen Grüßen handelt es sich aber normalerweise nicht um Wünsche, die wirklich aus einem tiefen und glühenden Herzen kommen, sondern um schlichte Konventionen. Was soll denn die Verkäuferin sagen, die von ihrem Chef die Anweisung bekommen hat, auch dem ekeligsten Kunden, der an ihrer Kasse vorbeikommt, noch ein schönes Wochenende zu wünschen? Ihnen sind die Leute nur gleichgültig. Das ist auch in Ordnung. Aber ist es so schlimm, einem Menschen, der nicht gerade der ärgste Feind ist, zu dem man nur einfach keine besondere Beziehung hat, etwas Gutes zu wünschen?

Dass solche Umgangsformen zu Konventionen geworden sind, hat ja auch viel damit zu tun, dass alle etwas von einem freundlichen gesellschaftlichen Klima haben. Und es lockert die Atmosphäre nun mal ungemein auf, wenn Passanten und Kollegen nicht schweigend mit finsteren Mienen aneinander vorbeigehen, sondern sich in irgendeiner Form signalisieren, dass sie guten Willens sind. Wenn Sie Ihrer Ehrlichkeit freien Lauf lassen, müssen Sie damit rechnen, als Stiesel wahrgenommen zu werden, was Ihre soziale Position unter den Mitmenschen nicht unbedingt verbessern wird. Bleibt Ihr Gewissen nur rein, wenn Sie ausschließlich solchen Menschen ein schönes Wochenende wünschen, die Ihrem Herzen ganz nahestehen, dann können Sie sich darauf natürlich beschränken. Aber bevor Sie sich auf diese Position zurückziehen, probieren Sie doch mal aus, wie es sich anfühlt, sogar Wildfremde anzulächeln und ihnen einen „Guten Tag“ zu wünschen. Sie könnten zu dem Schluss kommen, dass eine Weitung des Herzens dem Gewissen letztendlich besser tut als akribisch praktizierte Ehrlichkeit.

Bitte schicken Sie Ihre Fragen mit der Post (Der Tagesspiegel, „Immer wieder sonntags“, 10876 Berlin), oder mailen Sie diese an:

meinefrage@tagesspiegel.de

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