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Tagesspiegel-Kolumnistin Dr. Elisabeth Binder.

© Tsp

Fallstricke des Alltags: Wie lange dauert das Totengedenken?

Einmal in der Woche fragen Sie Elisabeth Binder, wie man mit komplizierten oder peinlichen Situationen so umgeht, dass es am Ende keine Verstimmungen gibt: So kann's gehen.

Vor neun Jahren ist die Frau eines befreundeten Ehepaares verstorben. Der Witwer lädt seitdem anlässlich des Todestages Freunde, Bekannte, Verwandte und ehemalige Kollegen zu einer Gedenkfeier ein, die abwechselnd bei ihm zu Hause, aber auch reihum - auf Wunsch des Witwers - bei den Gästen stattfindet. Ich habe den begründeten Verdacht, dass die Betroffenen das eigentlich nicht mehr wollen. Sie trauen sich aber nicht, das so zu sagen. Auch ich gehöre dazu. Was raten Sie, damit "mal Schluss" damit ist? Oder was meinen Sie, wann "Schluss" sein müsste?

Gerhard, angeödet

Warum muss denn überhaupt Schluss sein? Da hat sich doch offensichtlich ein Freundeskreis etabliert zu Ehren der Verstorbenen, das ist auf jeden Fall schon mal eine schöne Sache. Vielleicht nerven Sie bestimmte Trauerrituale, die nach so langer Zeit nicht mehr richtig passend oder vielleicht sogar peinlich erscheinen. Aber die Menschen treffen Sie doch gern, sonst würden Sie bestimmt nicht so treu dahin gehen. Wenn Sie aus der Gedenkfeier einfach ein Freundeskreis-Treffen machen möchten ohne krampfige Reden und Rituale, dann spricht doch nichts dagegen, sich mit anderen Genervten abzusprechen, wie man das am besten organisieren kann. Für den Witwer wäre eine Umwidmung sicher auch besser, als wenn plötzlich einfach Schluss wäre mit den gemeinsamen Unternehmungen. Vielleicht war er unsicher, wie er am besten seinen Freundeskreis zusammenhalten kann, und dies erschien ihm als die einzige Möglichkeit. Es ist ja manchmal auch so, dass nach dem Tod eines Ehepartners die Freunde plötzlich verloren gehen, weil ein Single nicht mehr so richtig in die Struktur des Freundeskreises passt. Gut möglich, dass der Witwer mit dem Gedenk-Event diesem traurigen Phänomen entgegenwirken wollte. Nach neun Jahren kann man davon ausgehen, dass sich die Trauer gelegt hat und es eigentlich auch längst an der Zeit für neue Perspektiven und Horizonte wäre. Auch dabei können Sie einander helfen. Sprechen Sie beim nächsten Treffen doch einfach mal einen Toast auf die verstorbene Freundin aus, die sie alle so lange schon zusammenhält und die schönen Treffen inspiriert hat. Und geben Sie der Hoffnung Ausdruck, dass dieser Zusammenhalt noch lange vorhält. Anschließend verabreden Sie sich mit dem Witwer zu einem Glas Wein und überlegen gemeinsam, wie man mittlerweile verstaubte und nervige Gedenkrituale aus diesen Treffen möglichst sang- und klanglos verschwinden lassen kann.

Bitte schicken Sie Ihre Fragen mit der Post (Der Tagesspiegel, "Immer wieder sonntags", 10876 Berlin) oder mailen Sie diese an: meinefrage@tagesspiegel.de

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