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Berlin: Falscher Hauptmann, echte Verbrecher

Ein Spiegelbild der Geschichte: Die spektakulärsten Prozesse aus 100 Jahren Kriminalgericht – Von Georg Schertz

Tausende Prozesse füllen die Gerichtsakten auf dem Dachboden im Kriminalgericht Moabit, sie spiegeln außergewöhnliche Geschichten und Schicksale wider sowie das soziale, gesellschaftliche und politische Leben der Stadt. Für einen Streifzug durch die Prozessgeschichte hat der frühere Polizeipräsident Georg Schertz hier einige Fälle ausgewählt. Bevor Schertz 1987 Polizeichef wurde, war der Jurist Vizepräsident der Amtsgerichte Berlins und damit auch für das Moabiter Gerichtsgebäude zuständig.

1906: der Hauptmann-Prozess

Bereits mit dem Jahr 1906 verbindet sich einer der berühmtesten Prozesse im Kriminalgericht: die Strafsache gegen den Schuhmacher Wilhelm Voigt, der als „Hauptmann von Köpenick“ in die Geschichte einging und das Militär des Kaiserreiches der Lächerlichkeit preisgab. Als verkleideter Hauptmann ließ er den Bürgermeister von Köpenick verhaften und beschlagnahmte die Stadtkasse: Über diese Köpenickiade lachte das Kaiserreich, und die Justiz hatte es schwer, nach Voigts Festnahme die Gerichtsverhandlung in aller Ernsthaftigkeit zu führen. Der falsche Hauptmann hatte mit seinem Coup die Uniformgläubigkeit und bisherige Ordnung in Frage gestellt. Schließlich verurteilte man ihn zu vier Jahren Haft; er wurde aber bereits nach zwei Jahren vom Kaiser begnadigt. Ein überraschender Zug des wohl zu Recht als reichlich autoritär angesehenen wilhelminischen Staates.

1919: der Politprozess

Unter den politischen Vorzeichen des Ringens um die demokratische oder nationalistische Ausrichtung der Weimarer Republik stand ein Mordprozess, der am 8. Mai 1919 begann: Am 15. Januar 1919 hatten Freikorpsoffiziere der Garde-Kavallerie-Schützen-Division nach dem Scheitern des Spartakusaufstandes dessen Führer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ermordet. Gegen die Mörder wurde im Großen Schwurgerichtssaal des Kriminalgerichts verhandelt. Damit beauftragt war aber nicht die ordentliche Gerichtsbarkeit, sondern ein Militärgericht. Bereits in aller Frühe hatten starke Patrouillen der Garde-KavallerieSchützen-Division alle Eingänge des Gerichts besetzt. Nach 9 Uhr betraten die Angeklagten den Gerichtssaal, ordensgeschmückt und in heiterer Stimmung schritten sie aus dem Richterzimmer kommend zur Anklagebank. Ein Soldat, der den Opfern Kolbenhiebe versetzt, sie aber nicht getötet hatte, erhielt zwei Jahre Gefängnis, ein Oberleutnant wurde wegen Beseitigung einer Leiche, ein weiterer wegen Befehlsanmaßung gering bestraft, alle übrigen wurden freigesprochen.

1928: der Kunstprozess

Auch die Kunst stand vor den Schranken des Moabiter Gerichts. So musste sich George Grosz im Jahr 1928 wegen Gotteslästerung vor dem Landgericht verantworten. Grosz hatte 17 Zeichnungen veröffentlicht, eine zeigte Christus am Kreuz mit einer Gasmaske und einem Kruzifix in der linken Hand. Wegen dieses Bildes war Anklage wegen Gotteslästerung erhoben worden. Die Zweite Große Strafkammer sprach Grosz frei und wies in der Urteilsbegründung darauf hin, dass Menschen, die den Sinn der Grosz’schen Bilder nicht verstünden, mit ihren Ansichten nicht die Grenzen der Kunstausübung bestimmen sollten.

1930: der Horst-Wessel-Prozess

Immer häufiger beschäftigte nun der aufkommende Nationalsozialismus die Richter. So standen 1930 drei „Rotfrontkämpfer“ vor Gericht. Sie sollten den 23-jährigen SA-Sturmführer Horst Wessel erschossen haben. Tatsächlich hatte nur einer von ihnen aus eher persönlichen Gründen geschossen. Die Nazis stilisierten Wessel gleichwohl zum Märtyrer. Ein Jahr später kam es zum „Kurfürstendamm-Prozeß“. 40 Nazis hatten auf dem Ku’damm jüdische Mitbürger angegriffen. Zu den Vorbildern der Täter gehörte der spätere Präsident des Volksgerichtshofes, Roland Freisler. Unter den Störern bei der Verhandlung soll er ausgerufen haben, „jetzt müsse nach Volksempfinden geurteilt werden“.

1940: der Sass-Prozess

Doch wenden wir uns nun einem Prozess zu, dessen Hauptpersonen zur Legende wurden. Das Verfahren begann 1940, die Vorgeschichte führt aber in die zwanziger Jahre zurück. Es ging um die „Meisterdiebe von Berlin“, die Gebrüder Erich und Franz Sass. Die Polizei hatte sehr bald gute Gründe, ihnen mehrere gescheiterte Bankeinbrüche anzulasten; doch ein Nachweis gelang nicht. Ganz Berlin nahm Anteil – und im Januar 1929 wurde dann das Meisterstück gemeldet: der Einbruch in die Disconto-Gesellschaft, Kleist- / Ecke Bayreuther Straße. Von den 181 Kundensafes wurden 179 ausgeräumt. Die Täter kamen über einen selbst gebauten Schacht. Überführen konnte die Polizei sie nicht. 1932/33 setzten sich die beiden nach Dänemark ab, gingen in Kopenhagen ihrem „Gewerbe“ nach, wurden aber geschnappt und ausgewiesen. Am 27. Januar 1940 verurteilte man Erich und Franz Sass in Moabit zu hohen Zuchthausstrafen. Am 27. März 1940 holte die Gestapo sie ab und erschoss sie.

1967: der NS-Prozess

In den fünfziger und sechziger Jahren gab es erste Bemühungen, das NS-Unrecht aufzuarbeiten. Erinnert sei an den Prozess des Jahres 1967 gegen den Richter am Volksgerichtshof, Hans-Joachim Rehse. Als Beisitzer unter Freisler hatte er an zahlreichen Todesurteilen mitgewirkt. Im ersten Prozess wurde Rehse wegen Beihilfe zum Mord zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Doch der Bundesgerichtshof (BGH) hob das Urteil wieder auf, weil ein Richter immer voll verantwortlich sei, er könne nicht „Gehilfe“ sein. 1968 wurde der Angeklagte vor einer anderen Schwurgerichtskammer sogar freigesprochen. Bevor der BGH den Fall erneut aufgreifen konnte, starb Rehse 1969.

1978: der Terror-Prozess

Am 10. November 1974 fällt der Berliner Kammergerichtspräsident Günter von Drenkmann in seiner Wohnung einem Mordanschlag der Roten Armee Fraktion (RAF) zum Opfer. Wenige Monate später, am 27. Februar 1975, wird der Landesvorsitzende der Berliner CDU, Peter Lorenz, von Terroristen entführt. Drei Jahre später beginnt in Moabit der „Lorenz / Drenkmann- Prozess“ im stark gesicherten Schwurgerichtssaal 700. Die sechs Angeklagten werden von 21 Verteidigern vertreten, der Prozess zieht sich lange hin und endet 1980 mit Freiheitsstrafen zwischen fünf und fünfzehn Jahren. Die Ermordung des Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann allerdings blieb aus Mangel an Beweisen ungesühnt.

1986: der Antes-Prozess

Es war der größte Korruptionsskandal der Berliner Nachkriegsgeschichte: die Antes-Affäre. Zentralfigur war der Leiter der Charlottenburger Baubehörde, Wolfgang Antes, doch mindestens 30 weitere Personen aus Politik und Baubranche waren involviert. Antes hatte zugegeben, erhebliche Schmiergelder erhalten zu haben. Am 12. Dezember 1986 wurde er zu fünf Jahren Haft verurteilt – und drei Senatoren traten aus politischer Verantwortung zurück.

1992: der Honecker-Prozess

Die meisten Schlagzeilen machte das im November 1992 begonnene Verfahren gegen den einstigen DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker. Dieser Prozess wurde aber am 12. Januar 1993 wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten abgebrochen. Das Verfahren gegen Erich Mielke endete hingegen am 26. Oktober 1993 mit einer Verurteilung zu sechs Jahren Freiheitsentzug. Gegenstand war aber nicht seine Verantwortlichkeit als Minister für Staatssicherheit der DDR, sondern die Ermordung zweier Polizeioffiziere auf dem Bülowplatz am 9. August 1931. Ein weiteres Verfahren gegen Mielke ab September 1994 wegen seiner Verantwortung für das Unrechtssystem der DDR wurde schon zwei Monate später eingestellt. Mielke galt als verhandlungsunfähig.

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