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Mama und Papa heiraten. Bei 21 Prozent aller 2015 geschlossenen Ehen hatten die Paare schon Kinder.

© Mordolff/Getty Images/iStockphoto

Familie: Bis dass der Tod uns scheidet

Immer mehr Paare heiraten erst, wenn sie Kinder haben. Nicht wenige tun es nur, um nicht benachteiligt zu werden, wenn es um Rente, Steuer und Erbschaft geht.

Mein Schulfreund hat es getan, mein früherer WG-Kumpel und meine Kollegin auch: Sie haben geheiratet, obwohl sie das nie wollten. Für den Schulfreund war die Ehe immer der erste Schritt in Richtung Spießbürgerhölle, ein Weg, der unweigerlich in einem Reihenhaus „mit gelbem Hund“ enden würde. Die Studienfreundin wollte ihre Liebe frei leben und keinen Schwur auf die Ewigkeit ablegen. Schon die Vorstellung, dass sie sich im Trennungsfall scheiden lassen müsste, fand sie grauenvoll. Und Ricarda Hoyer*, die Kollegin, wollte nie heiraten, weil die Ehe für sie aus feministischer Sicht eigentlich eine No-go-Area ist. Beim Stichwort „Hochzeit“ denkt sie entweder an Hollywood-Kitsch oder an die Bevormundung der Frauen, wie sie noch bis vor wenigen Jahrzehnten explizit im Gesetzbuch vorgeschrieben war: „Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist“. Paragraf 1356 BGB, immerhin gültig bis 1977 – da war Ricarda Hoyer ein Jahr alt.

Und trotzdem: Vor einigen Monaten ist auch Ricarda Hoyer vor den Standesbeamten getreten. Dabei hat sich an ihrer Einstellung zur Ehe nichts geändert. Sie trägt keinen Ring, hat ihren Namen nicht geändert, und wenn sie an ihren Partner denkt, so ist der für sie immer noch ihr „Freund“, und nicht ihr „Mann“. Sie sagt, sie habe sich im Prinzip genötigt gefühlt, zu heiraten. Allerdings weder von ihrer Familie noch von irgendwelchen religiösen oder gesellschaftlichen Moralvorstellungen, sondern vom deutschen Gesetz, das nicht verheiratete Paare noch immer in vielen Belangen schlechterstellt als Eheleute – auch dann, wenn sie gemeinsame Kinder haben. So sind sie etwa nicht erbberechtigt, haben keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente, und sie profitieren nicht von den Steuervorteilen, die für Ehepaare gelten.

Sie wollte das Risiko nicht länger tragen

Durch die Geburt ihres Sohnes sind diese Themen für Hoyer relevanter geworden. Seitdem sie Mutter ist, arbeitet sie in Teilzeit, während ihr Partner eine volle Stelle hat. Dadurch verdient sie nicht nur weniger, sie erwirbt auch geringere Rentenansprüche. Hoyer findet es deswegen nur gerecht, wenn sie später auch Anspruch auf Rentenanteile ihres Partners hätte. „Ich arbeite ja weniger, um mich um unser gemeinsames Kind zu kümmern“, sagt sie. Das Risiko, irgendwann ohne diese Absicherung dazustehen, wollte sie nicht länger tragen. „Ich hatte das Gefühl, dass eine Hochzeit alles einfacher macht.“

Der Anteil der Paare, die sich erst für eine Heirat entscheiden, wenn sie Kinder haben, ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Bei 21 Prozent aller 2015 geschlossenen Ehen hatten die Paare bereits voreheliche Kinder. Damit hat sich ihre Quote seit 1991 mehr als verdoppelt. In Ostdeutschland gab es sogar bei mehr als jeder dritten Heirat zum Zeitpunkt der Trauung bereits Kinder, während der Anteil in Westdeutschland bei rund 18 Prozent lag. In Berlin haben 2015 fast 24 Prozent der Paare erst geheiratet, nachdem sie Kinder hatten. Man kann davon ausgehen, dass unter ihnen einige sind, denen es ähnlich ging wie Ricarda Hoyer: eigentlich keine Fans des Heiratens, aber dann doch „ja“ gesagt, weil das Bedürfnis nach Absicherung mit den Kindern dringender wird.

In Frankreich gibt es den zivilen Solidaritätspakt

Ein paar Kilometer weiter westlich, in Frankreich, muss man nicht so einen Spagat hinlegen zwischen seinen Überzeugungen und dem Wunsch nach Absicherung. Dort können Paare ihrer Beziehung auch ohne Heirat einen Rechtsstatus verleihen. Seit 1999 gibt es den zivilen Solidaritätspakt, den „Pacte civil de solidarité“, kurz „Pacs“. Mit dem Vertrag verpflichten sich die Partner zu gegenseitiger Unterstützung, etwa im Fall von Krankheit oder Arbeitslosigkeit. Dafür werden sie im Gegenzug gemeinsam besteuert, erhalten das Recht, den Partner im Krankenhaus zu besuchen, und können auch im Erbrecht Eheleuten gleichgestellt werden, wenn sie ein entsprechendes Testament abfassen. Um den Pacs zu schließen, reicht eine gemeinsame Erklärung und die Registrierung vor einem Standesbeamten oder Notar aus, Zeugen oder eine Zeremonie braucht man nicht. Will einer der Partner oder wollen beide den Vertrag auflösen, müssen sie lediglich eine Mitteilung an die Behörde schicken. Ursprünglich hatte man bei der Einführung des Pacs vor allem an homosexuelle Paare gedacht, aber 2013 waren über 95 Prozent der Pacs-Paare heterosexuell. Der Pacs ist beliebt: 2013 waren über 40 Prozent der formalisierten Paarbeziehungen Solidarpakte. Die Trennungsrate ist sogar niedriger als bei Verheirateten.

Einige Parteien im Bundestag wie die Grünen oder die FDP wollen, dass auch Deutschland alternative Verpartnerungsmodelle einführt. Franziska Brantner, 38, grüne Familienexpertin, findet: Weil mittlerweile so viele verschiedene Familien- und Gemeinschaftsformen existierten, müssten sich auch Politik und Gesellschaft die Frage stellen, wie man solche Formen der Gemeinschaft absichern und unterstützen könne. „Es ist ja auch im Interesse der Gesellschaft, wenn es nicht nur noch vereinzelte Individuen gibt, sondern Menschen, die Verantwortung füreinander übernehmen“, sagt sie.

DIe Ehe sichert die Partner umfassend ab

Im derzeit von der SPD geführten Bundefamilienministerium steht das Thema aber nicht auf der politischen Agenda. Eine Sprecherin verweist auf die Einführung der Homo-Ehe in der letzten Legislaturperiode: „Da die Ehe nun für alle offen ist, steht eine weitere Form nicht zur Disposition.“ Frage an Florian Lahrmann, Berliner Fachanwalt für Familien- und Erbrecht: Muss man in Deutschland also weiter heiraten, wenn man sich in seiner Partnerschaft rechtlich absichern möchte? Lahrmann hält das für keine so schlechte Idee. Er betrachtet die Dinge nüchtern: „Die Ehe sichert die Partner umfassend ab, es gibt da nichts Vergleichbares.“ Nichts jedenfalls, was auf einen Schlag Renten-, Erb-, Unterhalts- und Steuerangelegenheiten regelt.

Lahrmann glaubt, dass unverheiratete Paare Themen wie Alter, Krankheit und Tod oft einfach ausblenden oder sich nicht mit den Konsequenzen auseinandersetzen. „Das ist der Grundfehler, dass viele denken, sie sterben nicht“, sagt er. Wenn dann plötzlich der Ernstfall eintritt, ist es zu spät: Der Partner erbt nichts, erhält keine Hinterbliebenenrente, unter Umständen wird ihm nicht mal Besuchsrecht im Krankenhaus eingeräumt. Wie lange die Partner zusammengelebt haben oder ob sie gemeinsame Kinder haben, spielt dabei keine Rolle.

Paaren, die unverheiratet bleiben wollen, rät Lahrmann, sich dringend um alternative Wege der Absicherung zu kümmern. Vor allem sollte jeder ein Testament aufsetzen, in dem er seinen Partner als Erben einsetzt. Eine vollständige Gleichstellung mit Ehepartnern lässt sich dadurch aber nicht erreichen: Das Erbe ist für Nichtverheiratete nur bis zu einer Höhe von 20 000 Euro steuerfrei, während für Ehepartner ein Freibetrag von 500 000 Euro gilt. Wer seinen Partner über den eigenen Tod hinaus absichern möchte, kann außerdem eine Lebensversicherung abschließen. Den Steuervorteil, den eine Hochzeit bringt, kann man ohne Trauschein aber nicht erlangen.

Drum prüfe also, wer sich nicht ewig binden will.

* Name geändert

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