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Berlin: Familienbasar – die Kleinen verhandeln ihre Rechte WO BITTE GEHT’S NACH SPIELONESIEN?

Jeder Tag ist Kindertag. Erziehungswissenschaftler raten: Eltern sollen Widerspruch ernst nehmen und Verbote immer genau erklären

Antons Stimme schlägt Purzelbäume. Das tut sie immer, wenn er sich aufregt. Dass seine Eltern am Wochenende bestimmen, was gemacht wird und er dann auch noch mit muss – das, findet der Junge aus Kreuzberg, ist ein berechtigter Grund sich aufzuregen. „Nee wirklich“, sagt er, „ich bin zehn und da brauch’ ich auch mal Zeit für mich.“ Montag bis Freitag hat er doch genug zu tun: Schule, Hausaufgaben, Italienischunterricht und Gitarrenstunde. Antons Mutter findet keineswegs, dass ihr Sohn zu gestresst ist, um am Familienleben teilzunehmen. „Wir haben so wenig Zeit zusammen, da möchte ich wenigstens das Wochenende mit meinen Kindern verbringen.“ Solche Erwachsenen-Sätze kann Anton nicht leiden. Deshalb fordert er: mehr Selbstbestimmung für Kinder.

Heute ist Weltkindertag mit einem großen Spektakel am Potsdamer Platz – ein guter Anlass, um nachzufragen, wie es um die Rechte der Kinder in der Familie steht. Werden sie von ihren Eltern in Entscheidungen einbezogen? Werden ihre Wünsche berücksichtigt? Ein ganzer Wissenschaftszweig ist damit beschäftigt zu erforschen, was Kinder selbst bestimmen sollten. Die Ergebnisse dürften Anton gefallen. „Eltern müssen begreifen, dass Kinder ihnen nicht gehören, sondern dass sie sie nur ein Stück des Weges begleiten“, sagt Peter Struck, Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg.

Das bedeutet: Kinder haben das Recht, den Entscheidungen von Erwachsenen nicht zuzustimmen. Und es bedeutet auch, dass Eltern nicht das Recht haben, den Widerspruch ihrer Kinder einfach zu übergehen. Aufgabe der Eltern sei es, sich um das Verständnis ihrer Kinder zu bemühen und ihnen zu erklären, warum sie etwas fordern oder verbieten, sagt Struck. Mit Sätzen wie „Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt“ oder „Du machst das jetzt, weil ich es dir sage“ sei es eben nicht getan.

Soweit die Theorie. In der Praxis bekommen das gerade mal zehn Prozent der Eltern hin. Mehr als die Hälfte der Kinder in Deutschland wird zwar mit viel Liebe erzogen, aber auch mit viel Unsicherheit. Meist kommt dabei ein übertrieben liberaler Erziehungsstil raus – aus Angst, etwas Falsches zu machen, machen Eltern oft gar nichts. Beliebt sind auch Erziehungsratgeber: Rund eine Milliarde Euro werden jährlich dafür ausgegeben, so viel wie in kaum einem anderen europäischen Land.

Etwas mehr Gelassenheit im Umgang mit ihren Kindern würde den Eltern ganz gut tun, sagt Struck. Die Erziehung sei wie ein Kreis, in dessen Mittelpunkt das Kind stehe, der Kreis markiere die Grenze des Erlaubten und je älter das Kind werde, desto größer müsse auch der Kreis werden. Erziehung ist also eine runde Sache – und manchmal auch ein bisschen wie ein Basar, auf dem die Rechte ausgehandelt werden.

Für eine Siebenjährige kann Leonie Fuchs das mit dem Handeln schon ziemlich gut. Sie hat ausgehandelt, dass montags und mittwochs Spieltag ist und dann Freundinnen zu Besuch kommen dürfen. Sie hat ausgehandelt, dass sie das Recht hat, zu bestimmen, welchen Kurs sie im Sportverein belegt. Genauso wie sie das Recht hat, ihre Anziehsachen selber auszusuchen.

Allerdings ist auch Leonies Mutter Isabell ziemlich gut im Handeln. Sie hat erstritten, dass abends ab 20 Uhr Mutterzeit ist und Leonie dann im Bett zu liegen hat. Und dass Leonie ihr Zimmer allein aufräumen muss. „Wir beide müssen ständig Kompromisse finden“, sagt Isabell Fuchs. Weil die allein erziehende Mutter aus Neukölln findet, dass nicht nur Kinder Rechte haben, sondern auch Mütter. So hat also jeder seinen Kreis, Leonie und Isabell. Mit ihrem Kreis ist Leonie ganz zufrieden, alles selber bestimmen, dass will sie gar nicht. „Die Mama ist ja viel älter als ich, die macht das mit mir schon richtig“, sagt sie. Alles zu dürfen, kann auch schnell langweilig werden. Denn was sagt das antiautoritär erzogene Kind beim Frühstück? „Och männo, muss ich heut schon wieder machen, was ich will?“

In Spielonesien, Mobilofazien, Bewegoland und Elektronien können sich heute in Berlin die Kinder tummeln – so fantasiereich sind die Namen der Angebote zum Weltkindertag. Rund um den Potsdamer Platz veranstaltet das Deutsche Kinderhilfswerk zum vierzehnten Mal Deutschlands größtes Kinderfest.

Das Zauberland Elektronien, in das sich heute das Sony Center verwandelt, können Kinder und Eltern ab 11 Uhr besuchen. Eine Aktion Schutzengel zur Sicherheit im Verkehr ist dort geplant, auch Bühnenprogramme mit Ulf und Wulf, die Kinderlieder singen und ab 14.30 Uhr eine bunte Kindershow mit Artistik, Gesang und Tanz. Prinzessin Dreisprung residiert von 11 bis 18 Uhr im Bewegoland. Aber auch in Demokratien, Mobilofazien, Ökoligia und auf den Fitmacher-Inseln ist rund um die Uhr etwas los – überall kann man spielen, basteln oder seine Geschicklichkeit testen.

In jedem Fantasieland stellen sich Gruppen mit Theater-, Musik und Sportdarbietungen vor. So treten unter anderem im Beziehungsreich um 11.40 Uhr die lustigen Drachenzwillinge Eddy und Freddy auf; in Mobilofazien kann man um 12.40 Uhr Zauberkunststücke erleben und in Spielonesien ab 12 Uhr Zirkus-, Theater- und Danceaufführungen.

Auf der Hauptbühne am Marlene-Dietrich-Platz werden heute um 13 Uhr Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (beide SPD) die Eröffnungsreden anlässlich des Kinderfestes am Weltkindertag halten. Bevor es aber so weit ist, gehört die Bühne ab 11 Uhr dem Sandmännchen. Auch der Pumuckl ist mit von der Partie und Botschafter des Kinderhilfswerks.

Nach den Eröffnungsreden gibt’s auf der Hauptbühne von 13.30 bis 17.30 Uhr eine Kindershow mit Stars: Yvonne Catterfeld, Natasha Thomas und Ayman sollen auftreten. hema

Dagmar Rosenfeld

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