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Zweitjob Familie. Sven Poßner (links) und Björn Volckmann gehören zur statistischen Berliner Väter- Elite – und zu ihrem mageren Durchschnitt mit nicht mehr als zwei Monaten Elternzeit.

©  Doris Spiekermann- Klaas

Familienfreundlichkeit: Die Stadt der vorsichtigen Väter

Familie und Beruf zu vereinbaren – das wird auch für Männer wichtiger. Bis zur Gleichberechtigung ist der Weg aber noch weit.

Björn-Christian Volckmann und Sven Poßner sind Helden der Statistik. Zusammen mit anderen Berliner Männern kämpfen sie, ohne es zu wissen, in anonymen Zahlenkolonnen auf Computerfestplatten um die Spitzenreiterposition. Das Gewinner-Bundesland darf sagen: Wir haben die meisten Väter, die Elterngeld beziehen. Es ist ein Rennen ohne zeitliche Begrenzung, es gibt nur Etappensieger, je nachdem, welche Statistik man bemüht.

9632 Männer haben 2010 in Berlin ihren „Leistungsbezug“, wie es amtsdeutsch heißt, beendet. Das heißt, in diesem Zeitraum hörte ihre vom Staat bezuschusste Elternzeit auf. In der bundesweiten Statistik ergibt das für Berlin mit 24,4 Prozent Platz 1. In dieser Zahl sind aber noch nicht alle potenziellen Elterngeldempfänger dieses Zeitraums enthalten, weil man diese Leistung bis zu 14 Monate nach der Geburt des Kindes beantragen kann. Rechnet man diese 14 Monate mit ein, dann beziehen sich die aktuellsten Zahlen auf die im ersten Halbjahr 2009 geborenen Kinder und die für sie gestellten Anträge. Danach steigt der prozentuale Anteil der Männer, die in der Hauptstadt Elterngeld bezogen haben, auf 29,3 Prozent. Sachsen und Bayern liegen in dieser Auswertung des Statistischen Bundesamts mit 30,3 und 30,1 Prozent vor Berlin.

Volckmann und Poßner ist dieses Leben als statistische Figuren natürlich egal, sie haben anderes zu tun, als sich in Tabellen einzulesen, sie müssen sehen, dass sie ihr wahres Leben als leitende Mitarbeiter des Pharmakonzerns Bayer und als Familienväter in Einklang bringen. Aber seitdem die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) 2007 das Elterngeld mit den sogenannten Vätermonaten einführte, wird der Erfolg dieses Gesetzes gern an der Statistik abgelesen. Je mehr Väter in Elternzeit gehen, desto erfolgreicher ist das Gesetz – so einfach ist das in der Politik. Wie aber diese „männliche“ Elternzeit in der Praxis aussieht, wie sich Firmen und Väter einigen und was das für den Betrieb bedeutet, verraten die Zahlen nicht.

Volckmann und Poßner sitzen in einem kleinen Raum auf dem riesigen Bayer-Gelände an der Weddinger Müllerstraße und grübeln darüber nach, was ihre Elternzeit im Rückblick beruflich gebracht hat. Volckmann, 32, seit elf Jahren im Betrieb, Vater einer Tochter, sagt: „Für mich ist jetzt die Familie wichtiger als der Job.“ Poßner, Vater von zwei Söhnen und einer Tochter, sagt: „Ich musste lernen, meine eigenen Werte und Ansprüche an mich selbst im Job runterzuschrauben. Ich habe eben noch einen zweiten Job. Zu Hause.“ Beide Bayer-Mitarbeiter hatten mit ihren Vorgesetzten keine Probleme wegen der Elternzeit. Einer habe gesagt, er hätte das früher auch gerne gemacht, „wenn es das gegeben hätte“, der andere sagte, „da müssen wir jetzt sehen, wie wir das für Sie hinkriegen“.

Mit dieser Erfahrung stehen beide nicht allein. In einer der ganz wenigen wissenschaftlichen Studien, die es über Elterngeld und Väter gibt, sie stammt vom Berliner Institut für sozialwissenschaftliche Transfers (Sowitra), sahen knapp drei Viertel aller rund 700 Befragten ihren Betrieb „als väterfreundlich“ an. Allerdings gab auch jeder achte Elterngeld-Vater an, vom unmittelbaren Vorgesetzten keine Unterstützung erhalten zu haben. Im Fazit der Studie schreiben die Autoren: „Die Elterngeldphase erweist sich als eine der wenigen Gelegenheiten im Lebensverlauf von Männern auf ‚legitime Weise‘ die Vorrangigkeit der Erwerbsarbeit infrage zu stellen.“

Nach wie vor ist es keine Selbstverständlichkeit, dass Männer in Elternzeit gehen, nach wie vor gibt es unzählige Geschichten über Vorurteile, Diskriminierung oder mangelnde Unterstützung. Es gibt kaum Erfahrung, es gibt keine Unternehmenskultur, die an männlichen Familieninteressen ausgerichtet ist. Im besten Fall entsteht sie gerade. Meist ist es Zufall oder Eigeninitiative, die etwas auslöst.

Bei der Charité beispielsweise lud die damalige Gleichstellungsbeauftragte vor Jahren zu einem Informationsabend für Männer ein. Niemand kam. Erst als ein Mann, Arzt in der Psychiatrie, sich bereit erklärte, auf freiwilliger Basis das Amt eines „Väterbeauftragten“ anzunehmen, bewegte sich etwas. Und mit dieser Institution leistete die Charité, ohne es zunächst zu wissen, bundesweit Pionierarbeit.

Der Mann, der als Arzt auf einer halben Stelle saß, kam vor lauter Anfragen und Hilfsgesuchen kaum mehr zum Arbeiten. Der „Väterbeauftragte“ ging als Vorbild durch die Presse und wurde von vielen Seiten gelobt. Gerade Ärzte an Kliniken können Beruf und Familie schwer vereinbaren. „Der Väterbeauftragte hat sehr geholfen, dass sich die Männer an der Charité verstärkt um Elternzeiten bemühen. Wir haben zählbare Erfolge“, sagt Pressesprecherin Claudia Peter. 2010 sind 139 Männer an der Charité in Elternzeit gegangen, in den ersten drei Monaten des neuen Jahres sind es schon 88. Allerdings wollte der einstige Väterbeauftragte sein Amt nicht mehr ehrenamtlich fortführen, sondern als zweite halbe Stelle bezahlt bekommen. Das wollte das Unternehmen nicht. Jetzt sucht man einen neuen Beauftragten.

Eberhard Schäfer vom Berliner Väterzentrum kennt solche Widersprüche. Von allein tue sich selten etwas in den Unternehmen, es müsse einen Türöffner geben. Männer und Elternzeit, Männer und Familie, das müsse erst einmal zum Thema werden. Er sagt: „Das Bedürfnis von Vätern, Zeit für die Familie zu haben, muss gleichrangig mit den Bedürfnissen der Frauen behandelt werden.“ Bei Frauen, findet Schäfer, sei es normal, dass sich Betriebe auf eine Auszeit einstellen. Dieses Denken müsse man auch für Männer verankern. Dann würde es auch aufhören, dass Industrievertreter offen sagen, sie bevorzugten Männer, weil die ja nicht schwanger werden können.

Oliver Sargatzky kennt diese Einstellungen. Jedes Mal, wenn er mit solchen Unternehmern diskutiert hat, wird er wütend. Er sagt: „Es gibt noch immer Betonköpfe, aber es werden weniger.“ Das liegt auch an Sargatzky selbst. Er ist Unternehmer und Familienvater, Geschäftsführer der Sarros GmbH, eine Software- und Beratungsfirma mit 26 Angestellten – und er wurde mit seiner Firma als familienfreundlicher Arbeitgeber ausgezeichnet und zertifiziert.

Sargatzky ist als Geschäftsführer in Elternzeit gegangen, und will auch weiter wie seine Frau für den vierjährigen Sohn da sein. Wenn er sich als Personalchef analysieren müsste, würde er sagen: „Für die Firma bin ich nicht mehr so intensiv im Einsatz wie vorher. Ich bin nicht immer erreichbar und öfter mal spontan weg.“ Aus dieser Erfahrung heraus hat Sargatzky seine Firma familienfreundlich ausgerichtet. Auf familiäre Belange aller Mitarbeiter wird auch kurzfristig Rücksicht genommen. Und so sind auch die Männer, wie Sargatzky sagt, „kindorientierter geworden, weil sie es dürfen“.

Der 43-Jährige kann Unternehmen verstehen, die skeptisch sind, die sagen, eine längere Väterzeit passe nicht in Arbeitsabläufe, man könne leitende Angestellte nicht einfach ersetzen. Sargatzky versucht gar nicht erst, alle Argumente aus dem Feld zu räumen, sondern beschreibt die Vorteile des Vaterseins: „Wir können nicht als Unternehmer nur die Management-Position einnehmen, wir müssen auch die gesellschaftliche Seite betrachten. Wir sind ja Teil dieser Gesellschaft. Und wir können Pioniere sein für einen dauerhaften gesellschaftlichen Wandel.“

Bei Bayer in Wedding guckt Sven Poßner auf die Uhr, es ist Montag, aber um 13 Uhr wird er heute weg sein, „Arzttermine mit den Kindern“. Poßner hat sich ebenso wie Kollege Volckmann mit seinem schlechten Gewissen geplagt, weil andere ihre Arbeit mit übernehmen mussten. Dabei findet Poßner sei nicht nur die Elternzeit, sondern generell das Familienleben ein Qualifizierungsmerkmal, mindestens eine „persönliche Weiterentwicklung“. Diese Lebenserfahrung könne auch in der Firma helfen. Warum also sollte künftig nicht die Elternzeit von Vätern Bestandteil einer Bewerbung sein?

Volckmann, Poßner oder auch Sargatzky gehören nicht nur zur statistischen Berliner Väter-Elite, sondern auch zu ihrem mageren Durchschnitt: Sie sind nicht länger als zwei Monate weg gewesen. Und so halten es auch die allermeisten anderen Väter bundesweit. Laut Sowitra-Studie gehören diese Väter statistisch zum Elterngeldnutzertyp „Die Vorsichtigen“. Sie nehmen ihre Auszeit meist zeitgleich mit der Partnerin. Sie wollen ihr berufliches Fortkommen nicht gefährden und halten die Auszeit kurz. In der Studie waren es 46 Prozent aller Befragten.

Wenn Volckmann im achten Stock des Bayer-Gebäudes draußen steht und die Augen zusammenkneift, kann er mit Glück seine Tochter Laura auf dem Dach des gegenüberliegenden Gebäudes spielen sehen. Dort hat er die Tochter im Bayer-Betriebskindergarten untergebracht. Die Kita gehört für ihn und seine Frau zu den Erleichterungen im Alltag zwischen Beruf und Familie. Poßner sagt: „Das Engagement für die sozialen Belange von Mitarbeitern macht ein Unternehmen erst attraktiv.“

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