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Alleine Fernsehschauen oder mit dem Handy spielen klappt super - aber selbstständig ins Bett gehen auch?

© Getty Images

Familienkolumne: Wenn das Kind das erste Mal abends allein bleibt

Unsere Redakteurin Tanja Buntrock testet aus, wie selbstständig ihre Tochter ist. Doch der erste Abend ohne Betreuung läuft anders als geplant.

Kürzlich im Urlaub. Meine Tochter tauchte kurz aus dem Swimmingpool auf: „Mama, bestellst du mir bitte meinen Lieblingsdrink, aber mit Eis und Zitrone. Daaanke!“ Dann tauchte sie wieder ab. Kurz darauf fand ich mich am Beckenrand hockend, meiner Neunjährigen das gewünschte Getränk an den Pool reichend, wieder. „Bin ich eigentlich total bescheuert?

Einen Moment sinnierte ich über das Selbstständigwerden. Mir fiel ein, was mein Kind alles glaubt, allein tun zu können und zu wollen: abends lang fernsehen („The Masked Singer“) oder wahllos Whatsapp-Nachrichten schreiben.

Für andere Dinge wiederum fühlt sie sich überhaupt nicht alt genug: etwa den gedruckten Tagesspiegel aus dem Briefkasten hochzuholen („Ganz vom dritten Stock nach unten und wieder zurück?“) oder das Geschirr in den Spüler zu räumen („Kinder dürfen nicht arbeiten“).

Ich hatte schon länger das Gefühl, dass ich das Selbstständigwerden im Alltag ausbauen sollte. Seit sie ungefähr sechs Jahre alt ist, bleibt sie hin und wieder tagsüber allein, wenn ich joggen oder einkaufen gehe. Nachdem das lange Zeit gut klappte, folgte der nächste Schritt: abends alleine bleiben, wenn ich verabredet bin oder einen beruflichen Termin habe.

Bevor ich das Experiment wagte und mit meinem Freund K. zu unserem Stammitaliener unweit unserer Wohnung ging, traf ich die eine oder andere Vorkehrung und speicherte die wichtigsten Handynummern ins Festnetztelefon auf die Kurzwahltaste. Meiner Tochter allerdings war etwas anderes wichtiger: „Gibt es dann aber auch Chips für mich? Und wie lang darf ich fernsehen, bis ich ausschalten und ins Bett gehen muss?“

Meine Hand tastete ins leere Bett

Das Feilschen um Uhrzeit, Programm und Menge sowie Auswahl des Salzgebäcks ähnelten der knallharten Verhandlungstaktik einer Gewerkschaftsvorsitzenden. Um einen unkomplizierten Abend zu haben, gab ich natürlich nach.

Zurück von unserem Restaurantbesuch öffnete ich leise die Wohnungstür, hatte bereits im Hausflur – wie seinerzeit als Teenager bei meinen Eltern – die Schuhe ausgezogen, um ganz leise durch die Wohnung zu schleichen.

„Hi, Mum. Schon zurück?“

Meine Tochter sollte seit geraumer Zeit den Fernseher ausgemacht haben und ins Bett gegangen sein. Geräuschlos öffnete ich die Kinderzimmertür, schlich für einen Kuss an ihr Bett, beugte mich vor – aber meine Hand tastete ins Leere. Ich ging schnurstracks ins Wohnzimmer.

Dort lag mein Mädchen seelenruhig mit einer riesigen Schüssel Chips, die Beine über Kreuz, auf dem Sofa und sagte: „Hi, Mum. Schon zurück?“ Äh, ja, schon zurück, und du sollst längst im Bett sein. Kulleraugen. „Oh, entschuldige, ich habe die Zeit ganz vergessen.“ Wir haben jetzt einen Deal. Bevor sie sich demnächst wieder als selbstständige Neunjährige beweisen darf, liegt jeden Morgen der gedruckte Tagesspiegel an meinem Bett.

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