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Familienpolitik: Zehn Euro zu viel für Hartz IV

Mutter und Tochter bilden eine „Bedarfsgemeinschaft“. Nur dumm, wenn das Einkommen knapp über der Hartz-IV-Grenze liegt.

Eigentlich zählt Renate H. zu den Menschen, die mitten im Leben stehen. Jetzt fühlt sie sich oft an den Rand gedrängt. Ihre jüngste Tochter wurde arbeitslos. Renate H. hat erfahren, wie sich ein Leben an der Hartz-IV-Einkommensgrenze anfühlt. Die 53-Jährige, lebhaft, kurze, graumelierte Haare, arbeitet Vollzeit als Erzieherin – seit 30 Jahren. Ihr Verdienst: 1300 Euro netto. Sie sagt: „Nie hatte ich damit gerechnet, zur Bittstellerin bei Ämtern zu werden.“

Im Juli fand die heute 24-jährige Tochter nach einer langjährigen Ausbildung zur Europakorrespondentin keinen Job. Sie meldete sich arbeitslos. Da sie im Haushalt der Mutter lebt, gelten die beiden als „Bedarfsgemeinschaft“. Das Jobcenter lehnte den Antrag auf Arbeitslosengeld II ab. Die beiden haben nach Abzug der Miete offiziell 764 Euro monatlich zur Verfügung. Aber ohne ALG II gibt’s für die Tochter keine Krankenversicherung; die muss sie selbst bezahlen – 134 Euro. Im Bescheid des Jobcenters findet dies keine Berücksichtigung. Mutter und Tochter kommen auf 630 Euro und liegen zehn Euro über dem Hartz-IV-Satz.

Renate H. ist nicht die Frau, die schnell aufgibt. Ein Verfahren vor dem Sozialgericht hat sie verloren, aber sie will durch die Instanzen gehen. Denn so knapp über dem Hartz-IV-Satz zu liegen, bedeutet in der Realität, weniger zur Verfügung zu haben. Keine Befreiung von den Fernsehgebühren, kein Sozialticket oder verbilligten Eintritt ins Theater. Dass sie ihre hellblaue Regenjacke bei Aldi kaufen muss, stört sie weniger. Schon eher, dass sie keine neue Brille anschaffen konnte. Und es bedrückte sie, wie ihre Tochter darunter gelitten hat, nicht gebraucht zu werden.

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