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Berlin: Familientragödie: Wie Kindern geholfen wird

Die drei Mädchen haben die Verzweiflungstat überlebt. Der Vater ist tot, die Mutter sitzt im Gefängnis.

Die drei Mädchen haben die Verzweiflungstat überlebt. Der Vater ist tot, die Mutter sitzt im Gefängnis. Weil die 38-Jährige noch immer als selbstmordgefährdet gilt, wird sie überwacht. "Das ist nach solchen Taten die Regel", sagt Justizsprecher Sascha Daue. Was für Erwachsene kaum begreifbar erscheint, müssen die Kinder, 8, 12 und 14 Jahre alt, jetzt verarbeiten. "Wer so extrem traumatisiert wird, gehört in professionelle Hände", sagt Ernst Pfeiffer, Oberarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Virchow-Klinikum der Charité.

In Pfeiffers Klinik kümmern sich Ärzte um Kinder, die misshandelt und missbraucht wurden, denen oft auch von den eigenen Eltern Schaden zugefügt wurde. Doch wie geht man mit Kindern um, die nur knapp einem Anschlag der eigenen Mutter entgangen sind? "In der akuten Phase muss man vor allem Schutz, Ruhe und Sicherheit herstellen", sagt Pfeiffer. Der Psychiater nehme nach einer ersten Untersuchung vor allem die Rolle eines Koordinators ein, berate die Bezugspersonen der Patienten, das Jugendamt oder die Erzieher.

Wie berichtet, hatte die 38-jährige Mutter aus Angst vor der drohenden Zwangsräumung ihrer ahnungslosen Familie am vergangenen Mittwoch einen Tablettenmix verabreicht. Als Ehemann und Töchter in die Bewusstlosigkeit glitten, schnitt die Mutter den Schlafenden die Pulsadern auf. Anschließend beichtete die völlig verzweifelte Frau die Tat einem Verwandten, der die Polizei verständigte. Der 40-jährige Vater starb, die drei Mädchen überlebten. Sie befinden sich seitdem in psychologischer Betreuung.

Die Chancen, ein traumatisches Erlebnis verarbeiten zu können, liegen nach Ansicht von Experten nicht schlecht, jedenfalls, wenn es sich um eine "schwere, einfache Belastung" handelt: Rund 90 Prozent der Opfer erleiden keine langfristigen Folgen nach einem schweren Unfall beispielsweise oder dem Verlust einer geliebten Person. Währt das traumatische Ereignis länger - etwa bei einer Entführung, schwerem Missbrauch oder Folter -, erleidet hingegen fast die Hälfte der Opfer eine "posttraumatische Belastungsstörung". Auch mit den drei Mädchen, sagt Pfeiffer, werden sich die zuständigen Ärzte intensiv befassen müssen: die vorangegangene Nierenkrankheit des Vaters, die drückenden Schuldenlast, die Verzweiflungstat ... "Die Kinder sind sicherlich vielfältig belastet", sagt der Psychiater.

Er und seine Kollegen unterscheiden zwei Phasen: Die ersten drei Monaten nach dem traumatischen Ereignis, in denen beispielsweise Schlafstörungen, Angstzustände und Schweißausbrüche als normale Reaktion gelten. "Wir regen die Kinder zum Sprechen an, dringen aber nicht in sie", sagt Pfeiffer. Wichtig sei es, dem oft bestehenden Gefühl der Hilflosigkeit entgegenzuwirken. Indem man mit ihnen über praktische Dinge spricht, die Unterbringung beispielsweise, die Pläne des Jugendamts, die Beerdigung ... Vom Verschweigen der Tragödie hält Pfeiffer nichts. "Das muss man ihnen sagen. Auch Kinder haben ein Informationsrecht."

Das Jugendamt hat in dieser Woche Kontakt zur Mutter aufgenommen. "Sie hat zugestimmt, dass die Kinder erst einmal in der Einrichtung bleiben", sagt Jugendamtsleiterin Uta von Pirani. Ihr Amt will der Mutter nicht das Sorgerecht entziehen lassen. Die Frau habe ihren Kindern ausrichten lassen, dass sie sich über Besuche sehr freuen würde. Auch dagegen hat das Jugendamt nichts einzuwenden. "Aber wir werden jetzt nichts überstürzen." Da langfristig auch eine Familienzusammenführung denkbar sei, mache es keinen Sinn, den Kontakt zur Mutter zu unterbinden.

Die Zukunft der Familie dürfte nicht zuletzt von der Entwicklung der Kinder abhängen. Doch was geschieht, wenn die Albträume und Ängste auch nach drei Monaten nicht weichen? "Dann muss eine kontinuierliche Psychotherapie eingreifen, in der die Erinnerung in geschütztem Rahmen verarbeitet wird", sagt Pfeiffer. Aber sicherlich könnten die Mädchen das Trauma "psychisch besser überleben", wenn irgendwann die Mutter ihren Töchtern Rede und Antwort stehen würde. "Das wäre sicherlich eine gute Voraussetzung."

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