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Kurz vor Sonnenuntergang: Timor Husein (links) und seine Freunde freuen sich auf die gemeinsame Mahlzeit.

© Bodo Straub

Fastenbrechen in Berlin: Eine Nacht, besser als tausend Monate

Der Ramadan ist vorbei, weltweit feiern Muslime heute das Fest des Fastenbrechens. Höhepunkt des Fastenmonats war die Nacht der Bestimmung vergangene Woche. Ein Besuch in Neukölln.

Nur die goldene Spitze leuchtet noch. Den Rest des Minaretts erreicht die untergehende Sonne nicht mehr. Auf dem Platz vor der Sehitlik-Moschee in Neukölln ist Hektik ausgebrochen: Männer rollen Bastmatten aus, Frauen rufen nach ihren Kindern, andere eilen zum Waschhaus. Vor den Essensausgaben bilden sich lange Schlangen.

Gülen Hasan überprüft ein letztes Mal seine Teemaschine: Das Wasser ist heiß, der Tee auch, Becher und Zucker stehen bereit – alles in Ordnung. Er wischt die Hände an seiner roten Schürze ab, streicht sich über den Schnurbart und blickt hoch, über den Rand seiner Brille: Gegenüber tritt ein Mann auf den Balkon und ruft in ein Mikrofon: „Allahu Akbar“, Gott ist größer, der Ruf zum Gebet. Stille breitet sich aus. Die Sonne ist untergegangen, die Nacht der Bestimmung hat begonnen.

In der Nacht der Bestimmung, auf Arabisch „Lailat al Qadr“ wurde nach muslimischem Glauben der Koran auf die Erde gesandt und durch den Engel Gabriel dem Propheten Mohammed offenbart. In der Regel wird sie am 27. Tag des Fastenmonats Ramadan gefeiert, also vom vergangenen Mittwoch auf den Donnerstag. Viele Muslime verbringen diese Nacht in der Moschee mit Beten und dem Lesen des Korans. Dort heißt es, diese Nacht sei „besser als tausend Monate. Die Engel und Gabriel kommen in ihr mit der Erlaubnis ihres Herrn herab“.

Fasten im Hochsommer: Mühsam, aber auszuhalten

Dies ist auch der Grund, warum Akin Yildiz heute Abend hier ist: „Heute ist die Chance größer, dass die Gebete erhört werden.“ Der Kfz-Meister aus Rudow hat Urlaub genommen, um zusammen mit seiner Familie zu feiern. Und mit etwa 4000 anderen Gläubigen – so viele erwartet jedenfalls Pinar Çetin heute Abend. Im Licht der Abendsonne reinigt sie den Kaffeeautomaten. In ihrem Rücken stapeln Männer Wasserflaschen aufeinander, für das Fastenbrechen nach Sonnenuntergang. „Das Wasser haben Gemeindemitglieder gespendet“, erzählt Çetin, deren Mann Ender Vorsitzender des Moscheevereins ist. Besonders wird die Nacht vor allem in dieser Woche, in der viele Muslime mit den Ereignissen im Nahen Osten gelitten haben.

Nachdem der Ruf des Muezzins verhallt ist, verharrt Timor Husein noch einen kurzen Moment im Schneidersitz auf der Bastmatte im Hof, dann greift er zur Wasserflasche und nimmt einen großen Schluck – den ersten nach fast 18 Stunden Fasten, zum Teil bei großer Hitze. „Man spürt richtig, wie es die Speiseröhre hinunterfließt“, sagt er und grinst. Das Fasten im Hochsommer sei mühsam, aber auszuhalten, erzählt er, während er das Essenspaket vor sich öffnet: gekochter Reis mit Fleisch, Brot, Ayran und ein kleines Stück Baklava, eine türkische Süßigkeit. Über ihm versinkt das Minarett langsam in der Dunkelheit der Nacht.

Es wird laut im Hof: Begrüßungen und Gelächter auf Türkisch und Deutsch, Kinder rennen, Frauen sitzen zusammen und unterhalten sich. Draußen auf dem Columbiadamm treffen sich die Raucher, vorbeifahrende Autofahrer hupen zum Gruß. Doch die ausgelassene Stimmung hält nicht lange an, denn jetzt beginnt das große Nachtgebet, der Höhepunkt des Abends.

Deftige Mahlzeit kurz vor Sonnenaufgang

Der Muezzin ruft: Die Sonne ist untergegangen, die Nacht der Bestimmung hat begonnen.
Der Muezzin ruft: Die Sonne ist untergegangen, die Nacht der Bestimmung hat begonnen.

© Bodo Straub

Schon eine halbe Stunde vorher ist selbst der Hof gepackt voll, jetzt noch in die Moschee zu kommen, ist aussichtslos. Überall knien Menschen auf den Bastmatten, die als Gebetsteppiche dienen. Wer keinen Platz auf der Matte mehr gefunden hat, nimmt mit einem Schal vorlieb, oder einem Stuhlkissen – oder einfach nur einer Mülltüte. Schmale Pfade führen hindurch, wobei die Gefahr groß ist, über die ausgezogenen Schuhe der Betenden zu stolpern. Auch auf den Treppenstufen, die zum oberen Teil der Moschee hinaufführen, in der Teestube, im Buchgeschäft, selbst im Büro der Gemeindeverwaltung – überall machen sich die Menschen für das Gebet bereit. Gülen Hasan hat seinen Teppich in dem schmalen Durchgang hinter der Teemaschine ausgebreitet.

Das arabische Gebet des Imam dringt über Lautsprecher nach draußen. In langen Reihen stehen die Gläubigen nebeneinander, das Gesicht gen Mekka, die Hände empfangend vor sich, den Blick gesenkt. Gelegentlich raunt ein dunkles „Amin“ aus vielen tausend Kehlen über den Hof. Stille. Dann ein Rascheln – die Menge verbeugt sich; ein sanftes Rumsen – die Knie der Gläubigen berühren den Boden; ein Knistern – die Menschen legen die Handflächen vor sich und beugen ihre Stirn dazwischen. Dann richten sie sich wieder auf. Der Vorgang wiederholt sich viele Dutzend Male.

Mitternacht, das Gebet ist vorbei. Schlagartig steigt der Lärmpegel auf dem Platz, Menschen strömen aus der Moschee in die kalte Nachtluft und wischen sich den Schweiß von der Stirn. Pinar Çetin steht wieder am Kaffeeautomaten. „Die Nacht ist noch lang“, sagt sie. Aber gerade jetzt ist das Wasser ausgegangen. Schnell muss neues geholt werden, denn die Schlange wächst. Eine alte Frau  steht lächelnd am Ausgang des Hofs und betrachtet das Gedränge vor sich. „Was für ein schöner Abend, was für eine schöne Gemeinschaft“, sagt sie. Dann blickt sie auf die blau erleuchteten Minarette vor dem Nachthimmel und lächelt erneut. „Was für eine schöne Moschee.“

Viele Muslime lesen im Ramadan den ganzen Koran

Dort innen ist es ruhig. Ein Dutzend Männer sitzt im warmen Licht des Kronleuchters auf dem Teppich, in den Koran vertieft, den sie auf den Knien oder auf einem kleinen Lesepult vor sich liegen haben. Es ist das Ziel vieler Muslime, während des Ramadan das ganze heilige Buch zu lesen, also jeden Tag ein Dreißigstel – in Anlehnung an den Propheten Mohammed, der während jedes Ramadan den gesamten Koran rezitiert haben soll. Und insbesondere in der Lailat al-Qadr gilt das Lesen als segensreich.

Im Licht der Scheinwerfer sitzt Sara im Hof, vor sich den Koran. Ihr beiges Kopftuch flattert im Nachtwind. Bisher konnte sie noch nie an der Lailat al Qadr teilnehmen, aber jetzt hat sie frisch ihr Abitur in der Tasche und kann am nächsten Tag ausschlafen. „Ich hätte nie gedacht, dass so viele die Nacht hier verbringen“, sagt sie. Gerne hätte auch sie den ganzen Koran im Ramadan gelesen, doch irgendwann sei sie nicht mehr hinterhergekommen, sagt sie, und trotz der späten Stunde blitzt ein Lächeln aus ihren Augen.

Etwas später in der Küche: Frauen bereiten das Sahur vor, die Mahlzeit, die vor der Morgendämmerung eingenommen werden muss. Ein deftiges Frühstück morgens um kurz nach drei: Es gibt Lammfleisch, Weizengrütze, Spaghetti, Rührei und Wassermelonen. Langsam füllt sich der Raum, etwa 30 junge und alte Frauen und Männer setzen sich um den Tisch und greifen zu. „Vergiss nicht zu trinken“, ermahnt Sara ihre Nebensitzerin, es muss schließlich für den ganzen Tag reichen; die nächste Gelegenheit kommt erst wieder nach Sonnenuntergang.

Die Stimme müde, die Augen leuchten

Dann wieder auf und zurück in die Moschee – gleich ist Morgengebet. Zwei Männer rennen ins Waschhaus, um sich die Zähne zu putzen, denn auch das ist später nicht mehr möglich. Da ertönt auch schon wieder der Ruf des Muezzins.

Noch einmal versammeln sich die Menschen in der Moschee – im oberen Raum die Männer, im unteren die Frauen. Noch einmal verbeugen sie sich nach Mekka, murmeln ihr Glaubensbekenntnis. Vorne sitzt der Imam und hört zu, wie Männer Koranstellen auf Arabisch rezitieren. Manchmal bleiben sie stecken, die Nacht ist auch an ihnen nicht spurlos vorübergegangen.

„Es ist geschafft“, sagt Pinar Çetin schließlich draußen im Hof. Ihre Stimme klingt müde, doch die Augen leuchten. Die Nacht der Bestimmung ist vorbei, ein neuer Tag des Fastens hat begonnen. Ihr Blick wandert zum Morgenhimmel, vor dem sich die Konturen der Minarette immer deutlicher abzeichnen.

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