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Ein Liberaler hat die "neue Wahlfreiheit" für sich genutzt und seinen Austritt erklärt: Bernhard Jahntz. Er war zwei Jahrzehnte Mitglied der FDP und unter anderem Ankläger im Prozess gegen Egon Krenz.

© Mike Wolff

FDP-Austritt: Jahntz: "Zutiefst illiberal und abstoßend"

Er war Ankläger im Prozess gegen Egon Krenz und jahrelanges Mitglied der Berliner FDP. Jetzt kehrt der Jurist Bernhard Jahntz der FDP den Rücken. Auch wegen FDP-Spitzenkandidat Christoph Meyer. Jahntz' Austrittsbegründung im Wortlaut.

"Sehr geehrter Herr Meyer, 

hierdurch erkläre ich gemäß §§ 5 Nr. 1,  67 Abs. 1 Satz 1 LaSatz meinen Austritt aus der Freien Demokratischen Partei, Landesverband Berlin, Bezirksverband Spandau, Ortsverband Spandau-Mitte mit Wirkung zum Ende des III. Quartals 2011, also zum 30. September 2011.

Ich gehe -  unter anderem mangels jeglicher Reaktion meines Bezirksvorsitzenden auf meine Ankündigung solchen Schrittes per Email vom 02. Juni 2011- nicht davon aus, daß die nachfolgend dargelegten Gründe auf Bezirks- oder Landesebene, geschweige denn auf Bundesebene irgend jemanden interessieren. Da sie aber in Vorgängen, Zuständen auf Landes- und Bundesebene begründet sind, werde ich sie nachfolgend gleichwohl ausführen. 

Ich bin am 1. Dezember 1989 in die Freie Demokratische Partei eingetreten. Geworben wurde ich von dem schon zu jener Zeit und auch später (unter anderem als er Generalbundesanwalt war) - auch innerparteilich, auch zu Unrecht  -  vielgescholtenen Parteifreund Alexander von Stahl.

Anlaß für mein politisches Aktivwerden im allgemeinen und Grund für meinen Eintritt gerade in die FDP im besonderen war das zutiefst justizfeindliche, illiberale Agieren der ersten rot-grünen Regierungskoalition, die aus den Abgeordnetenhauswahlen in Berlin im Frühjahr 1989 hervorgegangen war. Hiergegen wollte ich mich als Betroffener durch Mitwirkung an liberaler Justizpolitik zur Wehr setzen und habe daraus - auch als zur dienstrechtlichen Mäßigung als Staatsanwalt verpflichteter Beamter - schon zu jener Zeit auch öffentlich nie einen Hehl gemacht, vgl. dazu

- meinen ganzseitigen Gastkommentar vom 30.01.1990 „Hut ab vor Herrn Treppe“ im „Volksblatt“

- meinen Beitrag „Die grün-rote Justizpolitik läuft ins Abseits“ in der Berliner Liberalen Zeitung Nr. 1/90 von März 1990

- Leserbriefe im „Tagesspiegel“ vom

- 08.04.1990 „Ein Jahr Senatskoalition“

- 29.07.1990 „Richter aus dem Osten“

- 19.08.1990 „Vernunft von Amnestien“

- 21.10.1990 „Justizhoheit“. 

Ich habe nie Funktionen mit Außenwirkung, sondern stets solche mit Sachbezug angestrebt, und mich so auf Landes- bzw. Bundesebene als

- Vorsitzender des Landesfachausschusses Innen und Recht,

- Mitglied des Landes- und des Bundes-Satzungsausschusses

- Mitglied des Bundesfachausschusses Innen und Recht

- Präsident des Landesschiedsgerichts

betätigt.

Auf dem dem Berliner 77. Landesparteitag (LPT) am 08./09.04.2011hatte ich noch in meinem vorbereiteten Konzept für einen Redebeitrag zur Aussprache/zu den Dringlichkeitsanträgen Sie (Christoph Meyer, Anm. d. R.) lobend hervorheben wollen, weil Sie als einziger Landesvorsitzender in einer Bundesrunde zu recht Guido Westerwelle nicht nur als Bundesvorsitzenden, sondern auch als Außenminister zur Disposition gestellt wissen wollten, war ich (zunächst nur) verblüfft, als Sie in Ihrer Grundsatzrede dies Thema zwar kurz antippten, aber für nun als erledigt erklärten.

Ich nahm gleichwohl - als ich zum Tagesordnungspunkt (TOP) Aussprache bereits aufgerufen war - an dieser Stelle darauf Rücksicht und verschob meinen Redebeitrag - der die Forderung nach Westerwelles Ablösung auch als Minister enthalten hätte - bis zum TOP Dringlichkeitsanträge, weil ich angesichts der zu diesem Zeitpunkt noch anwesenden Medien natürlich zwar Furore hätte machen können, aber Ihnen nicht öffentlich in die Parade fahren wollte.

Umso (nunmehr) entsetzter war am zweiten LPT-Tag nicht nur ich, sondern waren insbesondere die Antragsteller der Dringlichkeitsanträge, als Sie mit dem illiberalen Geschäftsordnungsantrag (GO-Antrag),  alle Anträge auf den nächsten Landesausschuß zu vertagen, die Debatte um die Zukunft Guido Westerwelle abwürgten. Sicher, Ihr Antrag hat eine sehr knappe Mehrheit gefunden, wurde vom Parteisouverän also legitimiert. Nur: wenn Sie ihn nicht gestellt hätten, wäre das Thema erörtert worden. Und das hätte dem Landesverband Berlin gut zu Gesicht gestanden: 

An jenem Wochenende gab es noch weitere Landesparteitage, die sich sämtlich mit diesem Thema befaßten und Medienecho fanden. Im  Berliner „Tagesspiegel“ wurde der von Ihnen, Herr Meyer, geführte Landesverband wie gar nicht existent, dementsprechend auch gar nicht erwähnt.

Hat mich diese FDP-Ignoranz des „Tagesspiegel“ bis vor kurzem noch wütend gemacht und zu Leserbrief-Reaktionen veranlaßt, bin ich nach diesem LPT zu der Überzeugung gekommen: Recht hat der „Tagesspiegel“, wenn er diesen Landesverband und dessen Vorsitzenden nicht mehr der Erwähnung wert erachtet; es lohnt nicht, über diesen unbedeutenden Landesverband noch zu berichten."

Welche Prognose Jahntz für die Abgeordnetenhauswahl im September für die Liberalen hat, lesen Sie auf der nächsten Seite.

"Und Ihre Spitzenkandidatur für die Abgeordnetenhaus-Wahl wird folgenlos bleiben, da diese bedeutungslose Partei nicht wieder ins Abgeordnetenhaus kommen und was Sie - und das zu Recht - auch den Landesvorsitz kosten wird.

Diese Ihre Feigheit vor der Parteibasis, dem Partei-Souverän, nämlich den Delegierten des Landesparteitages, ist zutiefst illiberal und abstoßend.

Aber damit stellen Sie sich würdig neben die neue Bundesspitze: In Rostock waren die neuen jungen Milden mit Philipp Rösler an der Spitze auch zu feige, die Basis darüber auch nur reden zu lassen.

Und damit dort nicht genug: Auch  Philipp Rösler sieht - wie Guido Westerwelle - ein Ministeramt nicht als seriöse Aufgabe im Dienst für das Gemeinwohl an, sondern lediglich als Unterfunktion seiner Parteifunktion. 

So wie Westerwelle meinte, als Bundesvorsitzender müsse er auch Außenminister sein  (obwohl er diesem Amt noch nie gewachsen war), „befreite“ sich Rösler nun vom zum Bundesvorsitz „unpassenden“ Gesundheitsministerium und schob sich das „passendere“ Wirtschaftsministerium zu. Dies auf Kosten  Rainer Brüderles, der seinerseits Birgit Homburger aus dem Amt der Fraktionsvorsitzenden zu verdrängen hatte  (Motto: Mehr Frauen in Parteiführungsämter!?).

Einziger Lichtblick: Martin Lindner, der der Feigheit der neuen Führungsriege vor der Parteibasis mit seinem Vorschlag entgegentrat, der Partei-Souverän, die Delegierten des Bundesparteitages, sollten über den Verbleib Westerwelles im Ministeramt - und vielleicht auch über Röslers widerliches, abstoßendes  Postengeschacher - in Rostock eine Meinung äußern. Aber der wurde ja politisch massiv bedroht und kapitulierte dann.

Und wenn Philipp Rösler nicht merken oder wahrhaben will, daß der Niedergang der FDP in der Wählergunst nicht an Westerwelles Funktion als Bundesvorsitzender lag, sondern schlagartig mit seinem Antritt des Amtes als Bundesaußenminister - dem er eben nicht gewachsen ist - begann, dann ist er nicht der richtige Mann an der Spitze der Partei. Und an seinen (Wirtschafts-)Minister-Qualitäten darf ja nun füglich (man denke an seinen „professionellen“ Auftritt im Koalitionsausschuß  am 3. Juni 2011, als ihn die Bundeskanzlerin darüber belehren mußte, daß in diesem Gremium kein Ministerialbeamter, sondern der Minister selber vorzutragen hat) auch gezweifelt werden.

Vor allem die Zweifel, ob es wirklich gut war, einfach ein anderes Kabinettsmitglied an die Spitze der Bundespartei zu wählen, haben sich damit doch längst bestätigt: Hat denn keiner der neuen jungen Milden gemerkt, daß der Niedergang der Partei - ganz abgesehen von dem persönlichen Anteil Guido Westerwelles daran - gerade der Tatsache geschuldet ist, daß die FDP im Regierungsalltag zu viel von ihren Inhalten auf- und preisgegeben hat?

Wäre deshalb nicht – für eine Übergangszeit - eine Persönlichkeit   außerhalb aktueller Regierungsverantwortung besser geeignet gewesen, die Daseinsberechtigung der FDP dem Bürger, insbesondere dem Wähler des Jahres 2013, wieder plausibel zu machen?

Mußte vor allem wirklich wieder sofort ein unter 40jähriger (was auch für ein Gefasel von „Generationswechsel“, wenn auf Guido Westerwelle, 49, Philipp Rösler, 38,  also gerade 11 Jahre jünger, folgte) an die Parteispitze?

Durfte das nicht - wenigstens für eine Übergangszeit bis zur nächsten Bundestagswahl - auch ein Mensch mit bereits nachgewiesener langjähriger politischer Erfahrung sein, so wie es der nicht nur in Finanzdingen kompetente NRW-MdB Frank Schäffler in einem Zeitungsinterview am 05. April 2011 mit seinem Plädoyer für Hermann Otto Solms vorschlug?"

Welche Rolle Rösler Jahntz' Ansicht nach im Bundeskabinett spielt, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

"Es zeigt sich doch jetzt schon, daß Philipp Rösler im Kabinett nicht ernstgenommen  oder - um in seiner lächerlichen Frosch-Milch-Metapher von Rostock zu bleiben - von Angela Merkel schon längst gargekocht wird und dort weit davon entfernt ist, nun zu „liefern“. 

Hinzukommt eine Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die sich in allgemeiner Wahrnehmung als Hüterin des Datenschutzes, der Bürgerrechte, sonnt. Tatsächlich aber nichts weiter ist als die Museumswächterin eines Steinzeit-Liberalismus, der immer noch nicht begriffen hat, daß der Feind des Bürgers im Datenschutz nicht der Staat ist, sondern die Kriminellen, in der Industrie und anderswo:  Die bedrohen die Bürgerrechte.

Diese Frau nimmt sogar ein EU-Vertragsverletzungs-Verfahren gegen Deutschland in Kauf und verweigert sich weiterhin einer Neuregelung z.B. der Vorratsdatenspeicherung, wohl wissend, daß ihr angeblicher Kompromißvorschlag an den Koalitionspartner CDU/CSU, die „Quick-Freeze“-Regelung, in dem u.a. von ihr erstrittenen Entscheid des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich als untaugliche Alternative verworfen wurde.

Eine Bundesjustizministerin, die schon zuvor Rechtsverweigerung durch Nichtanwendung bestehender Regelungen betr. die Internet-Kinderpornographie betrieben hat. Und sich mit diesen ihren Beihilfen zum Täterschutz auch noch für einen Ausbund an Liberalität hält.

Aber all diese krassen Fehlentscheidungen und Fehlleistungen sind natürlich nicht alleiniger Grund für meinen hiermit erklärten Parteiaustritt:

Es ist die abstoßende Feigheit (und zugleich Kurzsichtigkeit oder Blindheit) eines Christoph Meyer, der die Personaldebatte über Guido Westerwelle - die der Landes- und Bundespartei nur gut getan hätte - mit einem GO-Trick abwürgte.

Es ist dieselbe abstoßende Feigheit (und zugleich Kurzsichtigkeit oder Blindheit) der neuen Bundesspitze, die Entsprechendes auf Bundesebene, wie in Rostock zu besichtigen, auch getan hat.

Und solcher Umgang mit dem Souverän der Partei, den Parteitagsdelegierten, ist vor allen Dingen zutiefst, abstoßend, illiberal. Es erinnert mich stark an  -  und ich weiß sehr wohl, welche Worte ich jetzt wähle, denn ich habe mich als Anklagevertreter in den Prozessen gegen die Staats- und Parteiführung der DDR, gegen Honecker, Keßler und Streletz, gegen Kleiber, Krenz und Schabowski damit langjährig dienstlich zu befassen gehabt  - den „demokratischen Zentralismus“ der SED/DDR:  die Führung beschließt, und die Basis hat die Klappe zu halten.

Und zutiefst illiberal ist, wie bereits dargelegt, das „Staatsverständnis“ eines Philipp Rösler, der um des Parteiamtes willen mal eben das Ministeramt wie das Hemd wechselt. Wenn ihm denn Gesundheitsminister und zugleich Bundesvorsitzender zuviel auf einmal war, was anderes als Machtbesessenheit hat ihn denn daran gehindert, das Ministeramt aufzugeben und sich mit voller Kraft dem Parteivorsitz zu widmen?

Und wenn ich dem SPIEGEL-Bericht vom 08.08.2011 glauben kann, hat Philipp Rösler in den 3 Monaten, außer Betätigung von Personal-Karussells in der Bundesgeschäftsstelle und anderswo, auch als Vorsitzender nichts „geliefert“.

Philipp Rösler wird - nach solch verheerendem „Führungs“-Debüt - die beiden FDP-Wahlniederlagen des kommenden Herbstes auf Bundesebene politisch nicht überleben. Ihnen, Herr Meyer, wird es nach dem Ausscheiden der FDP aus dem Berliner Abgeordnetenhaus im September als Landesvorsitzendem nicht anders ergehen.

Und das wird in beiden Fällen sehr gut so sein. 

Auch wenn es offenbar sonst niemanden in der FDP stört, mich stößt solch vorbeschriebenes Politik-Verständnis ab: Die FDP ist nicht mehr meine Partei.

Mit freundlichen Grüßen

(Bernhard Jahntz)"

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