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Berlin: „Feige Polizisten“ kommen vor Gericht

Bis zu 17 Polizisten waren vor Ort, als zwei Gangster die Wirtin eines Lokals in Prenzlauer Berg halbtot schlugen. Während einer der Räuber am 9.

Bis zu 17 Polizisten waren vor Ort, als zwei Gangster die Wirtin eines Lokals in Prenzlauer Berg halbtot schlugen. Während einer der Räuber am 9. Juni 1998 die Spielautomaten knackte, trat der andere brutal auf Barbara F. ein. Die Frau wimmerte und schrie vor Schmerzen. Mindestens eine Viertelstunde lang griff keiner der draußen stehenden Beamten ein. Für vier der Polizisten hat das jetzt Folgen: Ab Montag müssen sie sich wegen „Körperverletzung im Amt durch Unterlassen“ vor dem Amtsgericht Tiergarten verantworten.

In der Stadt hatte es große Empörung über die als „feige“ bezeichneten Polizisten gegeben. Die Polizei leitete Ermittlungen ein, von Fehleinschätzungen wurde gesprochen. Die Staatsanwaltschaft erhob schließlich Anklage gegen sechs Polizisten. Das Amtsgericht aber lehnte Ende 2000 die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Die Polizisten seien lediglich normal ausgerüstet gewesen, hieß es. Auch gebe es keine „zureichenden Beweismittel dafür, dass alle Angeschuldigten Schmerzensäußerungen der Gastwirtin vernommen haben". Die Staatsanwaltschaft legte gegen den Beschluss Beschwerde ein.

Fest steht: Der Einsatz war ein Fiasko. Bereits wenige Minuten nach dem Überfall waren sechs Beamte des Abschnitts 76 vor dem „Droschkenkutscher“ an der Malmöer Straße. Es war 22.08 Uhr. Zwei Polizisten sollen durch ein Fenster zwei Täter gesehen haben. Aus dem Lokal drang Lärm, Scheibenklirren, Stöhnen. Elf weitere Beamte trafen ein. Gemeinsam warteten die 17 Polizisten auf ein - aus Sicherheitsgründen - angefordertes Spezialeinsatzkommando (SEK).

Der Fall wirft schwierige Fragen auf: Wie sehr muss ein Polizist im Einsatz sich selbst gefährden, was darf man in einer gefährlichen Lage von ihm erwarten? Die Staatsanwaltschaft wirft den vier Angeklagten im Alter von 25 bis 40 Jahren vor, entgegen ihrer Hilfspflicht nicht eingegriffen zu haben, obwohl dies aufgrund eines nicht durch Rollos versperrten Fensters „möglich und zumutbar“ gewesen wäre. Es sei ihnen vor allem darum gegangen, „sich selbst keiner Gefahr auszusetzen". Im Prozess gegen die beiden Gangster sagte einer der am Einsatz beteiligten Beamten: „Wir wussten ja nicht, wie die Täter bewaffnet sind". Ein anderer sprach von einer befürchteten Geiselnahme, ein weiterer erklärte als Zeuge: „Jeder hat das gemacht, was er für richtig hielt.“ Erst als die Räuber um 22.24 Uhr mit einer Beute von 2200 Mark das Haus verließen, wurden die Beamten tätig und nahmen die beiden Männer fest. Die 54-jährige Barbara F. lag mit lebensgefährlichen Verletzungen hinter dem Tresen. Sie fiel ins Koma. Gesund wurde sie nicht mehr. Barbara F. sei psychisch behindert, sagte ihr Anwalt Jörg Tänzer. Den Angeklagten wirft er vor: „Sie hätten die Möglichkeit gehabt, den Tätern Einhalt zu gebieten.“ Doch die Beamten hätten nicht einmal durch eine Megafon-Durchsage auf sich aufmerksam gemacht.

So hatte es auch der Richter gesehen, der die beiden gewalttätigen Räuber Ende 1998 für jeweils 13 Jahre hinter Gitter schickte. Im Urteil nannte er die Beamten einen „Chaotenhaufen". Sie hätten „sich in nahezu grotesker Weise ungeschickt“ verhalten. Bei einem koordinierten Arbeiten hätten die Beamten nach ein oder zwei Tritten eingreifen können, schimpfte der Richter. Barbara F. wurde durch mindestens 15 Tritte gegen ihren Kopf verletzt. Kerstin Gehrke

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