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Berlin: Feiner Staub und grober Unverstand

Die Umweltplakette ist auch für Touristen Pflicht. Nur kriegen muss man sie

Zeitweise sah es so aus, als müssten die Vereinten Nationen eingeschaltet werden. Dabei ging es nur um den Vorabkauf einer Feinstaubplakette für das Auto von polnischen Bekannten, die im Januar nach Berlin kommen wollen und davor bewahrt werden sollen, wegen fehlender Plakette 40 Euro Bußgeld zu bezahlen. Theoretisch müsste der Aufkleber in einer der rund 800 Berliner Innungswerkstätten sowie bei Prüfstellen von Tüv & Co. zu bekommen sein: Anhand des Zulassungsjahres werde der Abgasstandard und damit die Plakettenfarbe ermittelt. So steht es zumindest auf den Internetseiten von Umweltverwaltung und Tourismusgesellschaft. Unser Kandidat müsste mit seinem Benzinmotor ein simpler Fall sein: Für alle ab Baujahr 1993 gibt’s grüne Plaketten. Unser Renault ist von 2004.

Der Versuch beginnt in einer kleinen Werkstatt nahe dem Adlergestell in Treptow, das auf dem Weg von der polnischen Grenze in die Berliner City liegt. „Plaketten verkauft bei uns der Tüv“, sagt der Meister, als der Kunde mit der Kopie des Fahrzeugscheins wedelt. „Morgen wieder, so zwischen halb elf und zwölf.“

In der nächsten großen Werkstatt am Weg sagt der Verkäufer: „Ob wir das hinkriegen …“, verschwindet kurz – und kommt mit einer tiefen Stirnfalte zurück: „Da müssen Sie zur Zulassungsstelle.“ „Zur polnischen Botschaft“, korrigiert ein Kollege. „Sie brauchen COC-Papiere als Nachweis, dass das Auto die deutsche Abgasnorm erfüllt.“ Ja, das sei „ein Riesenaufwand“; sie hätten das gleiche Problem schon mit einem Schweizer gehabt.

Beim Renault-Händler drei Straßen weiter kennt die Verkäuferin immerhin das Modell. Dann sagt sie leise „ach du Scheiße“ und lauter, dass sie mal ihren Kollegen fragen müsse. Der stamme nämlich aus Ungarn. Nur qualifiziert ihn das dann doch nicht zur Einstufung polnischer Autos, denn der Kunde wird weiter zur Dekra geschickt. „Das nützt mir ja nun nix“, sagt der dortige Experte, als er die Kopie der Zulassung sieht. „Ich brauche das Original oder eine beglaubigte Kopie.“ Aber er könne sich auch vorstellen, dass die Plakette an großen Tankstellen verkauft wird.

Wird sie aber nicht. Deshalb weiter zu einem Tüv-Stützpunkt, wo schon am Zaun für den Plakettenverkauf geworben wird. Die Werkstattleute studieren die Kopie, bitten um Übersetzung, zucken mit den Schultern: „Man sieht nicht, ob das ein Benziner oder ein Diesel ist. Tja.“ Schweigen. Dann: „Na ja, gut, ich gebe Ihnen die grüne Plakette.“ Macht 5,50 Euro, zwei vergeudete Stunden und vier vergebliche Versuche. Und sieht nach einem ungemütlichen neuen Jahr aus für motorisierte Touristen. Stefan Jacobs

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