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Solange auch Bockwurst im Angebot ist, ist er der Liebling aller Strandurlauber: Der Eisverkäufer.

© dpa

Ferienjob an der Ostsee: Eiskaltes Business

Unser Autor Leo hat jahrelang als Eisverkäufer an der Ostsee gearbeitet und erinnert sich – an (zu viel) nackte Haut, knallharte Konkurrenz und „Flunkyball“. Was er gelernt hat

„Alter, hast du nicht Lust, mal wieder Eis zu verticken?“, fragte mich neulich ein ehemaliger Kollege auf einem Goa-Festival in Mecklenburg. „Oh Mann, ich weiß nicht“, antwortete ich und begann in Gedanken abzuschweifen. Seit drei Jahren habe ich kein einziges Eis mehr an den Kunden gebracht. Davor hieß es mit dem letzten Pausenklingeln vor den Sommerferien immer: Ab ans Meer und Eis verkaufen! Mit einer Schiebekarre oder einem Golf-Buggy bin ich zwischen meinem 15. und 19. Lebensjahr bimmelnd und singend die Ostseestrände rauf- und runtergefahren. Es war der beste Ferienjob, den ich je hatte.

Aber was hat mir die Zeit eigentlich gebracht? Habe ich irgendetwas gelernt? Falls ihr euch gerade selbst fragt, ob ihr auch mal „Eis verticken“ möchtet, seid gewarnt: Ich werde nichts verklären oder beschönigen. Das hier wird keine Werbung – aber eine unverbindliche Job-Empfehlung. Hier sind die zehn Dinge, die ich als Eisverkäufer an der Ostsee gelernt habe:

1. Tourismus heißt Kapitalismus

Gleich vorweg: Der Strand ist ein heiß umkämpfter Marktplatz. Alle Verkäufer bekommen eine Gewinnbeteiligung. Da kann es schon mal passieren, dass dir ein Konkurrent mit seinem Gefährt den Weg versperrt oder dich sogar in die Ostsee drängen will. Wer mit den Gesetzen des freien Marktes nicht klar kommt, sollte kein Eis verkaufen. Auch mich hat der ständige Konkurrenzkampf belastet. Während dieser Zeit habe ich gemerkt: Ein BWL-Studium ist nichts für mich. Jetzt mache ich was mit Medien.

2. Ohne Bockwurst, keine Competition

Du verkaufst neben Eis natürlich auch des Deutschen liebste Strandsnacks: Kaffee und Bockwurst. Lecker, oder? Vorsicht! Wenn dir die Bockwürste um die Mittagszeit ausgehen, darfst du dich betriebsbedingt erstmal nicht mehr von der Stelle rühren. Denn ohne ihre schöne, knackige „Bowu“ musst du dem Strandvolk – mit ihren ausgehungerten Wohlstandsbäuchen – gar nicht erst unter die Augen treten. Von „Och menno“ bis zu „Was soll’n die Scheiße?“ – nicht selten in feinstem Sächsisch – habe ich nämlich schon jeden Wu(rs)tausbruch erlebt.

3. Sonne – ist sie zu stark, bist du zu schwach

Ein selten dämlicher Trugschluss! Denn selbst an bewölkten und windigen Tagen, wird dir die Sonne zu schaffen machen. Der Eisverkäufer von heute legt sich deshalb einen überdimensionalen Strohhut zu. Auch wenn er damit wie der letzte Depp aussieht, hilft es wenigstens, bei Kunden aufzufallen und sie an das Wägelchen der kühlen Versuchung zu locken.

4. "Für oben ohne, kriegst du Buttermilch-Zitrone!"

Solche Chauvi-Sprüche gehen einfach nicht klar. Egal, wie oft dir ein erfahrener Kollege erzählt, dass er den Spruch jeden Tag bringt und die Frauen am Strand ihn dafür lieben. Der seriöse Eisverkäufer weiß aber: Traue nicht den Machos, sonst bist du deinen Job los!

5. FKK – hol das Beste raus!

Apropos „oben ohne“: Die „Freikörperkultur“ ist in vielen Augen ehemaliger DDR-Bürger ein hohes Gut. In meinen Augen ist der Nackidei-Kult nicht immer angenehm. Als Nach-Wende-Teenager hat es mich einfach irritiert, wenn ich die Genitalien meiner Kunden sehen kann. Irgendwann bin ich dann aber abgestumpft und habe das Beste draus gemacht: Ich habe mir die Genitalien gemerkt – und die Kunden dann an ihren Geschlechtsorganen wieder erkannt und gegrüßt. Das erhöht die Kundenbindung!

6. Flunkyball – work hard, play hard

Durch die viele Sommer-Schufterei kommt eine Sache immer zu kurz: Festivals. Deshalb habe ich das ultimative Festival-Trinkspiel „Flunkyball“ auch beim Eisverkaufen kennengelernt. Flunkyball ist im Grunde wie „Wikingerschach“ – aber wer trifft, darf trinken. Das Spiel bescherte uns neben großen Momenten des Trinksports auch den ein oder anderen unschönen Exzess, der uns am nächsten Morgen heimsuchte – in Gestalt eines fetten Katers.

7. Strandpartys – es gibt immer eine Alternative

Wo wir gerade beim Feiern sind: Strandpartys gehören definitiv zu den Eisverkäufer-Highlights. Nur verkaufst du dein Eis nicht in Barcelona oder auf dem „Miami SpringBreak“, sondern in einer hauptsächlich von deutschen Familien besuchten Küstenregion unweit Skandinaviens. Deshalb solltest du dich nicht auf die Schlager-Playback-Combos und „DJ Heinz-Uwes“ dieser Welt verlassen, sondern auch mal privat organisierte Partys – natürlich nur angemeldete – auschecken. Wenn auch oft in intimer Runde, gehören diese Abende in der freien Natur und einem wild wummernden Bass zu den Momenten, an die ich am liebsten zurückdenke.

8. Fluch und Regen

Wenn es regnet hat der Eisverkäufer frei. Manchmal ist das die reinste Erlösung – zum Beispiel nach zwei Wochen Hitzewelle und Akkordarbeit. Aber Dauerregen hat mir auch schon den Sommer und das Taschengeldgehörig versaut – wie der legendäre „Regen-Sommer von 2011“. Am schlimmsten sind allerdings die Mischtage. Die fangen erst grau und bewölkt an, werden dann aber sonnig. Arbeiten möchte man an diesem – eigentlich frei geglaubten – Tag nicht mehr so wirklich, auch weil kein großer Umsatz winkt. Aber es hilft nichts: Die hart gesottenen Camping-Touristen liegen schon längst wieder bockwursthungrig am Strand.

9. Irgendwann verkaufst du auf Sylt

Bei allen Tagen voller Strapazen und Mini-Umsätzen, Buggy-Pannen, fiesen Konkurrenten und unfreundlichen Kunden, wünscht sich insgeheim jeder Ostsee-Eisverkäufer manchmal an einen fernen Ort: Die Insel Sylt. Schon die Ärzte sangen über sie: „Es ist zwar etwas teurer, dafür ist man unter sich.“ Das lockt die Eisverkäufer. Und so hofft jede Eisfrau und jeder Eismann insgeheim, dass es ihn irgendwann auf dieses sagenumwobene Nordsee-Eiland verschlägt – und er dort richtig Kohle macht. Denn wo sonst könnte man für ein handelsübliches Tankstellen-Eis wohl fünf Euro verlangen?

10.  Den Absprung schaffen…

Es gibt feste Mitarbeiter bei einer Eisverkaufsfirma, die die ganze Saison da sind – also von März bis Oktober. Das solltest du als Schüler oder Studi nicht ausprobieren. Denn egal, wie toll die heißen Sommertage in den Ferien auch waren: Die Nachsaison ist anders. Es ist kalt und du versuchst verzweifelt, das übrig gebliebene Eis an drei verirrte Bernstein-Sammler loszuwerden. Das letzte, was ich beim Eisverkaufen gelernt habe, ist deshalb: Sobald sich die ersten Blätter verfärben, solltest du deinen Gelato-Strohhut an den Nagel hängen. Behalte lieber den sorglos-schönen Sommer in Erinnerung. Die nächste Saison kommt schneller, als du denkst!

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Leonard Kehnscherper

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