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Abgefahren. Das Sandmännchen feiert 60. Geburtstag.

© rbb/DRA/Günther Vent

Fernsehfigur feiert 60. Jubiläum: Das Sandmännchen war stets ein Kosmopolit

In Ost-Deutschland geboren, doch Mauern hielten es nicht auf. Das Sandmännchen feiert 60. Geburtstag. Mit neuer Ausstellung und Jubiläums-Doku.

Mauern schien es nie zu kennen. Auch Grenzen waren für das Sandmännchen nicht viel mehr als Linien auf einem Globus, hinter denen es Spannendes zu entdecken und neue Freunde zu gewinnen galt. Bereits in der ersten Folge, ausgestrahlt am 22. November 1959, wurde „den Kindern in aller Welt“ von Sandmännchens Freunden Bärbel und Kasparek eine gute Nacht gewünscht: Keine Frage, „Unser Sandmännchen“ war in seinem Herzen stets ein Kosmopolit, ein wortloser Botschafter der Völkerverständigung. Wenngleich die Kompassnadel der beliebten, in Ost-Berlin geborenen Fernsehfigur in seinen ersten 30 Lebensjahren unübersehbar die Neigung hatte, sich an sozialistisch roten Landmarken zu orientieren. Und sein weißer Bart immer ein klein wenig an den von SED-Chef Walter Ulbricht erinnerte.

Zum 60. Geburtstag des Sandmännchens präsentiert das Filmmuseum Potsdam zusammen mit dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) die neue Ausstellung „Mit dem Sandmann auf Zeitreise“. Außerdem zeigt der RBB am 22. November um 20.15 Uhr eine 90-minütige Jubiläums-Dokumentation. „Uns ist es wichtig, dass das Sandmännchen ungeachtet seiner ostdeutschen Herkunft schon lange eine gesamtdeutsche Figur ist“, sagt Anja Hagemeier, seit 2015 Leiterin der Abteilung Familie und Kinder beim RBB. Das heute allseits bekannte Sandmännchen war nämlich ursprünglich der Gewinner in einem Wettlauf zwischen Ost und West: Anfang November 1959 hatten die DDR-Fernsehmacher erfahren, dass der Westen eine Kindersendung mit einem Sandmännchen plane. Drei Wochen später war dank Trickfilmer und Puppengestalter Gerhard Behrendt und Komponist Wolfgang Richter die erste Folge von „Unser Sandmännchen“ im Kasten. Ganze neun Tage vor der ersten „Sandmännchen“-Folge im Westfernsehen, deren Figur immer ein wenig an eine Mischung aus Postbote und Kutterkapitän erinnerte und nur bis in die 1970er Jahre tätig war. Wie beliebt der Ost-Sandmann war, wurde spätestens nach der Wende klar, als es auf die Meldung, die Sendung solle abgesetzt werden, zahlreiche Zuschauerproteste gab – mit Erfolg.

Zum diesjährigen 60. Geburtstag wurden erstmals nach 18 Jahren wieder 13 neue „Pittiplatsch“-Folgen gedreht, in denen der braune Kobold mit seinen Freunden Schnatterinchen und Moppi wieder viele Streiche ausheckt. Diese „Abendgruß“-Geschichten werden stets in eine Rahmenhandlung gefasst, in der das Sandmännchen Kinder vor dem Zu-Bett-Gehen besucht, mit ihnen gemeinsam den „Abendgruß“ schaut und dann seinen Traumsand verstreut. Das sandgefüllte Beutelchen, das es zu diesem Zweck bei sich trägt, besitzt es übrigens seit 1962. In den ersten drei Jahren kam es mit Eimer und Schippe.

Von den Rahmenhandlungen existieren insgesamt 457, von ihnen sind heute knapp 300 im Einsatz, alle fünf bis sieben Jahre werden neue gedreht. Ein Teil der in der DDR entstandenen Filme, die einst unter anderem nach Finnland und Dänemark, nach Vietnam und nach Griechenland exportiert wurden, wird aufgrund ihrer ideologischen Intention nicht mehr gezeigt: Da ist das Sandmännchen zu Gast im Palast der Republik, besucht NVA-Soldaten oder reist ins Pionierlager. „Es gibt aber auch andere Gründe“, sagt Hagemeier, „manche Filme sind auch qualitativ nicht mehr einsetzbar.“ Generell werden keine Symbole, die für die DDR standen, verbannt, so Hagemeier. So werden Folgen mit Trabant nach wie vor gezeigt: Ein Trabi sei schließlich einfach ein Auto, sagt Hagemeier schmunzelnd. Viele der alten Folgen gelten bei den Zuschauern als Klassiker oder werden aus anderen Gründen regelmäßig wiederholt wie die winterlichen Folgen, von denen nur wenige existieren. „Der Sandmann steht für ein festes Ritual, für Verlässlichkeit und das Zur-Ruhe-Kommen“, sagt Hagemeier. Ob das wie seit 60 Jahren abends vor dem Fernseher sei oder mittlerweile mal auf einer stressigen Autofahrt über die Sandmännchen-App.

Der besondere Clou und besonders beliebt bei den jungen Zuschauern, von denen täglich mehr als eine Million „Unser Sandmännchen“ im RBB, im Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) oder auf dem Kinderkanal (KiKA) sehen, ist die Art, mit der das Sandmännchen im Film die Kinder besucht: Mal kommt es ganz einfach zu Fuß oder lässt sich von einem Tier wie Elefant, Kranich oder Delfin tragen, viel häufiger aber ist es mit einem Fahrzeug unterwegs. Genau 306 verschiedene Fahrzeuge hat es dafür inzwischen benutzt, darunter Zementmischer und Rakete, Harvester, Schneefräse und U-Boot, Fahrrad und Tretroller. In den 24 neuen Rahmenhandlungen, die 2017 gedreht wurden, ist das Sandmännchen unter anderem mit dem ICE und als Kitesurfer unterwegs. Doch allzu modern muss es gar nicht sein: Bei einer Abstimmung hatten sich die RBB-Zuschauer für die Wiederholung einer Folge von 1974 ausgesprochen, in der das Sandmännchen mit dem Bücherbus kommt.

Ein wandelndes Lexikon, was die umfangreiche Sandmännchen-Historie bis 2008 angeht, ist Winfried Kujas. Mehr als 100 Sandmännchen-Ausstellungen hat der heute 79-jährige Friedrichshagener bereits organisiert und gezeigt. Es gibt fast nichts, was er nicht weiß oder zumindest schnell nachschauen kann. Wann wurde das Sandmännchen erstmals in Farbe gesendet? Kujas muss nur kurz seine umfangreichen Listen durchsehen – dann hat er es: 1966, in Folge 243, trat das Sandmännchen neben Frau Holle erstmals in bunt auf.

1961 hatte Kujas beim „Deutschen Fernsehfunk“ (DFF) als Aufnahmeleiter-Assistent im Kinderfernsehen begonnen, ab 1976 war er stellvertretender Produktionschef für den Bereich Kinder, Jugend und Sport. Kujas war dabei, als das Sandmännchen in den 1970er Jahre erst im Rahnsdorfer Kino, dann im historischen Treptower „Eierhäuschen“, später in der Mahlsdorfer Ausflugsgaststätte „Kiekemal“ am Hultschiner Damm und ab 1994 in Adlershof in einem ehemaligen Telekom-Gebäude produziert wurde. Drei Stäbe arbeiteten damals manchmal gleichzeitig in aufwendiger Stop-Motion-Technik an neuen Folgen. Kujas erinnert sich noch daran, wie schwer einst die Köpfe der Figuren waren, was die Trickfilmtechniker vor große Statik-Probleme stellte. Es gab riesige Tische, auf denen die Wald-, Winter- oder Ostsee-Sets aufgebaut waren und die durch mehrere Wände reichten. Und auch Fahrzeugbauer Harald Serowski setzte dort seine neuesten Ideen um. Hier entstanden auch Sandmännchen-Langfilme von 13 Minuten wie „Der verhexte Staubsauger“ oder „Die Räuberpost“. Mitte der 1990er Jahre zog die Sandmännchen-Produktion dann in den Potsdamer Filmpark um und musste sich spürbar verkleinern.

Ein großer Anhänger des Sandmännchens ist Kujas nach wie vor geblieben, doch nicht alles gefällt ihm mehr: „Früher ließen wir den Sandmann quer durch die DDR und viele Länder reisen, damit die Kinder etwas von ihrem Land und der Welt kennenlernen. Die neuen Folgen finden fast alle nur noch in einem Phantasiereich statt“, kritisiert Kujas. Er nennt dies eine vertane Chance und würde sich wünschen, dass das Sandmännchen die Vorschulkinder vor dem Fernseher öfter mit ihren europäischen oder auch außereuropäischen Nachbarn bekannt machen würde.

Noch heute schaut sich Kujas dennoch so gut wie jeden Abend „Unser Sandmännchen“ an. Nicht allein aus nostalgischen Gründen oder mit den Enkelkindern: Die Zeiten, in denen er mit seinem heute 17-jährigen Enkel immer wieder die Folge „Sandmännchen auf der Leuchtturminsel“ ansehen musste und dabei lernte, was eine „Hosenboje“ ist, sind lange vorbei. Nach wie vor verfolgt Kujas vor allem ein filmhistorisches Interesse: Manchmal, so erzählt er, sitze er abends vor einer alten Folge und rufe dann ganz erstaunt: „Ach, da ist diese Truhe!“ oder „Dort steht dieser Zaun!“. Und dann kann Kujas eine weitere Requisite aus dem umfangreichen Sandmann-Fundus für kommende Ausstellungen beschriften.

Eva Steiner

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