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Einfach reinschauen. Silvio Neubauer verleiht Filme noch ganz klassisch: mit Fachpersonal und ohne Süßigkeiten an der Kasse.

© Doris Spiekermann-Klaas

Filmgalerie 451 in Mitte: Die etwas andere Videothek muss umziehen

Quentin Tarantino hat hier noch Leihschulden, George Clooney war scharf auf ein Poster – Cineasten lieben die gut sortierte Videothek 451, seit zwölf Jahren ist sie eine Institution auf der Torstraße. Nun sucht sie eine neue Heimat.

Im Schaufenster sind drei flammend rote Leuchtziffern zu sehen. 451. Der filmische Notruf der Stadt. Die 110 hilft bei Einbrüchen, die 112 bei Feuer und die Filmgalerie 451 auf der Torstraße hilft Cineasten in Not. Ihre wichtigste Aufgabe: Erstversorgung an drögen Samstagabenden.

Seit ihrer Gründung im Jahr 2001 hat sich die Filmgalerie 451 zur festen Größe in der Berliner Filmlandschaft entwickelt. Mit 23 000 Titeln hat sie eine der größten Sammlungen der Stadt. Von Klassikern bis zu Nischenproduktionen, von Arthouse-Kino bis zu Hollywood- Hochglanz ist alles vertreten. Volker Schlöndorff und Sophie Rois leihen hier aus, Tom Tykwer fühlt sich so zu Hause, dass er zu Interviews in die Torstraße lädt, und eines Tages stand sogar Quentin Tarantino vor der Tür und bat um einen Kundenausweis. Sollte er noch einmal wiederkommen, wird er künftig allerdings vergeblich nach der Filmgalerie suchen. Das Gebäude in der Torstraße 231, in dem die Filmgalerie sitzt, wird gerade modernisiert, Anfang Oktober muss die Videothek raus aus ihren Räumen.

Mitarbeiter helfen bei "Zeichen von Not"

Die meisten Videotheken sind grell ausgeleuchtet und manipulativ angelegt wie Supermärkte – Meter von Filmen und dann, kurz vor der Kasse, die Süßigkeiten. In der 451 dagegen hat Inhaber Silvio Neubauer die DVDs und Videokassetten wie auf einer Bühne arrangiert. Der Altar der Filmkunst füllt eine ganze Wand, dort stehen die Werke von 150 Meisterregisseuren wie Alfred Hitchcock und John Cassavetes. Ansonsten stehen die Filmregale locker im Raum verteilt wie Menschen, die auf einer Party in Grüppchen beisammenstehen. Gummibärchen oder Chips gibt es nicht, dafür aber Rat, wenn einer, wie Neubauer sagt, angesichts der Auswahl „Zeichen von Not“ zeigt.

Jeder Mitarbeiter der Filmgalerie hat sein Spezialgebiet. Der eine kennt sich mit Kinderfilmen aus, der andere mit asiatischem Kino. Was sie alle eint, ist das völlige Fehlen cineastischer Arroganz. Anderswo wird man teilweise nur mit Respekt behandelt, wenn man mit Handkamera gedrehte Filme aus Usbekistan ausleiht, und das, bitteschön, im Original. Nicht so in der 451. „Wenn jemand einen Film mit Thomas Gottschalk sehen will, dann hat er bestimmt seine guten Gründe“, sagt Silvio Neubauer.

Den aufwendigen Stuck in seiner Filmgalerie 451 in der Torstraße wird er ab Oktober vermissen – seine Videothek zieht wohl in die Invalidenstraße..
Den aufwendigen Stuck in seiner Filmgalerie 451 in der Torstraße wird er ab Oktober vermissen – seine Videothek zieht wohl in die Invalidenstraße..

© Spiekermann-Klaas

Neubauer selbst kam über den Fußball zum Film. Mit 18 Jahren kaufte er sich einen kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher, um endlich, allein in seinem Zimmer und ungestört, Spiele zu sehen. Statt „Tor!“-Rufen ertönte dann aber meist lautes Lachen hinter der verschlossenen Tür. Neubauer hatte die US-Filmkomödien für sich entdeckt, die das Fernsehen damals in den Siebzigern rauf und runter zeigte. So begeistert war er, dass er einen Kassettenrekorder neben den Fernseher stellte und die Aufnahmetaste drückte. Videorekorder gab es noch kaum und so konnte er zumindest die Dialoge von „Leoparden küsst man nicht“ oder „Eins, Zwei, Drei“ konservieren – sein eigenes Lachen inklusive. Heute steht der Billy-Wilder-Film auf dem Berlin-Regal der 451. Filme mit Hauptstadtbezug sind besonders beliebt bei den Kunden, allen voran Wim Wenders’ „Himmel über Berlin“. Er war Neubauers Statistik zufolge unter den zwanzig am häufigsten ausgeliehenen Filmtiteln der vergangenen Jahre.

Eine Filmstadt braucht ihr Archiv

Neubauers eigene Beziehung zu Berlin hat sich wie eine klassische Liebesgeschichte aus Hollywood entwickelt. Erster Akt: Neubauer, der bereits eine Videothek in Stuttgart aufgebaut hat, kommt nach Berlin. Eine Filmstadt, findet er, braucht auch ihr Archiv. Doch es ist Januar und Berlin zeigt sich von seiner hässlichsten, kältesten Winterseite. „Ich war“, sagt Silvio Neubauer, „kurz davor, kehrtzumachen“. Aber dann, mit einem Mal, sieht er die Torstraße 231, und es ist völlig um ihn geschehen.

Der Laden hat nicht nur 180 Quadratmeter, sondern auch Geschichten zu erzählen. Die Decke ist hoch und der Stuck prächtig, an eine Wand ist eine Gruppe von Kindern gemalt, überlebensgroß, auf dem Boden liegen Kleiderbügel. Alles Zeichen von den typischen Brüchen einer deutsch-deutschen Existenz: Vor dem Zweiten Weltkrieg war hier ein Kaffeehaus, zu DDR-Zeiten dann eine Kinderbibliothek und nach dem Mauerfall kurzzeitig ein Jeansgeschäft, so als habe der Kapitalismus schnell mal seine blaue Denim-Fahne schwenken wollen. 2001, als Silvio Neubauer in Berlin ist, stehen die Räume leer. Kein Wunder, dass sich auch andere dafür interessieren. Und so gibt es im zweiten Akt noch etliche Verwicklungen, und ein Schurke in Gestalt eines Maklers droht Neubauer die Tour zu vermasseln.

Doch dann, endlich, dritter Akt, ist der Laden seiner und es gibt ein rauschendes Einweihungsfest. Vom Ladeninneren will Neubauer möglichst viel erhalten und lässt Stuck und Boden unberührt. Die Kinderfiguren übermalt er. An ihre Stelle hängt er ein Plakat von „Ferris macht blau“ – eine US-Komödie über einen aufsässigen Teenager. Gegenüber von Ferris klebt sein dramatisches Pendant. Es ist ein Plakat der „Reifeprüfung“, jenes Films, der Dustin Hoffmann in der Rolle des College-Absolventen Benjamin Braddock, der von einer älteren Dame verführt wird, berühmt machte.

Wenn es nach George Clooney ginge, hinge das Poster nicht mehr in der 451. Eines Tages, Clooney drehte gerade in Berlin, kam sein Fahrer in den Laden und richtete aus, dass der Schauspieler das Poster gern hätte. Neubauer, der sich die Berliner Eigenschaft, unbeeindruckt von Stars und ihren Allüren zu sein, schnell zu eigen gemacht hat, winkte ab. Wenn Clooney so scharf drauf sei, müsse er schon selbst kommen. Clooneys Kollege Dennis Quaid kam tatsächlich einmal persönlich vorbei. Er drehte in Babelsberg, seine Frau war mitgereist, als guter Ehemann wollte er für ihre Unterhaltung sorgen und lieh Dokumentationen über die deutsche Geschichte aus. Besonders gut kannte er die Vorlieben seiner Frau offenbar nicht: Sie habe sich keine einzige angesehen, erzählte er bei der Rückgabe.

Quentin Tarantino schuldet der Videothek 6000 Euro

Quentin Tarantino dagegen müssen die Marlene-Dietrich-Filme „Entehrt“ und „Shanghai Express“, die er auslieh, als er „Inglourious basterds“ in Berlin drehte, wohl gefallen haben. Zumindest hat er sie immer noch nicht zurückgebracht.

Fünf Jahre ist das nun her, und streng genommen schuldet Tarantino der Filmgalerie inzwischen mehr als 6000 Euro. Ein bisschen Geld könnte die 451 gut gebrauchen. Während in der Torstraße samstags früher bis zu 500 Filme ausgeliehen wurden, sind es heute weniger als die Hälfte. Es geht den Videotheken wie den Buchläden – durch das Internet ist das Geschäft rückläufig.

Und als wäre das allein nicht schwierig genug, wird die Ladenmiete nach der Modernisierung des Hauses steigen. Damit ist die Liebesgeschichte zwischen Neubauer und der Torstraße 231 vorbei. Im Herbst wird er mit seinen 23 000 Filmen ausziehen. Monatelang hat er nach neuen Räumen gesucht, nun hat er etwas in Aussicht, wieder im Mitte-Kiez, aber kleiner und weniger prächtig, in der Invalidenstraße 148.

Trotzdem wird Silvio Neubauer dem Namen seiner Videothek auch in Zukunft alle Ehre machen. Die drei Zahlen spielen auf Ray Bradburys „Fahrenheit 451“ an, das von Francois Truffauts verfilmt wurde. In dem totalitären Staat der Zukunft, in dem die Geschichte spielt, sind Bücher verboten und werden verbrannt, doch der Feuerwehrmann Guy Montag versucht sie vor den Flammen zu retten.

Und im Berlin der Gegenwart wird der Videothekenmann Silvio Neubauer weiterhin die Filme vor dem Vergessen bewahren.

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