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Diesmal ohne Peitsche: Darsteller Dakota Johnson und Jamie Dornan bei der Premiere am Mittwochabend.

© dpa

Filmpremiere auf der Berlinale: Fifty Shades of Aschgrau

Auf die "Fifty Shades of Grey"-Premiere am Mittwoch hatte die Welt gewartet. Bondage, Mommy Porn, Lustschmerz! Und wer muss darüber schreiben? Die Redaktion hat einen vermeintlichen Experten zwangsrekrutiert - mit erstaunlichem Ergebnis in Thesenform. Und Loriot ist auch dabei.

1) Am 20. Januar gestand ich meinem Ressortleiter, dass die einzige Belletristik, zu der ich mich seit Jahren durchringen konnte, „Moby Dick“ ist, 1056 Seiten, mit denen ich noch nicht fertig bin. Jetzt kommt die Quittung:

2) Am Mittwochabend ist „Fifty Shades of Grey“-Premiere im Zoo-Palast. Ich muss was zu dem Buch schreiben, das dem Film zugrunde liegt, was auch Literatur ist, aber 1200 Seiten hat, als „Arztroman ohne Doktor“ gelobt wird und insofern an „Backen ohne Mehl“ erinnert.

3) Meine Promotion in katholischer Theologie könnte die Sache erleichtern.

4) Vermutlich qualifiziert mich auch, dass ich schon mal Klebeband im Baumarkt gekauft habe. Allerdings suche ich dort immer lange nach dem richtigen Regal (siehe: Lustschmerz-Erfahrung).

5) Bei so einem Stoff geht’s ja unpersönlich gar nicht, so denkt man sich das in Bezug auf Literatur und Theologie; und irgendwie ist ja auch „Moby Dick“, die Story vom unfassbaren weißen Wal, verkappte Theologie.

6) Die Redaktion möchte lieber, dass ich Zusammenhänge zwischen der Berliner Clubszene und „Mommy Porn“ erkläre. Jedenfalls verbindet beide, dass das Leben schön ist, sobald der Schmerz nachlässt, gell?

7) Berliner Baumärkte haben sich derweil mit Kabelbinder und Klebeband fürs Merchandising zum Film vorbereitet.

8) Eine Kritikerin erinnert die Ästhetik des Filmes an Badeöl-Werbung, auch da sind die Zubehör-Shops gewappnet.

9) Um das Zielgruppen-Spektrum auf den naserümpfenden Intellektuellen auszuweiten, soll hier die unscharfe Trennungslinie zwischen un/freiwilliger Komik ganz doll betont werden.

10) Grey ist nicht nur ein Name, sondern eine Metapher. Uns erinnert dieses graue Wort an ein altes anthrazitfarbenes Paar, beraten von Möbelverkäufer Loriot, das zur Belebung seiner verkorksten, aber haltbaren Beziehung einen neuen Couch-Bezug sucht.

11) Die Film-Entscheidung „Wir nehmen das Aschgrau!“ zeigt, dass es nicht nur in Lustschmerz-Beziehungen darauf ankommt, die Schönheit der Gewohnheit mit dem Spaß an der Variante zu koppeln.

12) Wir dürfen uns das Filmpaar Ana und Christian, inszeniert von Loriot, als uraltes Berliner Pärchen auf aschgrauem Pantoffelkinosofa vorstellen. Für Tickets zur Zoo-Palast-Gala hat es bei dieser Zielgruppe leider nicht mehr gereicht.

13) Wenn man etwas nicht ganz schafft, hat das nur manchmal mit Lustschmerz zu tun. Nicht mal mein Kollege Martenstein behauptet, Fifty Shades of Grey von A bis Z durchdrungen zu haben. Auch Woody Allen hat, wie er in „Zelig“ gesteht, den Klassiker „Moby Dick“ nicht fertiggelesen: Was Klein-Zelig zunächst auf der Schulbank traumatisiert, ihn dann aber als therapierten, gereiften Mann kurz vor dem Tod transzendental entspannt.

14) Christian, der fünfzigfach changierende Held unserer Film-Premiere, hat nur deshalb seinen Klebeband-Schatten weg, weil ihn „kalte Gefühle, Verwahrlosung und Gewalt in seiner Kindheit zutiefst traumatisiert haben" (Wikipedia).

15) Ist es nicht der Schatten in uns allen?

16) Die historische Bondage-Sitzung dieses Tages findet allerdings nicht an der Spree, sondern in Minsk statt.

17) Den „Moby Dick“-Schutzumschlag nehmen wir jetzt runter, kuckt eh keiner.

Mehr Infos zur Berlinale finden Sie auf unserer Sonderseite und im Berlinale-Blog.

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