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Finanzkrise: Verspielter Kredit

Die Finanzkrise rückt uns immer näher. Viele Berliner fürchten, dass sich ihr Kapital schnell verflüchtigt. Verunsicherung macht sich breit - auch bei jenen, die sich bislang nicht betroffen fühlten.

„Entspannt anlegen, auch in stürmischen Zeiten“, steht am Fenster einer Bankfiliale am Wittenbergplatz. Es stürmt gerade in den Köpfen der Geldanleger, der kleinen Sparer, von Entspannung keine Spur. Die Beunruhigung der Menschen ist in jedem Gespräch zu spüren. Die Sorge um die Altersvorsorge oder die Lebensversicherung, breitet sich trotz beruhigender Äußerungen der Banken spürbar aus in der Stadt. Es sind am Wochenende die neuen schlechten Nachrichten von der angeschlagenen Hypo Real Estate, die zusätzlich auf die Stimmung schlagen. Auch wer sich bislang keine Sorgen machte, wird langsam unruhig. Mieter eines Wohnhauses an der Fredericiastraße in Charlottenburg etwa sind zwischen Furcht und Schadenfreude zerrissen: „Vielleicht können wir unsere Wohnung irgendwann für einen Euro kaufen“, sagt eine Bewohnerin. Das Haus gehört mit vielen anderen Gebäuden zum Eigentum der Hypo Real Estate.

„Was bringt uns eine neue Rettungsaktion für die Pleitebank?“ fragen sich Passanten auf der Tauentzienstraße. Sie schauen in die Fenster der Bankfilialen und zitieren bitter Werbesprüche wie: „Einmal anlegen – ein Leben lang gesichert“. Ein Mann sagt, er fühle sich überhaupt nicht sicher, auch wenn er sein Geld bei der Sparkasse angelegt habe und es dort gut aufgehoben fühle. „Aber ich habe Angst vor der Zukunft“. Für wie viel hunderte Milliarden müssten die Steuerzahler noch aufkommen, fragt eine Frau. Für Fehler der Banken müssten alle bluten und der Sozialstaat sei damit am Ende.Offenbar passend kündigte der Finanzsenator einen erneuten Sparkurs an.

Ein Mann erzählt, er habe sein Geld in Holland bei einer kleinen Bank angelegt, wolle es so schnell wie möglich zurückholen. „Am besten alles gleich ausgeben.“

Pfarrer Martin Germer von der Gedächtniskirche wird vor der Sonntagspredigt zum Erntedankfest überraschend von einem älteren Ehepaar angesprochen, das Trost sucht. Es geht um Ersparnisse, um die Rente, der Pfarrer spürt die Verunsicherung. Er erinnert an die Bergpredigt und rät, sich im Leben nicht von der Sorge beherrschen zu lassen. Und im Vaterunser sei von „unserem täglichen Brot“ die Rede, der Mensch sollte mehr auf das Heute achten, darauf vertrauen, dass sich alles zum Guten richten werde.

Zuvor hat der Risiko-Soziologe Ortwin Renn im Deutschlandfunk über den Umgang mit Krisen berichtet. Er meint, dass die Sorge der Bevölkerung vor dem Unbestimmten größer ist als vor der realen Gefahr. Genau das ist die Unruhe, die sich über breite Bevölkerungskreise in Berlin legt. Alles Gesicherte scheint ins Wanken zu geraten, die gesamte Lebensplanung in Gefahr. Viele alte Menschen haben ihren Kindern und Enkeln schon geraten, das Geld von Konten abzuheben und in den „Sparstrumpf“ zu stecken, sie erinnern an Weltwirtschaftskrise und Inflation. Alte Ängste kommen wieder.

Die Banken müssen in diesen Tagen jedenfalls viel Überzeugungsarbeit leisten, mehr als bisher sind Kundenberater aktiv, telefonieren oder mailen mit ihrer Klientel, von der sie glauben, dass sie in Unruhe versetzt ist. Sie versichern immer wieder und geduldig, die Sorgen um Spareinlagen seien unbegründet. Eine große Bank schreibt gerade ihren Anlegern, sie sollten bei der Suche nach neuen Kunden behilflich sein, könnten dafür Prämien einstecken. Das macht wiederum etliche Adressaten skeptisch. Die Sorge der Banken ist groß, dass Haushalte ihr Geld abheben, denn das dürfte finanzielle Schwierigkeiten nur noch erhöhen. Daneben sorgen sich viele Angestellte der Kreditinstitute um den Arbeitsplatz. Die Nachrichten vom Wochenende sind wenig ermutigend.

Die Auswirkungen sind auch sonst nicht absehbar: Geplante Bauten, beispielsweise Hochhäuser am Breitscheidplatz, setzen die Finanzkraft der Banken voraus. Die Projekte hängen ohnehin schon seit Jahren in der Warteschleife. Der geplante Stadtteil am neuen Hauptbahnhof und an der Heidestraße ist von immensem Bankenkapital abhängig. Weil die Finanzkrise den gesponserten US-Kulturbetrieb in Mitleidenschaft zieht, sind auch Mitarbeiter der Deutschen Guggenheim Unter den Linden unruhig geworden: Ein Beispiel für die breiten Kreise, die von der Krisenstimmung gezogen werden.

Vor der Bankfiliale am Wittenbergplatz sitzt ein Mann im Rollstuhl. „Die Welt ist schlecht“, sagt er. Zu verlieren hat er nicht viel. Er bettelt. Die Leute, glaubt er, halten ihr Geld jetzt zusammen und fürchten sich vor der Zukunft. Er merkt es am kargen Inhalt der Pappschachtel. „Stürmische Zeiten eben“, sagt er lächelnd.

Christian van Lessen

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