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Bedroht. Mehrere Hektar Wald wurden auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs in Köpenick illegal gerodet, wo auch die seltene Zauneidechse vorgekommen sein soll.

© imago/blickwinkel

Flächenarmut: In Berlin kollidieren Wohnungsbau und Naturschutz

Bei Bauvorhaben werde immer wieder das Naturschutzrecht missachtet und somit der Lebensraum von Tieren und Insekten bedroht, warnen Lobbygruppen.

Die hohe Nachfrage nach Flächen für den Wohnungsbau hat drastische Folgen für den Naturschutz. Auf dem ehemaligen Gelände des Rundfunks im Amerikanischen Sektor (Rias) in Neukölln-Britz etwa ließ ein Investor Anfang des Jahres geschützte Bäume fällen. Damit griff er der möglichen Umwandlung eines Teiles der Grünfläche in ein Wohngebiet vorweg. Die Spuren der Verwüstung sind auch Monate später noch erkennbar. Bis September 2013 sendete das Deutschlandradio Kultur von hier aus in die Welt, im Juli 2015 wurde der Sendemast gesprengt. Seitdem liegt das Gelände brach. Neben dem ehemaligen Sendegebäude türmen sich nun Holzhaufen.

Der Hamburger Investor Becken Development will hier Wohnungen errichten, auch bezahlbare nach dem „Berliner Modell“, wie Pressesprecher Lutz Ackermann betont. Allerdings: Die gesamte Fläche ist im Flächennutzungsplan als schutzwürdige Grünfläche ausgewiesen. „Eine Bebauung wäre prinzipiell nicht ausgeschlossen, allerdings nur in Teilen und nur im Einklang mit dem Schutz der Natur auf dem Gelände“, sagt Matthias Tang, Pressesprecher der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. Dazu wäre eine Änderung des Flächennutzungsplanes nötig. Diese werde zwar geprüft, das Verfahren befinde sich allerdings „noch im Anfangsstadium“, wie der zuständige Neuköllner Umweltstadtrat Bernward Eberenz (CDU) sagt.

Der Bezirk Neukölln plant, das gesamte Gelände zum Naturdenkmal zu erklären. Neben schützenswerten Bäumen befinden sich dort unter anderem mehrere Pfuhle, sumpfartige Stillgewässer, die einen besonderen Lebensraum für Tiere und Pflanzen darstellen. „Die Fläche ist sehr interessant für den Naturschutz: Es finden sich vielfältige Strukturen, die vergleichsweise unangetastet sind“, sagt Christian Hönig, Fachreferent für Baumschutz beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (Bund) Berlin.

Einer möglichen Änderung des Flächennutzungsplanes griff der Investor vorweg und verstieß damit aus Sicht des Umweltamtes massiv gegen das Naturschutzrecht. Nachdem das Umweltamt Ende Februar von ungenehmigten Rodungen und Abrissarbeiten auf dem Gelände erfuhr, verhängte es einen sofortigen Baustopp. Die Arbeiten wurden dennoch mindestens einen weiteren Tag fortgesetzt. Die laut der Gebäudebrüterverordnung verpflichtende Artenschutzprüfung vor Abriss eines Gebäudes unterließ der Eigentümer offenbar. Auch Asbest soll nicht sachgerecht gelagert worden sein.

Bezirk leitet Verfahren ein

Der Bezirk Neukölln leitete nun diverse Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen den Eigentümer ein. Das Vertrauensverhältnis sei „nachhaltig gestört“, sagt auch der Stadtrat für Stadtentwicklung, Jochen Biedermann (Grüne).

Der Eigentümer selbst will von den Verstößen nichts wissen: Alle Maßnahmen seien im Einklang mit geltenden Rechtsvorschriften durchgeführt worden, sagt Pressesprecher Lutz Ackermann, und ergänzt: „Gleichwohl bedauern wir, dass wir unserer Anzeigepflicht für den Abriss von Gebäuden nicht in vollem Umfang nachgekommen sind.“ Aufgrund ungenügender Kommunikation sei es zu Irritationen gekommen. Die Gebäude seien aufgrund der Verkehrssicherungspflicht abgerissen worden. Zudem seien nur Bäume gefällt worden, die aus Sicht des Investors nicht unter die Baumschutzverordnung fallen. Dies zeigt ein Gutachten, dass der Investor selbst, nach Übernahme des Grundstücks im Sommer 2017, in Auftrag gegeben hat – das aber laut Angaben von Bernward Eberenz nicht die Kriterien des Bezirksamtes erfüllt. „Da ist zwar einiges geprüft worden – aber das ist für eine umweltschutzrechtliche Betrachtung nicht ausreichend“, so der Umweltstadtrat.

Auch andere Gründe erschweren den Wohnungsbau auf dem Gelände: Durch die unmittelbare Nähe zum Gewerbegebiet Gradestraße müssten bestimmte Abstandsrichtlinien eingehalten werden. Außerdem sei der Anschluss an Verkehr und Infrastruktur schwierig, sagt Stadtentwicklungsstadtrat Biedermann.

Bei Wohnungsbauvorhaben wird in Berlin immer wieder gegen geltendes Naturschutzrecht verstoßen. Im Februar wurden laut Angaben des Bund mehrere Hektar Wald auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofes in Köpenick illegal gerodet. Auf dem Gelände, auf dem 1700 Wohnungen entstehen sollen, soll auch die seltene Zauneidechse vorgekommen sein. Obwohl die vorbereitenden Verfahren für den Artenschutz bereits in vollem Gange waren, habe der Investor die Fläche illegal räumen lassen.

Auch im historischen Leonorenpark in Lankwitz wurden geschützte Bäume gefällt. Auf der Fläche der Elisabeth-Aue in Pankow soll eine historische Natur-und Kulturlandschaft rund um das Dorf Blankenfelde einem neuen Stadtviertel weichen.

„Die Beispiele zeigen drastisch, wie sich die unzureichende Ausstattung der Naturschutzbehörden zum Schaden der Natur in Berlin auswirkt“, sagt Jutta Sandkühler, Geschäftsführerin von der Berliner Niederlassung des Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Die bauliche Nachverdichtung dürfe nicht zulasten von städtischen Grünflächen gehen, fordert die Umweltschutzorganisation.

Kahlschlag. Bezirk und Investor streiten über die Rodung auf dem Rias-Gelände in Neukölln.
Kahlschlag. Bezirk und Investor streiten über die Rodung auf dem Rias-Gelände in Neukölln.

© Bezirksamt Neukölln

Bessere Abstimmung nötig

Der Neuköllner Umweltstadtrat Eberenz sieht die Ursache der Verstöße in der „massiven Konkurrenz“ mit Flächen für den Wohnungsbau. Um Grünflächen zu erhalten, sei auch eine bessere Abstimmung zwischen den Behörden nötig: Bauvorhaben sollten von Anfang an so geplant werden, dass der Wohnungsbau mit dem Naturschutz in Einklang stehe.

Auch Bund-Baumexperte Hönig fordert eine bessere Verknüpfung von Bau- und Umweltämtern: Aktuell sei es üblich, dass Anträge etwa für Fällarbeiten erst gestellt würden, wenn die Bauplanung für neue Projekte bereits abgeschlossen sei. Es sei aber wichtig, dass Experten von Anfang an eine ökologische Baubegleitung durchführen könnten. Nur so sei eine naturverträgliche Planung überhaupt möglich, sagt Hönig. Daher müssten die Naturschutzbehörden rechtzeitig in die Planung einbezogen werden und nicht nur reaktiv, sondern auch präventiv tätig werden.

Bei Fällen wie dem Rias-Gelände könnte jedoch selbst diese Maßnahme zu kurz greifen: „Was auf dem Rias-Gelände geschehen ist, scheint mir nur möglich, wenn ein Investor – sei es offen, sei es insgeheim – meint, aufgrund einer stärkeren Gewichtung von Wohnungsbau in den politischen Abwägungsprozessen werde er mit ein wenig Verstoß gegen umweltrechtliche Bestimmungen schon durchkommen“, sagt Eberenz. Der Bezirk müsse nun deutlich machen, dass man das nicht hinnehme.

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