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Public Viewing zur EM

© dpa

Flagge zeigen in Berlin: Der Ball rollt, die Fahnen wehen

Bei Sommerwetter freuten sich Tausende Berliner auf die ersten EM-Spiele unter freiem Himmel. Der Staat hält sich zurück: Beflaggung öffentlicher Gebäude ist nicht geplant, bei Polizeiautos gar verboten.

An ihrem Auto flattert schon die deutsche Flagge. Und für ihre Terrasse hat Ingrid Demuth gerade noch eine gekauft, knapp vier Stunden vor dem ersten EM-Spiel. Alle Spiele will die 49-Jährige gucken: „Wenn schon, denn schon!“ Während sie es sich gestern vor dem heimischen Fernseher gemütlich einrichtete, zog es andere zum Public Viewing zu Freunden oder in die Kneipen. Aber egal, ob man in Kreuzberg, Spandau oder Köpenick zuschaute: Schwarz-rot-gold war bei den Fußballfans überall präsent, als Fahne, Hut oder Wangentatoo.

Erinnern wir uns: Vor zwei Jahren, zum Auftakt des Sommermärchens, hatten viele Berliner mit der Zurschaustellung des nationalen Symbols noch so ihre Probleme – bis diese von der allgemeinen Euphorie hinweggefegt wurden. Diesmal sah man etliche Fahnen an Balkonen und Autos wehen – Tage vor Beginn der EM. FU-Politikwissenschaftler Klaus Schroeder hatte auch zur WM kein Problem mit dem Fahnenmeer. In Deutschland, sagt er, habe sich ein „aufgeklärter Patriotismus“ entwickelt, der ohne „ethnische Abwertungen“ auskommt. Das Flaggezeigen sei eher ein Ausdruck von Normalität als von Extremität.

Die Bedingungen für eine zweite Sommermärchen-Stimmung könnten besser kaum sein: der Himmel blau, die Sonne strahlt, das Thermometer zeigt 27 Grad. In den Kneipen bereits gestern der Auftakt für das deutsche Team am heutigen Sonntag gegen Polen das wichtigste Thema: „3:0 werden wir gewinnen“, versichert die 24-jährige Polin in einem Straßenbistro in Mitte. Und Gultelcin Erdogan am Nebentisch sagt lächelnd: „Polen wird gewinnen – und die Türkei.“ Entsprechend siegesgewiss bereiteten sich Berlins fußballbegeisterte Türken für Samstagabend auf die erste große Party der EM vor. Sollte Portugal überraschend besiegt werden, wäre auch der erste Autokorso mit türkischen Fahnen und Hupen sicher.

Zurückhaltend zeigt sich dagegen die Landesregierung in ihrer EM-Euphorie. So will der Senat die Fanmeile am Brandenburger Tor erst zum Halbfinale einrichten. Flagge zeigt das Land zur EM kaum. Zwar hat die BVG zwei Ziehharmonikabusse schwarz-rot-gold bemalen lassen und die Stadtreinigung ihren Mitarbeitern erlaubt, die Kehrfahrzeuge zu beflaggen. Aber die Senatsinnenverwaltung, die eine Beflaggung der öffentlichen Gebäuden anordnen könnte, plant nichts dergleichen. Es fänden keine Spiele in Berlin statt, lautet die Begründung. Der Polizeipräsident hat sogar – wie übrigens schon zur WM – seinen Mitarbeitern verboten, die Streifenwagen zu beflaggen. Neutralität sei geboten, heißt es – auch um Autorität gegenüber Fußball-Fans zu wahren. Wie schon vor zwei Jahren stößt das Verbot auf Kritik: CDU-Innenexperte Frank Henkel findet es „kleinkariert“ und „spießig“. Alle sollten zur EM die Möglichkeit haben, Flagge zu zeigen und Patrioten zu sein – auch die Berliner Polizisten.

Wann und zu welchem Anlass Fahnentücher vor Berlins Schulen, Rathäusern und andern öffentlichen Einrichtungen weht, regelt die Beflaggungsverordnung des Landes. Danach ist es etwa am Tag der deutschen Einheit, Pflicht, die Hoheitsflaggen zu hissen, also Europa-, Bundes- und Landesflagge. Bei Staatsbesuchen oder Staatstrauer ordnet die Innenverwaltung Beflaggung an. Zu „besonderen Anlässen“ können auch nicht-hoheitliche Flaggen vor den Gebäuden wehen, wenn die Innenverwaltung zustimmt. So flattert derzeit wegen des schwul-lesbischen Kulturprogrammes „Berlin Pride“ die Regenbogenflagge vor dem Roten Rathaus. Zu den WM-Spielen in Berlin 2006 ließ der Senat die FIFA-WM-Flaggen wehen. Hoheitliche Beflaggung mit schwarz-rot- goldener Bundesflagge hatte die Innenverwaltung nicht angeordnet.

Florian Höhne

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