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Der Himmel über Berlin füllt sich.

© Getty Images/iStockphoto

Fliegen von TXL, SXF und BER: „Berlin braucht mindestens zwei Flughäfen“

Berlins Flughäfen wollen und sollen immer mehr Verkehr zulassen, fordert die lokale Wirtschaft. Der Kollaps ist programmiert.

Richard Grenell hat nicht besonders viele Freunde hierzulande. Zu oft hat der Botschafter des US-Präsidenten in Deutschland Politiker und Unternehmer brüskiert. Um so mehr Freunde hat der 52-Jährige daheim in den Vereinigten Staaten. Und viele davon hätten bereits Flüge gebucht, um im Juli am Christopher Street Day (CSD) in Berlin teilzunehmen, berichtet Grenell dieser Tage in einer Rede auf der Tourismusmesse ITB.

Doch bisher konnten nur Grenells New Yorker Friends Non-Stop an die Spree fliegen – bereits jetzt mit United ab Newark im benachbarten Bundesstaat New Jersey oder ab Mai mit Delta vom zentraleren Airport JFK in New York City selbst. Ab dem 8. Juni folgt American Airlines ab Philadelphia, dem wichtigsten Drehkreuz der weltgrößten Fluggesellschaft im Nordosten Amerikas. Ab dort können Berliner täglich bis zu 420 Anschlussflüge in mehr als 20 Länder erreichen.

Wenn er sich etwas wünschen dürfte, wäre es ein Direktflug zwischen Berlin und Palm Springs, sagt Grenell noch im Scherz an die anwesenden American-Airlines-Manager. Das sorgt für Lachen. Seine Heimatstadt im fernen Kalifornien hat gerade einmal 45000 Einwohner. „Meine zweite Wahl wäre ein Direktflug zwischen Berlin und Washington“, schiebt Trumps Botschafter dann etwas ernster nach. „Ich hoffe, sie arbeiten daran. Das wäre wirklich sehr hilfreich“. Diese Idee ist in der Tat deutlich weniger absurd, als sie klingt. Vielleicht rechnet sich auch das. Irgendwann.

Vertrauensvorschuss für Berlin

Für American Airlines ist die neue Direktverbindung zwischen Berlin und Philadelphia ein erster Test, wie American Airlines' Europa-Vertriebschef Tom Lattig dem Tagesspiegel später erklärt. Zunächst startet der Flug nur vier Mal die Woche und steht vorerst auch nur bis Ende September im Flugplan. „Berlin ist eine tolle Stadt, unglaublich cool. Doch Berlin lag bisher für viele Amerikaner ein wenig neben der Strecke. Das wollen wir ändern“. Lattig geht aber davon aus, dass auch die vielen Start-up-Unternehmen Berlins die neue Verbindung in die Ostküstenmetropole und das Drehkreuz von American-Airline schätzen werden.

Die Fluggesellschaft gibt dem Standort einen Vertrauensvorschuss. Sie setzt darauf, dass das Versprechen, das Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrups auf der ITB und nach der Aufsichtsratssitzung am vergangenen Freitag erneuert hat, gilt: Der BER wird im Oktober 2020 den Betrieb aufnehmen. Manager Lattig betont, wie wichtig es seiner American Airlines ist, für „positives Kundenerlebnis“ zu sorgen. Und das sollte natürlich bereits am Boden beginnen.

Doch viele Berliner und Brandenburger Reisende haben zu oft die Erfahrung gemacht, dass es am Boden in Tegel und Schönefeld nicht so viel Schönes zu erleben gibt, weil beide Flughäfen chronisch überlastet sind: Sicherheitskontrollen, Gepäckabfertigung, Gastronomie, Toiletten – alle Infrastruktureinrichtungen können speziell im Sommer nicht noch mehr Fluggäste verkraften. Und doch muss und will die Flughafengesellschaft gern neue Airlines am Standort aufnehmen.

Alternativen für die Kurzstrecke

Es ist ein strategisches Dilemma: Große Teile der regionalen Wirtschaft und Teile des Senats wollen mehr Direktflugverbindungen, vor allem auf der Langstrecke. Berlin und Brandenburgs Industrie- und Handelskammern (IHK), der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga, die Unternehmensverbände (UVB) und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) haben sich zu einer ungewöhnlich breiten Allianz zusammengeschlossen, um Lobbyarbeit für mehr Langstreckenverbindungen ab Berlin zu machen. Sie versprechen sich davon Impulse für die Wirtschaft. Ihre Rechnung: Die Flughäfen der Weltmetropolen London und Paris sind mit 155 beziehungsweise 137 direkten Zielen mit anderen Kontinenten vernetzt, Berlin nur mit sechs.

Zugleich will keiner dieser Verbände die vielen Direktflüge auf den Kurz- und Mittelstrecken missen, die massenhaft angeboten werden, aber das Flugfeld verstopfen. Zugleich könnte jede längere Verspätung in TXL und SXF mehr Reisende motivieren, zumindest auf den kurzen Strecken gute Alternativen kennenzulernen, seien es alternative Verkehrsträger wie den Fernbus oder die Bahn, oder gar alternative Abflugorte.

Eine Chance für Leipzig und Dresden

Die Mitteldeutsche Flughafen AG, Betreiberin der wenig ausgelasteten Airports Leipzig/Halle und Dresden rechnet sich mittlerweile gute Chancen aus, gefrustete Reisende aus der Hauptstadtregion anzulocken. Deren Geschäftsführer Götz Ahmelmann, ein ehemaliger Air-Berlin-Manager, hat zu Beginn der ITB eine freche Werbekampagne gestartet. Seine sächsischen Airports locken mit kurzen Wartezeiten und niedrigen Parkgebühren. Es klingt ein wenig wie das Pfeifen im Walde, wenn Berlins Flughafensprecher erklären: „Niemand fährt von hier zwei Stunden nach Dresden oder Leipzig weil ein schlechter BER-Witz lockt.“ Doch wenn eine wachsende Zahl der Berliner genau das tut, könnte so manche Kalkulation des Berliner Flughafenbetreibers nicht mehr aufgehen.

„logistisch extrem herausfordernd“

Oliver Lackmann, Chef der Ferienfluggesellschaft TUI fly mit Zentrale in Hannover, nannte die Lage in Tegel im Interview mit dieser Zeitung dieser Tage „logistisch extrem herausfordernd“. Er stationiert nur in der Wintersaison eine Maschine in Berlin, um Kreuzfahrtgäste von und nach Dubai zu fliegen. Neben den Defiziten beim Komfort an beiden Flughäfen sieht Lackmanns mittelgroße Fluggesellschaft ein anderes Problem: Die beiden lokalen Marktführer Eurowings und Easyjet würden sich nichts schenken. „Auf den ruinösen Wettbewerb in Berlin werden wir uns nicht einlassen.“

Ryanair hingegen schon. Die Billigfluggesellschaft ist die größte Airline Europas – gemessen an den Passagierzahlen, wenn auch nicht am Umsatz. Die Iren fliegen seit Jahren ab Schönefeld und seit Übernahme einiger Air-Berlin-Flieger auch ab Tegel. Nun, wo Ryanair auch in Deutschland kurz davorsteht, sich Frieden mit den Gewerkschaften zu erkaufen und Chancen hat, auch noch Flugrechte von der insolventen Germania zu übernehmen, greift sie neu an in Berlin: Ryanair-Manager Kenny Jacobs kündigte auf der ITB an, den Flugplan zum nächsten Winter um weitere zwölf auf dann 59 Direktziele ab Berlin auszubauen: Neben Tel Aviv und Malaga bindet Ryanair auch so exotische Ziele wie das finnische Lappeenranta und das nordbosnische Banja Luka direkt an. Für Ticketpreise ab 14,99 Euro wird mancher Berliner sogar diese Ziele ausprobieren.

Von Lufthansas Tochter Eurowings, Easyjet, Ryanair, über Branchenprimus American Airlines bis hin zur Mini-Fluggesellschaft Sundair mit Sitz in Stralsund vor Rügen: Alle sind oder wollen sich in Berlin breiter machen. So verzeichneten Berlins Flughäfen im Schnitt im Januar bereits 19 Prozent mehr Flugbewegungen als im Januar des Vorjahres. Setzt sich dieser Trend fort, ist ein Verkehrskollaps programmiert.

Startbahn statt grüne Wiese

Das sieht man bei der Flughafen Berlin Brandenburg (FBB) anders. „Die FBB war bei der ITB und aktuell bei der Konferenz Routes Asia in Cebu auf den Philippinen immer im Gespräch mit Airlines und versucht, mehr Langstrecken in die Hauptstadtregion zu bekommen“, bestätigt Flughafensprecher Hannes Hönemann die Absicht zum Wachstum. „Wegen des langen Vorlaufes von mindestens einem Jahr gehen wir davon aus, dass es in Tegel nicht mehr zu zusätzlichen Langstrecken kommt. Die Airlines, die Interesse bekommen, werden gleich an den BER wollen. Sollte eine Airline dennoch vorher kommen wollen, wird es an uns nicht scheitern.“

So oder so, ein neuer Flughafen würde helfen. Berlin braucht den BER. Der Aufsichtsrat der FBB beschloss vergangenen Freitag, dass nun Planungen für den Bau eines dritten Terminals angeschoben werden. Genügt das? Ryanair-Manager Kenny Jacobs, denkt größer, grundsätzlicher: „Wenn es nach mir geht, sollte Berlin auch Tempelhof wieder öffnen. Ja, da werden sich einige, die die grüne Wiese schätzen, beklagen. Aber es gibt doch schon den Tiergarten“. In jedem Fall müsse Tegel offen bleiben. „Berlin ist eine der besten Städte der Welt und braucht mindestens zwei Flughäfen“.

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