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Berlin: Flucht aus Moabit: Staatsanwaltschaft empört über Richter

Ankläger wussten nichts von gelockerter Bewachung Der Häftling plante schon 2004 eine Geiselnahme

Ankläger wussten nichts von gelockerter Bewachung Der Häftling plante schon 2004 eine Geiselnahme

Mit Empörung hat die Staatsanwaltschaft auf die Entscheidung des Richters reagiert, die Bewachung des am Dienstag aus dem Kriminalgericht Moabit geflohenen Angeklagten zu lockern. Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt waren über die Mitte August ergangene mündliche Anweisung nicht informiert, kritisierte ein leitender Ermittler. Wie berichtet, hatte am Dienstag der 44-jährige Millionenbetrüger Martin R. seinen einzigen Bewacher in der Vorführzelle des Gerichts mit einer Glasscherbe bedroht und gefesselt und war dann mit dessen Schlüsselbund entkommen. Bei zuvor 48 Verhandlungstagen war R. stets von zwei Wachtmeistern und mit Handschellen gefesselt in den Gerichtssaal gebracht worden. Richter Reinar Mülders lehnte gestern eine Stellungnahme ab.

Die Justizverwaltung wies in einer Erklärung darauf hin, der Richter habe „aufgrund seiner in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft und dem Landeskriminalamt erlangten Kenntnis der Persönlichkeit des Angeklagten“ entschieden. Die Anklagebehörde stellte gegenüber dem Tagesspiegel klar, dass die richterliche Entscheidung selbst nicht mit ihr abgestimmt war.

Der CDU-Rechtsexperte Michael Braun erinnerte daran, dass bereits im Juni 2005 ein Krimineller einen Wachmann bewusstlos gewürgt hatte und geflohen war. „Seitdem ist nichts für mehr Sicherheit getan worden“, kritisierte der CDU-Politiker.

In der Staatsanwaltschaft herrschte gestern Entsetzen über die „extreme Fehleinschätzung“ des Geflohenen. Ein Ermittler bezeichnete Martin R. als „völlig skrupellosen Kriminellen“. Noch in der U-Haft habe er seine kriminellen Grundstücksgeschäfte weitergetrieben. „Der beste Betrüger, der mir untergekommen ist“, sagte ein leitender Ermittler. Martin R. wurde als derart gefährlich eingeschätzt, dass der Prozess anfangs in einem „abgeschirmten“ Saal stattfand, da man einen bewaffneten Befreiungsversuch befürchtete. Im Gefängnis gilt unverändert die Vorschrift, dass R. gefesselt und von zwei Mann bewacht werden soll. Bei einer Zellendurchsuchung waren im Dezember 2004 Notizen des 44-Jährigen gefunden worden, in denen er eine bewaffnete Geiselnahme als Fluchtplan skizziert hatte.

Seit 6. Juni 2004 sitzt R. in U-Haft in Moabit, im August 2005 hatte der Prozess gegen ihn und 14 Mitangeklagte begonnen. Möglicherweise hatte R. am Dienstag sogar einen Helfer im Gericht: Sein Bruder Bernhard R., der im selben Verfahren zu vier Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt worden ist, saß auf der Zuschauerbank. Da das Urteil noch nicht rechtskräftig war, darf Bernhard R. in Freiheit auf den Strafantritt warten.

Die Ermittler sind sicher, dass R. seine Flucht geplant hatte. „Seit drei Wochen war er wie ausgewechselt“, hieß es – nachdem der Richter die Bewachung erleichtert hatte. So habe der Angeklagte den Antrag gestellt, Zivilkleidung im Prozess tragen zu dürfen, dies war abgelehnt worden – Begründung: Fluchtgefahr.

Konsequenzen wird die Fehleinschätzung für Mülders nicht haben, hieß es gestern in der Justizverwaltung, sie falle in die „richterliche Unabhängigkeit“. Der Prozess wird am kommenden Donnerstag fortgesetzt – in Abwesenheit des Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft will mehr als 14 Jahre Haft fordern.

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