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Archiv - Ein Junge verfolgt von einem Baum aus den Landeanflug eines US-amerikanischen Transportflugzeugs auf den Berliner Flughafen Tempelhof. Die Maschine bringt Versorgungsgüter nach West-Berlin. Als Reaktion auf die Währungsreform in den Westsektoren am 23.6.1948 verhängte die UdSSR am 24.6.1948 eine Blockade über Berlin. Alle Land- und Wasserwege wurden für den Personen- und Güterverkehr zwischen West-Berlin und Westdeutschland gesperrt. Die Versorgung der Westberliner Bevölkerung und der westalliierten Besatzung erfolgte daraufhin durch eine von den USA und Großbritannien errichtete Luftbrücke. Die Blockade wurde am 12. Mai 1949 aufgehoben. Foto: dpa (zu dpa «Vor 65 Jahren: Berlin gedenkt des Endes der Berliner Luftbrücke» vom 11.05.2014) +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit

© picture alliance / dpa

Flucht über Tempelhof: Der Flug in die Freiheit

Zahlreiche Menschen flohen über Tempelhof aus der DDR in die Bundesrepublik. Brigitte Jerate-Kammermeier war eine davon.

Dieser Artikel ist ein Teil der Serie Field Trip zum Tempelhofer Feld. Noch mehr Geschichten von Menschen, deren Leben mit diesem Ort verbunden ist gibt es in Form von kurzen Dokumentarfilmen auf der Webseite fieldtrip.tagesspiegel.de.

Für wohl jeden Menschen gibt es einen Ort, dem er sich auf besondere Weise verbunden fühlt. Für Brigitte Jerate-Kammermeier ist dies der Flughafen Tempelhof. Bei Eberswalde wurde sie geboren, jetzt lebt sie nahe Düsseldorf, weit weg von Berlin, aber immer wenn sie, von dem fernen Airport in der Zeitung las oder Bilder im Fernsehen sah, dachte sie bei sich: „Mein Flughafen.“

Warten auf die Freiheit

Dabei war es nur eine recht kurze Zeitspanne, die sie mit Tempelhof verbindet: das Warten auf den Abflug, das Einchecken, der Weg zur Maschine, der Abflug, das Aufatmen. Dies besonders tief, denn es war kein normaler Flug, es war nichts weniger als der Flug in die Freiheit.

Wie so viele, ja eigentlich alle DDR-Flüchtlinge, die den Weg über West-Berlin gewählt hatten, musste auch die damals knapp elfjährige Brigitte, wollte sie weiter nach Westdeutschland, ausgeflogen werden. Mit ihrer Mutter und ihrem knapp 15-jährigen Bruder war sie von Bernau aus mit der S-Bahn in den Westteil der Stadt gefahren, fünf Jahre vor dem Mauerbau. Scharfe Kontrollen an der Sektorengrenze gab es schon damals. Viele, die sich irgendwie verdächtig verhielten oder einfach nur Pech hatten, wurden von den Grenzern festgehalten und später wegen „versuchter Republikflucht“ zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, ihre Familien zerrissen. Auch Brigitte Jerate-Kammermeier wäre das beinahe passiert.

Zurück am Tempelhofer Feld

Für das Projekt Field Trip ist Brigitte Jerate-Kammermeier an den ehemaligen Flughafen Tempelhof zurückgekehrt. Im Film erzählt sie von ihrer Flucht. Und davon, was sie heute über das Temepelhofer Feld denkt. (Video: Field Trip/ ronjafilm)

Alleinerziehend unter Verdacht

Ihr Vater war seit Kriegsende vermisst, die Mutter sah in der DDR kaum die Möglichkeit, sich eine Existenz aufzubauen, verachtete das SED-Regime und machte daraus kein Hehl. Bald galt sie als fluchtverdächtig, musste ihren Ausweis abgeben, befürchtete, verhaftet zu werden.

Ein Trick half dann doch, mit dem Ausweis einer ebenfalls nach West-Berlin flüchtenden Frau, den Brigittes Bruder sofort zurückbrachte, damit seine Mutter mit ihren Kindern, allerdings nicht als Gruppe, ebenfalls durch die Grenzkontrollen kam. Es wäre fast schiefgegangen. Einem Grenzpolizisten war der Junge bei der Ausreise aufgefallen, auch sein Gepäck schien verdächtig – er wurde abgeführt, stundenlang verhört, konnte sich aber rausreden, durfte weiterfahren zu Mutter und Schwester, die bereits in West-Berlin warteten. Die Drei kamen ins Notaufnahmelager Marienfelde, nach Wochen ging es in das vom Deutschen Roten Kreuz zwischen 1953 und 1961 betriebene Flüchtlingsheim „Dunant“ am Askanischen Platz 3 in Kreuzberg. Heute ist es das Verlagsgebäude des Tagesspiegel.

"Jetzt kann uns nichts mehr passieren"

Die Sektorengrenze war nah, wegen Straßenbauarbeiten, erinnert sich Brigitte Jerate-Kammermeier, durfte man den Bürgersteig direkt am Haus nicht benutzen, musste auf die andere Straßenseite, jenseits der Grenze, wie sie fälschlich glaubte. Die Frontstadt hielt viele Schrecken bereit. Aber nach einigen Wochen waren auch die überwunden, und die kleine Brigitte betrat mit dem Bruder und an der Hand ihrer Mutter die Abflughalle in Tempelhof. Selbstverständlich war es ihr erster Flug, schon dies war spannend, aber der Ort bedeutete weitaus mehr: „Tempelhof und der Flughafen – das war Sicherheit, das war das Tor zur Freiheit. Es war das Gefühl: Jetzt kann uns nichts mehr passieren.“

Dies ist eine von zahlreichen Geschichten von Menschen, deren Leben mit dem Tempelhofer Feld verbunden sind. Das Dokumentarfilm-Projekt Field Trip, produziert von Ronjafilm, sammelt diese Geschichten auf einer interaktiven Webseite, die wir anlässlich des 70. Jahrestages des Endes der Berlin-Blockade veröffentlichen. Sie können dort alle bisher verfügbaren Geschichten als Filme erkunden: fieldtrip.tagesspiegel.de

Das Projekt Field Trip ist ein langfristiges Dokumentationsprojekt von Eva Stotz (Regisseurin, Autorin, Produzentin), Frédéric Dubois (Autor und Interactive Producer), Joscha Jäger (Creative Technologist), Svenja Klüh (Producerin). 

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